Soziale Arbeit ist in Tadschikistan vor allem Sache von gemeinnützigen Organisationen. Insbesondere Frauen sind in diesem Beruf tätig, der zu den am schlechtesten bezahlten gehört. Drei Frauen berichten, wie sie zur sozialen Arbeit kamen und warum sie trotz niedriger Gehälter und geringer Anerkennung weiterhin als Sozialarbeiterinnen tätig sind.
In Tadschikistan existiert kein eigenständiger staatlicher Sozialdienst. Lediglich in den Stadtverwaltungen gibt es Mitarbeitende, die Sozialhilfe für ältere Menschen anbieten. Meist handelt es sich dabei um Hilfe beim Putzen, Gänge zum Supermarkt oder zur Apotheke. Außerdem gibt es einige soziale Organisationen, die Bedürftige unterstützen. Allerdings sind die Löhne sehr niedrig, weshalb nur wenige Menschen bereit sind, eine solche Arbeit zu übernehmen.
„Ich lerne für den Fall, dass wir ausreisen müssen“
„Sozialarbeiter:in ist der am schlechtesten bezahlte Beruf in Tadschikistan. Ich habe mich für diese Ausbildung entschieden, um für den Fall, dass wir auswandern, auch im Ausland Arbeit finden zu können. Sozialarbeiter:innen werden schließlich überall gebraucht. An der Universität wird uns alles Nötige beigebracht – wie man mit Älteren oder Menschen mit Behinderungen umgeht, und vor allem, dass man nicht auf Anerkennung hoffen sollte. Es ist der Beruf, in dem man am wenigsten Anerkennung erfährt. Es gibt einen Erstbesuch, einen Zweitbesuch und ein ganzes System, das in Tadschikistan noch nicht eingeführt wurde. Die Mitarbeiter:innen von Sozialdiensten erhalten hier keinerlei Sozialleistungen und ihre Bezahlung unterscheidet sich in Duschanbe von Bezirk zu Bezirk, je nachdem, welche Sponsor:innen es gibt“, sagt Sarina, die im letzten Jahr an der Fakultät für Sozialarbeit studiert.
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Dieses Studium ist bereits ihre dritte Ausbildung, zuvor war sie Grundschullehrerin und Buchhalterin. In diesem Jahr wird Sarina ihre Diplomarbeit zum Thema „Hilfe für Eltern von Kindern mit Behinderungen“ verteidigen. Mit 23 Jahren war sie als Sozialarbeiterin bei der NGO „Dasti Madad“ (Anm. d. Red.: Tadschikisch für „helfende Hand“) beschäftigt, die hilfsbedürftige Menschen unterstützt. Anschließend war sie Assistentin des Programmkoordinators und danach Leiterin eines Waisenhauses für Mädchen in Duschanbe. Ihre Kenntnisse in Psychologie und ihr Glaube an Gott kamen ihr bei der Arbeit zugute.
Sarina ist der Meinung, dass es leichter ist, einer anderen Person zu helfen als sich selbst, dass man dafür aber seine Freizeit opfern muss. Zudem findet sie, dass alle Sozialarbeiter:innen eine Person an der Seite haben sollten, die zuhört und unterstützt.
Durch den Sohn zum Beruf der Sozialarbeiterin gekommen
Schachlo unterrichtet an einer Schule und arbeitete zwischen 2014 und 2023 parallel in einem Reha-Zentrum für Kinder mit Behinderungen. Im Privatleben gab es Schwierigkeiten – als die Kinder noch klein waren, zerbrach die Familie und Schachlo musste mit ihnen zurück zu ihrer Mutter ziehen, die ihr seitdem bei der Erziehung hilft.
Das Reha-Zentrum lernte sie kennen, als sie es mit ihrem damals vierjährigen Sohn besuchte, der infantile Zerebralparese hat. Kurz darauf begann sie, dort zu arbeiten. Zuvor absolvierte Schachlo eine Ausbildung bei ähnlichen Organisationen, bei denen lokale und ausländische Spezialist:innen unterrichten. Danach folgten zwei- bis dreimal jährlich Auffrischungskurse bei Organisationen wie „Iroda“, „Tschorbog“, „Ruschdi Inkljusija“ und anderen statt (Anm. d. Red.: Dabei handelt es sich jeweils um eine Initiative von Eltern von Kindern mit Autismus, ein Rehabilitations-Zentrum für Kinder und Jugendliche sowie eine Organisation für Eltern von Kindern mit Behinderungen).
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„Das Mitgefühl mit ‚besonderen Kindern‘ und der Wunsch, ihnen zu helfen, haben mich angetrieben, und dass ich dabei bei meinem Sohn sein kann. Auch als er dann in die Schule ging, blieb ich dort und habe viele gute Angebote abgelehnt. Die Bezahlung war ein Witz, aber im Zentrum habe ich nur zwei Tage in der Woche gearbeitet und die restliche Zeit an der Schule“, erzählt Schachlo.
Das Gehalt betrug im ersten Jahr monatlich 150 und kurz vor Verlassen des Zentrums 560 tadschikische Somoni (Anm. d. Red.: entspricht aktuell 14 bzw. 51 US-Dollar). Familie und Freund:innen waren über diese Bezahlung beschämt, aber schätzten Schachlos Arbeit. Das Rehabilitationszentrum kümmert sich um die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern mit Beeinträchtigungen im Alter von 3 bis 7 Jahren. Dort können sie an Übungen teilnehmen, erhalten therapeutische Massagen und lernen, wie man richtig mit Schulmaterialien umgeht. Die Diagnose und die Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigung unterscheiden sich individuell, und manchmal gab es sehr schwierige Situationen, erinnert sich Schachlo.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!„Der unangenehmste Moment bei meiner Arbeit war die Erkenntnis, dass manche Eltern sich weniger um die Möglichkeit sorgen, den körperlichen und geistigen Zustand ihrer Kinder zu verbessern, als vielmehr materielle Hilfe zu bekommen. Sie erwarten Medikamente und andere Produkte und glauben nicht an die Wirksamkeit von Therapien, obwohl ich als Beispiel meinen Sohn anführen konnte. Ich habe mit ihm vom Kindesalter an sowohl im Zentrum als auch daheim geübt, und trotz seiner infantilen Zerebralparese kann er selbstständig laufen und geht aktuell in die Schule“, erzählt Schachlo.
Einen Transport zum Zentrum gibt es nicht und für viele war es schwer, zu den Übungen und Therapien dorthin zu fahren. In diesem Fall besuchten die Sozialarbeiter:innen die Familien daheim, wobei sie teilweise auch vor verschlossenen Türen standen. Mit der Arbeit im Rehabilitationszentrum hat Schachlo nicht etwa aufgehört, weil sie keine Lust mehr dazu gehabt hätte. Nach den neuen Regelungen des Zentrums ist eine gleichzeitige Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber nicht mehr erlaubt und Schachlo hat sich für die Schule entschieden.
Wer, wenn nicht wir?
Marija arbeitet bei der Organisation „Spin-Plus“, zu der sie durch die Bekanntschaft mit einem der Leiter kam. Er erzählte ihr, wie die Organisation Drogenabhängigen und HIV-positiven Menschen dabei hilft, Gesundheitsrisiken zu verringern, und manche auch unterstützt, in ein normales Leben zurückzukehren. Ihr gefiel die Idee, sich um diejenigen zu kümmern, denen die Gesellschaft den Rücken zugewandt hat. Kurz darauf begann sie, bei „Spin-Plus“ zu arbeiten, inzwischen sind es schon drei Jahre.
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Während ihres Studiums der sozialen Arbeit war nur ein einziger Mann unter den Studierenden. Marija findet das bedauernswert, insbesondere da in der sozialen Arbeit manchmal die körperliche Stärke eines Mannes gebraucht würde. „Bei meiner Arbeit läuft nicht immer alles rund. Nicht jeder drogenabhängige oder HIV-positive Mensch ist bereit, sich zu öffnen. In den meisten Fällen kommen sie jedoch von selbst zu uns, um Hilfe zu erhalten. Mich motiviert der Wunsch, diesen Menschen zu helfen, ein Teil der Gesellschaft zu werden, und sie auf ihre Bedürfnisse und Probleme aufmerksam zu machen. Von einer Mehrheit der Bevölkerung erfahren sie Ablehnung und Diskriminierung und bekommen keine Möglichkeit, in ein normales Leben zurückzukehren. Jeder Mensch ist von großem Wert, er ist vor allem eine Persönlichkeit. Und jede:r von uns kann sich in einer Situation wiederfinden, mit der man nicht mehr alleine zurecht kommt“, sagt Marija.
Bei der Organisation „Spin-Plus“ arbeiten viele Spezialist:innen und Marijas Aufgabe ist es, sterile Spritzen, Staubinden, Verhütungsmittel, Medikamente und andere Produkte zu verteilen. Eines der Ziele von „Spin-Plus“ ist es, das HIV-Risiko in gefährdeten Bevölkerungsteilen zu verringern. Bei ihrer Arbeit hat Marija oft mit emotionalem Burnout zu kämpfen, da viel Energie in die Unterstützung Hilfsbedürftiger fließt. In diesem Fall ist es nötig, eine Pause einzulegen, um mit neuen Kräften zurückkommen zu können. Für Marija kommt es nicht in Frage, diese Menschen im Stich und mit ihrer Sucht allein zu lassen. Irgendjemand müsse ihnen helfen, sonst würden sie untergehen.
Anna Miftachowa für Asia-Plus
Aus dem Russischen von Marie Schliesser
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