Geschirr aus Keramik ist eines der bekanntesten Kulturgüter Usbekistans und wahrscheinlich das beliebteste Souvenir für Touristen. Jeder Basar bietet eine Auswahl an keramischen Teeschüsseln (Piala), Serviertellern (Ljagan) oder Suppenschüsseln (Kosa) in den verschiedensten Farben und Stilen. Wie es den Keramikschulen gelingt, die Traditionen und Techniken dieser historischen Handwerkskunst mit ihren starken regionalen Ausprägungen im 21. Jahrhundert zu bewahren, fasziniert im Zeitalter von Massenproduktion und Automatisierung. Novastan hat eine traditionelle Keramikwerkstatt in Gijduvon besucht und mit einem usbekischen Keramikmeister in siebter Generation gesprochen.
„Es gibt mehrere Keramikschulen in Usbekistan, und jede hat ihre Besonderheiten: Die Produkte unterscheiden sich in Klang, Form, Farben und Technik“. Eine Gruppe von Touristen aus Russland betritt den kleinen Keramikladen auf dem Registon-Platz in Samarkand und der Verkäufer startet mit diesen Worten seine Führung. Keramik findet man in den touristischen Zentren der Stadt an jeder Ecke, auf dem Registon-Platz herrschen Anfang Mai aber fast vierzig Grad, weshalb die Passanten in den Innenräumen der drei berühmten Medresen Schatten suchen. Hier gibt es oft kleine Souvenirläden wie diesen, den Dilshod Nabiev betreibt. An den Wänden hängen Teller in allen Größen und Farben aus verschiedenen Regionen des Landes. Dilshod kann über jedes Stück eine Geschichte erzählen.



Die Touristen interessieren sich vor allem für die bekannteste und am weitesten verbreitete Keramik, die aus Rishton im Ferganatal kommt. Rishton, mit seinen zahlreichen Töpferwerkstätten und reicher Keramikgeschichte wird liebevoll „Das Herzstück der Keramik“ genannt. Alles, was dort herkommt, wird gerne gekauft. Die modernen Designs der Region sind unüblich bunt. Im Gegensatz zu den traditionellen usbekischen Farben – blau wie der Himmel, grün wie die Natur, braun wie die Erde – enthält die neuzeitliche Rishton-Keramik auch Gelb-, Orange- und Rottöne. Genau diese Pialas stellt man sich oft vor, wenn man über Steingut aus Usbekistan redet, obwohl sie in der Realität häufig maschinell produziert werden und wenig mit den alten Traditionen Usbekistans zu tun haben.
„Das klassische Design der Rishton-Keramik heißt mehrob, oder Ring des Lebens“, – erzählt Dilshod. – „Es entstand etwa im 12. bis 13. Jahrhundert und ist bis heute gebräuchlich. In der Mitte der Schlüssel wird ein Punkt gemalt: Ein Symbol für die Geburt eines Kindes“. Mit der Zeit werden die Ringe rund um den Punkt größer: Das Kind wächst auf, lernt, arbeitet, heiratet, bekommt Kinder und Enkel. Schließlich kommt der Tag, an dem der Mensch diese Welt verlässt – der Rand der Piala.
In anderen Teilen des Landes ist mehrob nicht verbreitet; stattdessen werden auf dem Geschirr Naturmotive dargestellt – zum Beispiel der Phönix Humo, das Symbol Usbekistans, ein Fisch, der Freundschaft symbolisiert, der Frühling Bahor oder der Baum des Lebens. Ganz anders wirkt vor diesem Hintergrund die strenge Geometrie der überwiegend blauen Keramik aus dem heutigen Chiwa: In Choresmien wurde der Begründer der Algebra, Al-Khwarizmi, geboren, dessen Werke auch Einfluss auf die Gestaltung der örtlichen Keramik hatten.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Die anderen Keramikschulen haben eigene Merkmale. „Die Samarkand Schule hat eine der ältesten Techniken. Bereits im 9. bis 10. Jahrhundert wurde Keramik nicht mehr bemalt, stattdessen wurden die Muster mit einer Nadel eingekratzt. Im Gegensatz zu Choresmien, wird in Samarkand historisch eine Mischung aus Grün und Braun verwendet, nur manchmal wird etwas Blau hinzugefügt“, so Dilshod Nabiev.
Auch der Klang der Keramik unterscheidet sich je nach Region: die Keramikmeister verwenden den lokalen Ton, der in den verschiedenen Landesteilen nicht die gleiche Zusammensetzung hat. „In Choresmien, das nahe am Aralsee liegt, enthält der Boden viel Salz, weshalb die Keramik eher einen plastischen oder hölzernen Klang erzeugt,“ – sagt Dilshod. – “Gijduvon liegt dagegen in der Wüste, die Keramik daher klingt eher metallisch, ähnlich wie die aus Taschkent. Das Geschirr aus Samarkand klingt dumpf, der rote Ton aus Rishton hingegen wie eine echte Glocke“
Als die touristische Gruppe den Laden verlässt und sich die Gelegenheit für ein persönliches Gespräch ergibt, empfehlt Dilshod nach Gijduvon zu fahren und die die Werkstatt Narzullaevs, seinem Lehrmeister, zu besuchen. Die Familie Narzullaev arbeitet seit über dreihundert Jahren mit Ton; anstelle eines Siegels befinden sich auf der Unterseite ihrer Produkte acht Punkte, das Symbol für acht Generationen von Meistern. Der ganze Fertigungsprozess erfolgt nach Aussage Dilshods vollständig mit den alten Techniken. Auf Anfrage erklärt sich Narzullaev bereit, einen Besuch für Novastan zu organisieren, an einem glühenden Nachmittag machen wir uns von Buchara aus auf den Weg.
Die Meister
Gijduvon, eine kleine Stadt vierzig Kilometer von Buchara entfernt, ist neben ihrer Keramik auch für eine der drei Medresen von Ulugbek bekannt, als touristisches Zentrum kann man sie aber kaum bezeichnen. Es gibt keine Linienbusse außerhalb der Stadt, man muss mit dem Auto anreisen. Das hält diejenigen, die die Werkstatt der Narzullaevs sehen wollen, nicht davon ab – die meisten Touristen sind nicht einheimisch und kommen mit organisierten Busausflügen auf dem Weg von Buchara nach Samarkand – oder andersrum – an Gijduvon vorbei.
Der Werkstatt Narzullaevs steht auf einem großen Grundstück in der Nähe einer Medrese und ist gleichzeitig ein Familienhaus, eine Galerie und ein Hof. Das Tor ist offen: Im Hof stehen Taptschans, breite Holzgestelle zum Sitzen oder Schlafen, die in Zentralasien vor allem für die Pausen an heißen Nachmittagen verwendet werden. Auf dem Boden läuft stolz ein riesiger Hahn herum.
Aus der Werkstatt kommt Obidjon Narzullaev – etwa vierzig Jahre alt, nicht sehr groß und schlank, mit dunklen Augen und leiser Stimme. Seine Klamotten sind mit Lehmflecken übersäht. Obidjon ist ein Keramikmeister in siebter Generation, kurz vor unserem Ankommen saß er noch an einer Töpferscheibe. Bevor ich mich überhaupt vorstellen kann, bietet er uns zunächst einmal Tee an. Bei der Hitze mag Tee eine unübliche Getränkewahl für Europäer sein, für die Einheimischen gehört das Angebot zu den wichtigsten Regeln der Gastfreundschaft.

In dem Raum, in dem wir Tee trinken, hängen Fotos an den Wänden – Generationen von Meistern der Familie Narzullaev. Der Ururgroßvater von Obidjon ist auf dem ältesten bekannten Foto der Familie zu sehen. Daneben hängt Obidjons Großvater Ibodullo, der als Bewahrer der Gijduvon Keramikschule gilt. Sehr unerwartet folgt als nächstes ein Foto des sowjetischen Schriftstellers Konstantin Simonov.
Als er mein Erstaunen sieht, erklärt Obidjon: „Vor der Sowjetherrschaft war Gijduvon ein Zentrum der Keramikkunst. Nicht nur unsere Familie, sondern 21 Familien beschäftigten sich mit diesem traditionellen Handwerk. Später blieb unter dem Druck der sowjetischen Behörden nur mein Großvater als Fortführer dieses Handwerks übrig, obwohl zuvor seine beiden Werkstätten zerstört worden waren. (Die Sowjets haben die Privatunternehmer bekämpft; statt Meisterwerkstätten sollten Keramikfabriken und Kooperativen unterstützt werden, damit erwirtschaftete Gewinne an den Staat fließen – Anm.). Und als seine letzte Werkstatt zerstört wurde, erhielt mein Großvater dank dieser beiden Personen, dem Archäologen Sergej Jurenev und Konstantin Simonov, die Erlaubnis, legal als Einzelunternehmer zu arbeiten.
Sergej Jurenev nahm damals an archäologischen Ausgrabungen bei uns in Buchara teil. Er wusste von meinem Großvater und wusste, dass er der letzte Meister in Gijduvon war. Wenn Jurenev keramische Erzeugnisse fand, die archäologisch wertvoll waren, rief er meinen Großvater an und kam zu ihm für eine Expertenmeinung. Jurenev war ein guter Freund von Simonov, und Simonov war ein einflussreicher Militärschriftsteller. Also hat er Simonov gebeten, meinem Großvater zu helfen – und Simonov, der auf Geschäftsreise in Usbekistan war, kam zu Besuch, lernte meinen Großvater kennen und hat es tatsächlich geschafft, dass ihm nicht nur eine Arbeitserlaubnis gegeben wird, sondern auch das Land für den Bau einer neuen Werkstatt. Gott selbst hat sie geschickt, ohne die beiden wäre das alles nicht möglich gewesen.“
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Narzullaevs Werkstatt ist seitdem zu einer Plattform für die Erhaltung der zu dieser Zeit fast verschwundenen traditionellen Keramikschule von Gijduvon geworden. Derzeit arbeiten in der Werkstatt sieben Meister: neben Obidjon und seinem Bruder Olimjon auch die ehemaligen Azubis von Obidjon und seinem Vater Alisher. Einer der Letztgenannten ist Mardjon, der seit über zwanzig Jahren in der Werkstatt tätig ist und von Obidjon als Lehrer bezeichnet wird. Mardjon ist etwa fünfzig Jahre alt, während unseres Gesprächs mit Obidjon schweigt er, hochkonzentriert auf das Formen einer Schale. Er führt uns vor, wie die mechanische Töpferscheibe funktioniert und wie die Meister den überschüssigen Ton abschneiden. Die Schale wird von Hand geformt, weshalb jede einzelne ein Unikat ist.




Neue Azubis kommen eher selten in die Werkstatt. Die bestehende Nachfrage wird mit dem jetzigen Team gedeckt, weshalb der Bedarf nach neuen Fachkräften meistens nur dann entsteht, wenn ein Meister die Werkstatt verlässt, um in Rente zu gehen oder eine eigene Werkstatt zu öffnen. Berufliche Mobilität ist in der Region unüblich, oft bleiben die Menschen dort sesshaft, wo sie geboren wurden. Meister mit besonderen Fachkenntnissen wie Mardjon werden nicht umziehen, weil sie woanders einen besseren Job gefunden haben. Umschulungen nach regionalen Keramiktraditionen für Meister aus anderen Werkstätten kommen in der Praxis nicht vor. Um Gijduvon-Keramik herzustellen, braucht man genau die Erde aus Gijduvon, was bedeutet, dass der Meister vor Ort leben muss, um seinem Handwerk nachzugehen.
Die Herstellung
Narzullaevs Werkstatt besteht aus mehreren Durchgangszimmern in einem Lehmgebäude, die ineinander übergehen. Jeder Raum hat eine eigene Funktion und stellt einen Teil des Herstellungsprozess von der Lehmmischung bis zum Brennen dar. Hier ist alles so geblieben wie schon vor Jahrzenten. Die Prozesse bei der Familie Narzullaev folgen den Techniken der alten Meister, in der Werkstatt gibt es weder eine elektrische Töpferscheibe noch einen modernen Brennofen.
Die benötigten Rohmaterialien werden vor Ort in Usbekistan beschaffen. „Der Ton, den wir verwenden, stammt aus unserer Region. Er wird in einer Tiefe von zwei Metern abgebaut und ist porös, was für Keramik sehr gut geeignet ist, – erzählt Obidjon als wir in den ersten Raum mit Töpferscheiben beitreten. – Dazu geben wir Bentonit und Rohrkolben– das verleiht der Keramik Plastizität und verstärkt sie, wodurch es möglich wird, große Krüge und Teller herzustellen“


Die drei Komponenten werden mit Wasser gemischt und mit den Füßen geknetet, bis die Masse plastisch genug wird, um etwas daraus zu formen. Mardjon rollt vor unseren Augen einen Fladen aus und legt ihn auf die Töpferscheibe. Unter der Arbeitsfläche beginnt er mit den Füßen, die Scheibe zu drehen – und innerhalb weniger Minuten entsteht aus dem unförmigen Stück Ton eine kleine, glatte Schale – eine der 140 modernen Formen der Gijduvon Keramik.
Nach der Fertigstellung werden die Geschirrstücke zunächst einen Tag bei Raumtemperatur trocknen gelassen. Im Nebenzimmer werden sie anschließend mit einer Basisfarbe übergossen: weiß aus dem Taschkent-Kaolin, gelb aus dem Ton aus Buchara oder rot aus importiertem tadschikischen Ton. Für die Muster werden auch Oxide von Eisen, Kupfer oder Kobalt verwendet. Gijduvon Keramik hat traditionell warme Ocher-Töne und Ornamente, die von den großen Pflanzen inspiriert sind. Im Gegenteil zu Rishton-Keramik steckt dahinten keine philosophische Idee. Es ist schwierig, zwei exakt gleiche Muster zu finden: Den Künstlern ist es „zu langweilig“, immer wieder die gleichen Muster zu wiederholen, weshalb jeden kleinen Details hinzufügt, sodass sich das Muster immer wieder ein wenig verändert.
Im nächsten Raum befindet sich eine Mühle, zwei große Mühlsteine, die rein mit Muskelkraft bewegt werden müssen. Hier wird die Glasur hergestellt. Die Mühle wird von der Eselin Gültschataj betrieben, die von russischen Touristen nach dem Charakter des sowjetischen Films „Weiße Sonne der Wüste“ benannt wurde. „Seit jeher leben in unserem Haus die glücklichsten Esel, lacht Obidjon. Sie arbeiten nur zwei Tage im Monat und ruhen sich den Rest der Zeit aus“.
Gültschataj sorgt dafür, dass die Zutaten für die Glasur gemahlen und zu einer gleichmäßigen, joghurtartigen Masse vermengt werden. Der Hauptbestandteil der Glasur ist ishkor – eine Masse, die aus den lokalen Pflanzen hergestellt wird. Die Einheimischen nennen sie Kirkbugin, oder auch „Fischauge“,wegen der Form der Blüten.


„Fischauge“ wächst dort, wo es wenig Wasser und viel Salz gibt. „Wir sammeln die grünen Pflanzen und verbrennen sie direkt vor Ort ohne Brennholz, erzählt Obidjon. Dabei werden die Pflanzen geräuchert und am Boden der Brenngefäß sammelt sich Harz an. Zu diesem Harz werden Kaolin, Quarz und Sand hinzugefügt, und alles zusammen wird nochmal bei einer Temperatur von 1300-1400 Grad gebrannt. Das Ergebnis ist eine kristalline Masse, die mit der Hand grob zerkleinert und zusammen mit Wasser und gewöhnlichem Mehl, dias wie Klebstoff wirkt, in die Mühle gegeben wird““.


Nach dem Glasieren werden die fertigen Keramikstücke Trocknen gelassen und später mit Hilfe spezieller Dreifüße übereinander in den Brennofen gestellt. Anhand der Spuren dieser Dreifüße auf dem Boden und dier getrockneten Glasurtropfen am Rand lässt sich Gijduvon-Keramik eindeutig erkennen. Es ist die einzige Keramik, die mit der Unterseite nach oben gebrannt wird. Dies geschieht, damit die Glasur, die mit der Hitze flüssig wird und nach unten fließt, nicht auf dem Muster erstarrt, sondern zum Rand der Schale fließt und so den Rand verstärkt.




Der Ofen, ein massives Lehmstück, fast schulterhoch, ist am Ende des Korridors, in einer Ecke des Innenhofs angeordnet. Stufen führen zum Deckel. Oben darauf liegen Scherben – kleine und große Keramikteile, die den Brennprozess nicht schadlos überstanden haben. In manchen Chargen betragen die Verluste 5 bis 10% erklärt Obidjon. Der Ofen ist noch warm – am Tag zuvor war er noch in Betrieb.
Der Brennprozess dauert mehrere Tage. Zuerst trocknet die Keramik 24 Stunden lang bei geringer Hitze, bis maximal 150 Grad. Am zweiten Tag geht es richtig los: eine Person muss zwanzig Stunden lang neben dem Ofen stehen und diesen stets mit Holz und Gas beheizen, unter ständiger Temperaturkontrolle. Die Temperatur für den erfolgreichen Brand muss ca. 1100 Grad erreichen, es obliegt dem verantwortlichen Brennmeister aufbauend auf seiner Erfahrung, die richtige Temperatur zu erreichen und für die richtige Dauer zu halten.
Die Temperaturangaben sind alle nur ungefähr, sagt Obidjon. In der Werkstatt werden keine Thermometer oder Temperaturregler verwendet. Bei offenem Feuer wäre das sinnlos: Die Wärme verteilt sich ungleichmäßig, die Temperatur wird nicht genau erfasst. Stattdessen bestimmen die Meister die Temperatur mit dem Auge, und zwar ganz einfach. „Im Deckel befindet sich ein Guckloch, das beim Brennen geschlossen bleibt. Anhand der Helligkeit der Ofenwände und der Keramik selbst lässt sich feststellen, ob die Temperatur richtig ist. Wenn die Keramik im Inneren des Ofens richtig heiß wird, leuchtet sie wie eine gelbe Glühbirne. Vorher sind dort Muster und Ornamente zu sehen, bei einer Temperatur von 700-800 Grad. Bei der richtigen Temperatur verschwindet alles. Zwischen der Keramik selbst und der Ofenwand bleibt kein Schatten, da das Feuer in der Mitte brennt. Wenn der Moment erreicht ist, muss das Feuer sofort gelöscht und die Holzreste rausgenommen werden. Ddie Abdeckung wird mit Lehm verschmiert und versiegelt. Das Wichtigste ist, diesen Moment nicht zu verpassen. Selbst bei 15-20 Minuten Verzögerung beginnt die Keramik sich zu verformen oder zu platzen“.
Nachdem das Feuer ohne Sauerstoff erloschen ist, dient der Ofen wie eine Thermoskanne für die glühende Keramikteile und lässt die Temperatur im Inneren langsam und gleichmäßig absinken. Zwei Tage lang muss der Ofen versiegelt bleiben. Die fertige Keramikteile können erst am fünften oder sechsten Tag rausgenommen werden – und auch dann bleiben sie noch ziemlich heiß.

Der gesamte Prozess zur Herstellung einer Keramikschale dauert 25-27 Tage: So viel Zeit braucht das Team, um in Handarbeit 100 – 120 Keramikstücke anzufertigen und für das Brennen vorzubereiten. Der Ofen ist groß und es ist wirtschaftlich unrentabel, ihn häufiger einzuheizen als notwendig, weshalb er für jeden Brennvorgang voll beladen sein muss.
Der Markt
Kurz vor dem Abschied frage ich Obidjon, ob die Nachfrage für seine Produkte auf dem einheimischen Markt größer ist, als bei Touristen. Nach der kurzen Pause sagt er: jetzt, Gott sei dank, schon. Über die letzten 3-4 Jahre steige die Nachfrage nach lokal hergestelltem Geschirr – davor sei das Interesse eher bei Porzellan und modernen Keramiken gelegen.
Die Nachfrage treibt auch den Preis in die Höhe. Das bedeutet, dass es auch Findige gibt, die daran verdienen wollen: Ein Beispiel ist der betrügerische Verkauf von Massenware als Meisterstück, bei dem das Markenzeichen auf dem Geschirrboden gefälscht wird. Die Arbeit eines Meisters lässt sich trotzdem recht leicht von Massenware unterscheiden, auch ohne das Markenzeichen zu berücksichtigen: Es sind die Feinheit der Details und die Genauigkeit der Muster, die nicht schnell hingekritzelt werden können.
Dennoch werden auf den Märkten häufig Keramikstücke angeboten, die als traditioneller Kunst verkauft werden und in der Realität damit nichts zu tun haben. Für ahnungslose Touristen sagen die Ornamente wenig über die Herstellung aus, für die Massen ist die Gesamtsituation daher eher undurchsichtig.
„Ich möchte Ihnen etwas erzählen, sagt Obidjon zum Abschied. Von den fünf traditionellen Keramikschulen, die dieses Handwerk seit jeher bis heute fortführen, haben nur drei die alten Technologien wirklich bewahrt. Das sind Choresmien, Samarkand und Gijduvon. Im Gegensatz dazu wird in Rishton und Taschkent die Keramik oft industriell produziert, also in Formen gestempelt.
Dabei wird in Taschkent generell nicht besonders viel hergestellt. In Rishton hingegen habe ich 127 Werkstätten gezählt. Dort hat man bereits damit begonnen, Keramik in großem Umfang zu produzieren, jetzt werden oft Fabrikglasur und diese neuen leuchtenden, chemischen Farben verwendet. Auf der Straße wird solche Keramik in großen Mengen verkauft.
Aber auch dort gibt es noch ein paar Meister, die bis heute Keramik auf dem traditionellen Weg herstellen. Das sind die Familie Nazirovs und Rustam Usmanov. Nur leider wissen nicht viele, wo man suchen muss.“
Bei all der industriellen Konkurrenz besteht die Nachfrage nach authentischen Kunstwerken weiterhin. Das Wichtigste ist, dass Liebhaber ihre Meister finden und informiert sind, wo sie welche Art von traditioneller Keramik erwerben können. Und solange es noch Hände gibt, die diesen Weg fortsetzen, bleibt auch die Tradition lebendig.
Anna Wilhelmi für Novastan
Fotos von Robert Renner
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Aus Erde, Feuer und Geduld: Die lebendige Tradition der Keramik von Gijduvon