Kelin oder umgangssprachlich Kelinka nennt man in Teilen Zentralasiens die verheiratete Schwiegertochter, die nach der Hochzeit in die Familie des Bräutigams „übergeht“. Dort schmeißt sie den Haushalt, kocht, putzt und sorgt sich um die Launen der ganzen Familie. Oft geschieht dies ohne ihre Zustimmung und ohne die Möglichkeit, ihre Situation selbst zu beeinflussen.
Kelin oder umgangssprachlich Kelinka nennt man in Teilen Zentralasiens die verheiratete Schwiegertochter, die nach der Hochzeit in die Familie des Bräutigams „übergeht“. Dort schmeißt sie den Haushalt, kocht, putzt und sorgt sich um die Launen der ganzen Familie. Oft geschieht dies ohne ihre Zustimmung und ohne die Möglichkeit, ihre Situation selbst zu beeinflussen.
Die Tradition existiert seit Jahrhunderten und ist besonders im Süden Kasachstans verbreitet. Unter dem Vorwand, familiären Zusammenhalt zu schaffen, macht der Brauch die Kelins allen voran zu kostenlosen Arbeitskräften. Heute führt dieses Thema zu heftigen Kontroversen zwischen den konservativen und den progressiven Teilen der Gesellschaft. Befürworter wollen Tradition und kulturelles Erbe wahren. Die Gegner argumentieren hingegen, dass ein solcher Brauch ein Relikt der Vergangenheit ist, das vom Patriarchat instrumentalisiert wird, um die Schwiegertöchter auszubeuten. Wir sprachen mit Aida* über die Beziehung zu ihrem Mann, dem Balanceakt zwischen Studium und familiären Pflichten und den Schwierigkeiten, auf die sie in ihren 15 Jahren als Kelinka gestoßen ist. (Die Meinung der Redaktion spiegelt nicht unbedingt ihre Meinung wider.)
Die Geschichte der Heldin
Aida wurde 1994 im Alter von 22 Jahren verheiratet. Sie lernte ihren Verlobten in der usbekischen Stadt Sirdaryo, nahe der kasachischen Grenze, kennen. Sie trafen sich nur ein paar Mal, doch er bekundete schnell großes Interesse an ihr. Nach ein paar Treffen hielt er bei Aidas Großvater um ihre Hand an und bekam grünes Licht. Einen Monat später fand die Hochzeit statt – gegen Aidas Willen. Doch an ihrem Schicksal gab es nichts zu rütteln, immerhin hatte sie ihrem Großvater ihr Wort gegeben. Wäre sie geflohen, hätte sie Schande über ihre Familie gebracht. Also fügte sie sich. Ihr Großvater verlangte, dass Aida trotz ihrer Pflichten als Kelin weiter studieren und als Ärztin arbeiten sollte. So begann ihr Leben als Kelin in der Familie ihres Mannes. Die beiden bekamen zwei Kinder, trotz der Doppelbelastung behielt sie ihren Job. Nach 15 Jahren Ehe verließen sie schließlich das Elternhaus und zogen ins südkasachische Taras. Später zogen sie nach Almaty, wo die Kinder langsam erwachsen wurden und es auch beruflich für Aida bergauf ging. Ein paar Jahre später ließ sie sich von ihrem Mann scheiden. Nun ist sie Mitte 50 und arbeitet als Augenärztin in Almaty. Im Folgenden geben wir ihren Bericht über ihr Leben als Kelin wieder.
Andere Familien, andere Sitten
Ich lebte 15 Jahre lang mit meinem Mann zusammen: Acht Jahre lang wohnten wir mit seinen Eltern in einem Haus, dann weitere sieben Jahre im Nachbarhaus. Doch das machte keinen Unterschied: Wann immer etwas zu tun war, wurde ich gerufen. Ich war vor allen andern auf den Beinen, um den Hof zu fegen, die Pflanzen zu gießen und das Frühstück auf den Tisch zu bringen. Erst danach widmete ich mich meinem Job und dem Studium. Im ersten Jahr meiner Ehe befand ich mich im sechsten Jahr des Medizinstudiums. Danach begann das Referendariat. Meine Schwiegermutter kümmerte sich um das Abendessen, weil ich dafür keine Zeit hatte.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Am Anfang war es schwierig, weil ich mit einer anderen Mentalität aufgewachsen war: Die Schwiegermutter meiner Mutter war Tatarin, weshalb kasachische Bräuche Neuland für mich waren. In der Familie meines Mannes ließen die neuen Gesetze und Regeln nicht auf mich warten. Zuerst bekam ich ein Kopftuch, das ich beinah pausenlos tragen musste. Ich sollte es auch bei der Arbeit tragen, aber da stellte ich mich quer. Dann kam der ungewohnte Umgang mit Gästen: Ich musste den Tisch decken und mich vor allen verbeugen, genauso wie ich das jeden Morgen auch vor meinen Schwiegereltern tat. Das war Pflicht, solange sie selbst nicht freiwillig auf den Brauch verzichteten. Meine Schwiegermutter tat das irgendwann. Mir kam das gelegen, weil ich ein bisschen schüchtern bin und nur wenig Kasachisch sprach. Zwar war die Sprachbarriere keine große Einschränkung, aber ich brauchte ein wenig Zeit. Ich hatte Glück, dass ich mich mit der Mutter meines Mannes und der Frau meines Bruders gut verstand. Sonst wäre es noch viel schwieriger gewesen.
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Der erste stressige Moment war die Geburtstagsfeier eines Verwandten. Dort sollte ich mich vor bestimmten Personen verbeugen. , Ich wurde neben die älteste Kelin – die Frau meines Bruders – gesetzt, die mit mir die Gäste begrüßte und mich unterstützte. Der Tisch wurde natürlich im Voraus gedeckt. Während des Essens sorgte ich dafür, dass die Teegläser der Gäste nie leer waren. Neu war für mich auch die Art, die leeren Teller unseres Nationalgerichts Beschbarmak abzuräumen: Ich musste das Geschirr rückwärts in die Küche balancieren, wobei ich die Gäste ansah, mich nicht umdrehen durfte und schließlich mit dem Rücken zur Tür stand. Diesen Teil der Arbeit fand ich gar nicht übel, das hatte etwas Elegantes. Ich wollte es besonders schön machen, ohne dabei zu stolpern. Dadurch entstand eine Art inoffizieller Wettbewerb mit den restlichen Kelins des Hauses.
Psychischer Druck
Im ersten halben Jahr stand ich unter Schock. Es war eine Frage der Gewöhnung, aber auch der Einstellung. Wenn man sich selbst in die Pfanne haut, indem man sagt: „Warum sollte ich mich als Akademikern und Ärztin verbeugen?!“, hält man nicht lange durch. Aber es geht um Kleinigkeiten wie Salem Beru (so wird die Begrüßung der Schwiegereltern mit einer Verbeugung genannt). Auch hier habe ich mich wohlgefühlt, denn es ist weniger Interaktion mit Menschen gefordert.
Viel problematischer ist der Mangel an Freizeit und die viele Hausarbeit drumherum. Wenn Verwandte zu Besuch sind, die im gleichen Alter sind und ihre Kinder mitbringen, muss man ganz schön auf Zack sein. Aber man gewöhnt sich schnell daran, bei allen Aufgaben einen Zahn zuzulegen.
Den anderen ist es egal, wie müde wir sind, Hauptsache, die Aufgaben werden erledigt. Verwandte behandeln uns oft, als seien sie unsere Kunden. Wir sollen Mutter und Arbeiterin in einer Person vereinen, kochen, den Haushalt schmeißen und die Kleidung der Familie sowie der Gäste waschen. Dies ist besonders im Süden verbreitet, fast wie in „Kelinka Sabina“ (eine kasachische Komödie). Hin und wieder versuchte mein Mann, mir den Rücken zu decken, aber zumeist ohne Erfolg.
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Als wir nach acht Jahren dieses Lebens mit meinem Mann und den Kindern in das Haus nebenan zogen, änderte das unseren Alltag kaum. Sieben Jahre später zogen wir ins einige 100 Kilometer entfernte Taras. Weit weg vom Rest der Familie lebten wir dort endlich nach unseren eigenen Regeln.
Hatten meine Verwandten jedoch Gäste zu Besuch, musste ich trotzdem zurück nach Sirdaryoundsie bedienen, so als würde ich noch bei ihnen leben. Nicht selten luden sie die Gäste während meiner Arbeitszeiten zu sich ein, wodurch sie mich regelmäßig zwangen, mir frei zu nehmen. Jedes Mal musste ich mich rechtfertigen. Zum Glück sind die Chefs im Süden an Kelinkas gewöhnt und zeigen für die Verschiebung meiner Arbeitszeiten Verständnis.
Tradition im Wandel
Unsere Jugend denkt anders, worüber ich sehr froh bin. Viele Traditionen sind mittlerweile irrelevant, obwohl es auch positive Aspekte gibt. Einerseits ist es ungerecht, dass man kocht, putzt und all diese Aufgaben niemals delegiert werden, andererseits wahren wir Respekt gegenüber den Älteren und lernen so, als Familie zusammenzuhalten und die persönlichen Grenzen aller, auch die der Frau, einzuhalten. Leider sehen das viele anders.
Die Beziehungen innerhalb der Familie verändern sich, und niemand ist darauf bedacht, sie zu erhalten. Dabei ist eine Familie harte Arbeit. Das Zusammenleben mit den Eltern ermöglicht es jungen Menschen, sich aneinander zu gewöhnen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Meine Großmutter war hilfsbereit gegenüber ihren Schwiegertöchtern und die Kinder dankten ihr dafür. Auch meine Mutter lebte elf Jahre lang bei ihrer Schwiegermutter und wollte kaum ihr Haus verlassen. Als sie arbeiten ging, wurden wir Kinder von meinen Großeltern beaufsichtigt. Irgendjemand hatte immer ein Auge auf uns.
Wenn man jung ist, ist die Hilfe der Älteren eine wahnsinnige Stütze, auch in finanzieller Hinsicht. Natürlich wollte ich getrennt leben, weil ich eigene Kinder hatte, aber nach einer Weile hielt ich es für sinnvoller. Ein gutes Verhältnis zur Schwiegermutter ist Gold wert. Sie gibt Ratschläge und hilft im Haushalt ebenso wie in der Beziehung zum Mann, immerhin kennt sie ihren Sohn am besten.
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In einer Ehe muss man auch Beziehungen zum Rest der Familie seines Mannes aufbauen, da man in Kasachstan nicht nur mit seinem Ehemann kommunizieren kann. Das Zusammenleben hilft dabei: Der Mensch ist ein kollektives Wesen. Der enge Kontakt zu den Verwandten hilft auch mental, ein bisschen wie in einem italienischen Clan. Man fühlt sich beschützt und geborgen.
Wir werden heute immer individueller. So sehr, dass uns beinah das Bedürfnis nach Gemeinschaft abhanden kommt. Viele Menschen arbeiten online und haben keinen Kontakt mehr zu Kollegen und Freunden. Bei all der Informationsflut, die wir heute haben, ist es schwer, allein zu sein. Da kann eine große Familie schon abhelfen. Sie ist immer da, ob du Kummer hast oder vor Freude strahlst. In diesem Sinne hat unsere Tradition auch kulturelle Bedeutung. Als Heranwachsender lernt man in einer großen Familie, was es heißt, in einer Gemeinschaft zu leben, sich zu unterstützen und zusammenzuhalten. Das brauchen wir heute mehr denn je.
Jangir Djangildin für The Village Kasachstan
Aus dem Russischen von Arthur Siavash Klischat
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