Startseite      Der Fall von Buchara und das Schicksal der Tadschik:innen: War es eine Revolution?

Der Fall von Buchara und das Schicksal der Tadschik:innen: War es eine Revolution?

Im Jahr 2024 jährt sich zum 100. Mal die Gründung der Tadschikischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik, der ersten Staatsgründung der Tadschik:innen innerhalb der UdSSR. Was hat die Sowjetherrschaft dem tadschikischen Volk gebracht und wie haben sich die letzten Jahrzehnte für sie gestaltet? Die Mediengruppe Asia-Plus hat den renommierten, tadschikischen Wissenschaftler und Historiker Saifulloh Mullodjon eingeladen, um eine Diskussion zum Thema Dekolonisierung in der tadschikischen Gesellschaft zu eröffnen.

Alim Khan, der letzte Emir von Buchara, Photo: Sergei Prokudin-Gorskij

Im Jahr 2024 jährt sich zum 100. Mal die Gründung der Tadschikischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik, der ersten Staatsgründung der Tadschik:innen innerhalb der UdSSR. Was hat die Sowjetherrschaft dem tadschikischen Volk gebracht und wie haben sich die letzten Jahrzehnte für sie gestaltet? Die Mediengruppe Asia-Plus hat den renommierten, tadschikischen Wissenschaftler und Historiker Saifulloh Mullodjon eingeladen, um eine Diskussion zum Thema Dekolonisierung in der tadschikischen Gesellschaft zu eröffnen.

Vor 103 Jahren – am 2. September 1920 fiel [die Stadt und das gleichnamige Emirat] Buchara. An diesem Tag telegrafierte der Befehlshaber der Roten Armee Michail Frunse an Wladimir Lenin, dass die Flagge der Weltrevolution siegreich über dem Registan wehe.

Die Erstürmung Bucharas dauerte nur wenige Tage, aber selbst in dieser Zeit geschah viel: Die Zitadelle und Dutzende anderer Paläste und Moscheen wurden zerstört, Alim Khan floh nach Afghanistan, die Bevölkerung sprach damals vom Ende der Welt.

Die Schwelle zur Tragödie

Im Februar stürzte die Rote Armee das Khanat Xiva; Buchara blieb ein Zankapfel der Sowjetbehörden. Nach der Februarrevolution von 1917 im Russischen Zarenreich musste sich auch Bucharas Emir Alim Khan fragen, wie er vorgehen sollte. Ihm blieb noch etwas Zeit übrig, die inneren und äußeren Angelegenheiten seines Emirats zu verbessern und seine Armee zu stärken. Die provisorische Regierung war zu dieser Zeit mit ihren internen Problemen, dem Krieg mit Deutschland und dem Osmanischen Reich sowie der Russischen Revolution beschäftigt und hatte Dringenderes zu tun, als sich aktiv in die Angelegenheiten Bucharas einzumischen.

Lest auch auf Novastan: Kolonialismus und Dekolonisierung. Sollten die Tadschik:innen ihre Vergangenheit überdenken?

Die Gegner des Emirs forderten jedoch Reformen. Am 15. März 1917, nach dem Sieg der Februarrevolution in Russland, schrieben die Vertreter des Dschadidismus – Munzim, Fitrat, Hamdi, Fayzulla Xojayev, Usmonxoʻja Poʻlatxoʻjayev –, die mit der Situation im Emirat Buchara unzufrieden waren, einen Brief an die Provisorische Regierung und forderten den Emir auf, Reformen einzuleiten.

In ihrem Brief betonten sie, dass sie „stolz darauf wären, unter der Schirmherrschaft des großen und mächtigen Russlands zu stehen“, sollte es dazu kommen. Das bedeutet, dass die offizielle Opposition in Buchara zu jener Zeit nicht an einen Sturz des bestehenden Regimes dachte.

Die Jungbucharier [auch Mladobucharzy, was die lokalen Vertreter des Dschadidismus bezeichnet – Anm. der Red. von Novastan] haben dem Emir von Buchara ihr Programm übergeben, in dem sie ihn auffordern, Reformen durchzuführen und die Probleme in den Bereichen Land und Wasser, Straßen, Schulen und Bildungssystem, Justiz und Recht sowie die Herausforderungen der inneren und äußeren Angelegenheiten des Landes anzugehen.

Im Frühjahr 1917, als der Emir ein Dekret über allgemeine Reformen im Land erließ, organisierten dieselben Dschadidisten eine Prozession, um dem Emir zu danken. Grundlage der Reformen waren die bereits im neunzehnten Jahrhundert entwickelten Ideen des berühmten Schriftstellers und Wissenschaftlers Ahmad Donish Mahdum.

Lest auch auf Novastan: Wie vor 100 Jahren die Bolschewiki das Emirat von Buchara und das Khanat von Xiva zerstörten

Es waren also die Gelehrten und die Elite in Buchara selbst, die Reformen forderten, um die Situation zu verbessern. Aber eine Revolution zu beginnen, kam den Tadschik:innen, Usbek:innen und Turkmen:innen, die in diesem Staat lebten, gar nicht erst in den Sinn.

Der erste Versuch, die Situation in Buchara gewaltsam zu verändern, war die Kampagne von Fjodor Kolesow, dem Leiter des Rates der Volkskommissare der Sowjetmacht von Turkestan. Nach der brutalen Niederschlagung der Autonomie von Kokand (Februar 1918) unternahm Kolesow im März 1918 einen Feldzug nach Buchara, erlitt jedoch eine schwere Niederlage und zog sich zurück. Eine bedeutende Rolle im Kampf um Buchara spielte der Sohn eines reichen Bucharen, Fayzulla Xojayev.

Wie die „Revolution“ geplant wurde 

Im Sommer 1918 besuchte Fayzulla Xojayev Moskau und berichtete über die Lage in Buchara. Er sprach von der „unerträglichen Lage des Volkes, von der Ausbeutung der Bevölkerung, von der Notwendigkeit, für die Freiheit Bucharas zu kämpfen“, davon, dass man sich „nicht auf das Osmanische Reich und den britischen Staat verlassen“ dürfe und dass man sich „nur mit der sozialistischen Revolution Russlands“ verbinden könne.

Diese Reise von Fayzulla Xojayev unterschied sich von seinen früheren Besuchen dadurch, dass ihm eine Reihe von Privilegien gewährt wurden, darunter die Erlaubnis, Waffen zu tragen. Während dieser Reise sollte er den Auftrag erhalten, das Emirat von Buchara zu stürzen.

Zu diesem Zweck gründete er im November 1918 das Komitee der Mladobucharzy. Die russische Regierung stellte ihm 155.000 Rubel zur Verfügung, um gegen den Emir zu agitieren. Eine dieser Aktionen war die Veröffentlichung von Büchern, Flugblättern und Broschüren in zwei „für das Volk verständlichen Sprachen – Tadschikisch und Usbekisch“.

Im August 1920 hielt ein Teil der Mladobucharzy einen gemeinsamen Kongress mit der Kommunistischen Partei Bucharas ab und setzte die Frage der Änderung der Gesellschaftsordnung im Emirat Buchara auf die Tagesordnung. Hier überzeugten Fayzulla Xojayev und seine Anhänger, die mit der Herrschaft des Emirs unzufrieden waren, die Moskauer Kommunist:innen davon, dass das Volk von Buchara zur Revolution bereit sei.

Bombardieren einer historischen Stadt und Beschuss mit Kanonen

Als die Rote Armee am 29. August 1920 Buchara angriff, stellte sich schnell heraus, dass es keine nennenswerte Volksrevolution oder einen Aufstand gegeben hatte. Die Menschen gingen ihren alltäglichen Beschäftigungen nach. Als sie eine fremde Armee hinter den Mauern ihrer Heimatstadt sahen, erhoben sich Tausende von einfachen Buchar:innen, um ihr heiliges Buchara zu verteidigen. Die Rote Armee musste sich zurückziehen und auf Verstärkung warten.

Fayzulla Xojayev selbst, der zuvor Frunse und anderen Bolschewist:innen gesagt hatte, dass „Buchara an der Schwelle zur Revolution“ stehe und nur darauf warte, dass die Rote Armee „sich gegen den verhassten Emir erhebt“, gibt in seinen späteren Memoiren zu, dass die Bürger:innen der Roten Armee Widerstand leisteten. Als die Rote Armee Buchara stürmte, schütteten sie kochendes Wasser von den Mauern der Stadt und von den Dächern ihrer Häuser auf die Köpfe der Angreifer. Sie verteidigten jedes Haus, jede Straße, jede Moschee und jeden Palast mit aller Kraft.

Nach drei Tagen erbitterter und aussichtsloser Kämpfe setzte die Rote Armee schließlich die Luftwaffe ein – elf Flugzeuge begannen, die tausendjährige Stadt zu bombardieren. Der Pilot, der Buchara bombardierte, erinnerte sich an diese Ereignisse in seinen Memoiren, die 1935 von Maxim Gorki herausgegeben wurden. Der Pilot gab zu, dass „ein solcher Luftangriff unternommen wurde, wie es ihn an der turkestanischen Front noch nie gegeben hatte.“ Drei Tage lang fielen 64-Kilo-Bomben auf Moscheen und Minarette in Buchara. Der Pilot schrieb: „Buchara wurde bombardiert. Alte Gebäude wurden zerstört. Wir waren besonders glücklich, als eine unserer Bomben ein Minarett traf, obwohl diese Ziele für uns eigentlich nutzlos waren.“ Und weiter: „Ich hielt die Bombe in der Hand und sah, dass darunter die Moschee war. Ich warf sie direkt in die Kuppel der Moschee.“ Dazu ist zu sagen, dass viele Buchar:innen noch nie ein Flugzeug gesehen hatten und nichts über Bomben wussten. Als sie das Dröhnen der Flugzeuge hörten, flohen sie in die Moscheen, in der Hoffnung, dort Rettung zu finden … Ein anderer Pilot, Alexej Laskin, berichtete, dass er allein 26 Pfund (416 kg) Bomben auf Buchara abgeworfen habe.

In den Straßen und Gassen der Stadt kam es zu Nahkämpfen, bei denen einige Soldaten der Armee von Buchara und einfache Bürger:innen bis zum Tod kämpften, oft mit bloßen Händen oder einfachen Stöcken. Aber die Stärke der beiden Seiten und ihre Waffen waren ungleich. Am 2. September, nach vier Tagen des Kampfes und der Bombardierung, fiel die Stadt und die rote Fahne wurde über Buchara gehisst.

Am selben Tag meldete Frunse nach Moskau: „Die Festung Alt-Buchara wurde heute durch die vereinten Anstrengungen der Roten Buchara und unserer Einheiten im Sturm genommen…. Die rote Fahne der Weltrevolution weht siegreich über dem Registan“.

Am 5. September sprach Fayzulla Xojayev, über die Leichen seiner Landsleute schreitend, auf einer feierlichen Kundgebung im Zentrum von Buchara der Roten Armee seinen Dank aus. Die vom bolschewistischen Komitee vorbereitete Erklärung an das Volk von Buchara lautete: „Brüder, vernichtet alle Anhänger des alten Systems!“

In Buchara selbst wurden diese Ereignisse als eine große Tragödie, als der Zusammenbruch einer tausendjährigen Geschichte und als die „Ankunft des Tages des Jüngsten Gerichts“ empfunden.

Lest auch auf Novastan: Zentralasien um 1910: Die Fotografien Sergej Prokudin-Gorskijs

Der Schriftsteller Dschalol Ikromij erinnerte sich an jene Tage: „Wir lebten in einem Dorf weit weg von der Stadt und sahen Buchara brennen.“ Sadri Ziyo, ein bekannter Schriftsteller und religiöser Würdenträger aus Buchara, schrieb über die damaligen Ereignisse, dass es „keine größere Katastrophe und Tragödie hätte geben können“. Wer konnte, verließ sein Hab und Gut und floh aus der Stadt. Viele Zivilist:innen, die in der Stadt blieben, wurden von den Eindringlingen ausgeraubt und misshandelt.

Nach der Stadt Buchara waren die anderen Siedlungen des Emirats an der Reihe, und hier erreichte die Gewalt ihren Höhepunkt. Die Bolschewiki selbst schrieben in ihren Memoiren von „Gewalt und Morden überall“.

20.000 Soldaten der Roten Armee in einer Stadt

Am 6. September hielt die Rote Armee eine feierliche Parade in Buchara ab und erklärte den Sieg. Am 11. September vereinigte sich die Junge Partei Bucharas mit der Kommunistischen Partei.

Doch die neue Regierung in Buchara, die unter der Kontrolle Moskaus agierte, konnte nicht einmal eine eigene Armee aus der lokalen Bevölkerung aufstellen – niemand wollte in den Dienst der neuen Regierung treten, denn die Menschen verstanden, dass diese Machthaber nichts anderes als Marionetten Moskaus waren. Deshalb verließ die Rote Armee nach der Eroberung Bucharas die Stadt nicht, um die Situation zu kontrollieren. Im September 1920 befanden sich 20.000 Rotarmisten in Buchara.

Eine Zeitung in Kalkutta (Indien) berichtete in der Ausgabe vom 2. Februar 1921 aus Sicht von Emigrierten aus Buchara, dass „das Volk von Buchara unter Massakern und Raubüberfällen von Soldaten, Vergewaltigungen, Unterdrückung, der Umwandlung von Moscheen in Ställe, der Missachtung des Korans und der religiösen Bücher, Morden ohne Gerichtsverfahren, dem gewaltvollen Abreißen des Schleiers von Frauen … leidet.“

Lest auch auf Novastan: Nusratullo Mahsum – der erste Anführer Sowjet-Tadschikistans

Am 4. März 1921 wurde ein Unionsvertrag zwischen der Russischen Sowjetrepublik und der Bucharischen Sowjetischen Volksrepublik unterzeichnet. Doch als Fayzulla Xojayev die russischen Soldaten aufforderte, Buchara zu verlassen, schenkte ihm niemand Gehör. Im Sommer 1922 wurde er sogar zum Ziel eines Attentats, das jedoch misslang.

Auch vier Jahre nach dem Einmarsch der Roten Armee und der Errichtung des „neuen revolutionären Systems“ blieb die Lage in der Region so schwierig, dass sich der IV. Parteitag der Kommunistischen Partei Bucharas im Januar 1924 gezwungen sah, die Rote Armee aufzufordern, „die einheimische Bevölkerung nicht unfreundlich zu behandeln, die Religion und die Sitten des Volkes zu respektieren“.

Die entwürdigende Flucht von Emir Alim Khan

Er war der Machthaber des Emirats Buchara, dem tausendjährigen Zentrum der Zivilisation und Geschichte der Tadschik:innen. Doch Emir Alim Khan floh mit seiner Familie und seinen engsten Vertrauten aus Buchara und überließ das Volk seinem Schicksal.

Zur gleichen Zeit versammelte sich die Bevölkerung, die 170 Jahre lang unter der Mangit-Dynastie gelebt hatte, in den Städten und Dörfern, durch die der Emir ins Exil reiste. Seine ehemaligen Untertan:innen warfen sich ihm zu Füßen und klagten: „Wem überlässt du uns und dieses Land?“Nach Angaben des geflohenen Emirs sind „einige sogar an diesem Kummer gestorben“.

Auf der Flucht gerieten einige seiner engsten Vertrauten, darunter auch seine Frau, in Gefangenschaft; sie wurden zu rechtmäßig eroberten Trophäen erklärt und entsprechend beseitigt. Einige Gefährten des Emirs wurden hingerichtet. 

Einer, der sich an der Hetzjagd auf den Emir beteiligt hatte, schrieb damals: „Von Buchara bis an die Grenze zu Afghanistan haben wir eine Spur der Verwüstung und des Unglücks hinterlassen. Es herrscht viel Unordnung und Gesetzlosigkeit, Leid und Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung in den Reihen der Roten Armee. …. Die Menschen haben keine andere Wahl als die Flucht nach Afghanistan.“

Der verängstigte Emir floh, aber das verlassene Volk glaubte an seine Rückkehr und an die Wiederherstellung der alten Ordnung. Die neue Regierung in Buchara empfanden sie als fremd und feindlich gegenüber ihrer Religion und ihren Bräuchen.

Buchara nach dem Sturz des Emir: Gegen die tadschikische Bevölkerung

Am 14. September 1920 traf der Vertreter Russlands, Walerian Kuibyschew, in Buchara ein. Dabei wurde Fayzulla Xojayev entmachtet und lediglich zum Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare und Mitglied des Revolutionskomitees ernannt. Die wichtigen Entscheidungsträger in Buchara waren fortan Frunse und Kuibyschew.

Fayzulla Xojayev versuchte die bolschewistischen Staatsmänner in Moskau davon zu überzeugen, dass „wir die islamisch-iranische Kultur, deren Hüter die Tadschiken sind, aufgeben müssen, wenn wir unseren eigenen Staat im Zentrum Zentralasiens – Buchara – errichten wollen.“
Moskau erhörte ihn und verließ sich auf diese Worte. Xojayev sprach den Tadschik:innen jegliche eigenständige Nationalität ab, indem er sie zu „Türk:innen, die sich die persische Sprache ausgeliehen haben“ erklärte. Da der Emir und sein Hofstaat Persisch sprachen und ihre Geschäfte auf Persisch abwickelten, war dies ein guter Vorwand, um das geistige Erbe der einheimischen Bevölkerung Bucharas zu zerstören.

Wie alles ausging

Die führenden Köpfe der Republik Buchara erlitten fast ausnahmslos ein tragisches Schicksal – einige von ihnen verloren ihre Heimat, andere ihr Leben. Fayzulla Xojayev wurde 1937 aus der Partei ausgeschlossen, aus allen Ämtern enthoben und verhaftet.

Der neue Staat Buchara, wurde zwar als Volksstaat bezeichnet, befand sich aber de facto in ausländischem Besitz und bestand 1420 Tage lang so fort. Am 27. Oktober 1924 wurde er zwischen Usbekistan, Turkmenistan und der Autonomen Republik Tadschikistan aufgeteilt, aber das ist eine andere traurige Geschichte.

Schlussfolgerungen

1. Das blutige Massaker, bezeichnet als „Buchara-Revolution“, war ein umfassender Angriff der Bolschewiki auf Buchara, die tausendjährige Hauptstadt der Tadschik:innen.

2. Der Staatsstreich vom Herbst 1920 zerstörte endgültig die relative Unabhängigkeit Bucharas.

3. Bis September 1920 war die Amtssprache des Emirats Buchara Persisch (eine jahrtausendealte Tradition), doch auf der Grundlage der Verfassung von 1920 wurde Usbekisch zur neuen Amtssprache ernannt. Damals gab es in Buchara bis zu 400 Medressen, in denen auf Persisch unterrichtet wurde; nach der Revolution wurde die Unterrichtssprache an Schulen, Universitäten und in anderen Einrichtungen Usbekisch.

4. Die wichtigste Errungenschaft der Revolution war der Sturz der Mangit-Dynastie, unter deren Herrschaft eine lange Periode des wissenschaftlichen und kulturellen Rückschritts zu verzeichnen war.

5. Der Emir von Buchara, Alim Khan, obschon ein nicht allzu begabter und dazu noch repressiver Herrscher, betonte in seinen Memoiren, dass die ursprünglichen Einwohner:innen Bucharas Tadschik:innen gewesen seien. Demgegenüber behauptete das Oberhaupt der neu gegründeten Republik Buchara, der kommunistische Protegé Fayzulla Xojayev, dass die Bevölkerung Bucharas türkischer Abstammung gewesen sei und es sich um eine türkische Stadt gehandelt habe.

6. Der Fall von Buchara war der Grund für die Entstehung interethnischer Konflikte zweier Völker Zentralasiens – zwischen Tadschik:innen und Usbek:innen –  dies obwohl sie eine gemeinsame Religion teilten und die letzten 500 Jahre friedlich Seite an Seite miteinander in Buchara und Kokand gelebt hatten. Vor dieser Revolution gab es in unserer Region keine interethnischen Konflikte; sie entstanden als Folge der bolschewistischen Politik.

7. Die Revolution beendete die moralische und geistige Blütezeit der Tadschik:innen. Die Stadt Buchara, die Hunderte von Gelehrten und Denkern, wie etwa Al-Buchārī, Avicenna, Ahmad Donish, hervorgebracht hatte, verlor ihre solche Begabung. Buchara, von der Rumi sagte, sie sei eine „Quelle des Wissens“ und die wichtigste Stadt Zentralasiens gewesen, hat sich in den letzten hundert Jahren in eine gewöhnliche Provinzstadt einer der zentralasiatischen Republiken verwandelt.

Lest auch auf Novastan: Grenzen und Brücken bei der Herausbildung einer regionalen zentralasiatischen Identität

8. Ausnahmslos alle Mladobucharzy, Anhänger des Dschadidismus und der Bildungsreform in Buchara stellten bald fest, dass diese „Revolution“ gar nicht das war, was sie gewollt hatten; sie wurde von außen erdacht und von anderen durchgeführt, ihre Früchte waren also für andere bestimmt. Diese „Revolution“ verwandelte die Menschen in prinzipienlose Mankurt:innen [Sklav:innen – Anm. der Red. von Novastan], die jahrzehntelang den Namen ihres Mörders Frunse als Retter und Befreier verehrten. Genauso wie sie einst die Eroberung der Region durch den Zerstörer Qutaiba ibn Muslim oder den skrupellosen Dschingis Khan als Segen gedeutet hatten.

9. Nach dem Fall von Buchara und der Gründung der Republik Buchara sowie nach der national-territorialen Grenzziehung von 1924 wurde keine Entscheidung ohne Rücksprache und Zustimmung Moskaus getroffen. Somit ist auch die Behauptung unhaltbar, dass „das Zentrum [hier gemeint Moskau – Anm. der Red. von Novastan] nichts von den panturkistischen Initiativen und den antitadschikischen Säuberungen wusste“, denn alle Entscheidungen wurden in Absprache mit Moskau getroffen.

Während im Russischen Reich die Orthodoxie gefördert und der Islam bekämpft wurde, stand die atheistische Sowjetregierung allen Religionen gleichermaßen feindlich gegenüber. Deshalb wollte sie sich in Zentralasien nicht auf das tadschikische Volk stützen, das die jahrtausendealte iranisch-islamische Kultur bewahren wollte.

So endete 1920 mit dem Fall von Buchara die geistige Vorherrschaft der Tadschik:innen in Zentralasien, und dieses Datum ist für immer als ein düsterer Tag in das Schicksal der Tadschik:innen eingegangen.

Lehren aus der „roten Revolution“ in Buchara

1. Man darf das Schicksal seines Volkes und seines Landes niemals Außenstehenden überlassen. Sie denken immer zuerst an ihre eigenen Interessen – auch wenn sie Straßen und Brücken, Fabriken und Paläste im Land bauen.

2. Revolutionen sind im Allgemeinen eine Tragödie, in ihrem Feuer verbrennt alles, das Gute wie das Böse, sie werfen das Land um Jahrzehnte zurück und geben einer Handvoll neuer Herrscher die Macht; ich habe die Geschichte von vier Revolutionen studiert – der französischen, der russischen, der chinesischen und der iranischen.

Trotz hunderttausendfacher Morde „im Namen des Volkes“ und der millionenfachen Emigration der besten Köpfe der Gesellschaften sind die Völker dieser Länder jahrelang nicht zur Vernunft gekommen. Die Spaltung der Menschen in Einheimische und Fremde wird immer eine nationale Tragödie sein und verheerende Folgen für das Schicksal dieser Völker haben.

3. Keine Regierung der Welt ist vor einer Revolution sicher; selbst ein kleiner Protest kann zu einer Revolution ausarten. Daher sollten Regierungen Reformen herbeiführen, die sorgfältig im Hinblick auf das Landesinteresse durchdacht sind, denn Reformen sind immer besser als Revolutionen. Eine Revolution bedeutet Gewalt, Mord und Flucht von Millionen von Menschen. Wenn nicht zyklisch alle dreißig Jahre, im Zyklus von neuen Generationen, grundlegende Reformen durch die Regierung stattfinden, wird eine Revolution in der Gesellschaft unweigerlich heranreifen.

Sajfullochi Mullodchon für Asia-Plus

Aus dem Russischen (gekürzt) von Berenika Zeller

Noch mehr Zentralasien findet ihr auf unseren Social Media Kanälen: Schaut mal vorbei bei Twitter, Facebook, Telegram, Linkedin oder Instagram. Für Zentralasien direkt in eurer Mailbox könnt ihr euch auch zu unserem wöchentlichen Newsletter anmelden.

Kommentare

Your comment will be revised by the site if needed.