Kasachstan verzeichnet einen rapiden Zuwachs beim Export nach Russland. Dies ist vor allem auf Reexporte von Waren zurückzuführen, die den gegen Russland verhängten Wirtschaftssanktionen unterliegen.
Laut Reuters haben russische Unternehmen sich in den vergangenen Wochen wiederholt mit der Bitte an ihre kasachstanischen Partner gewandt, ihnen dabei zu helfen, westliche Sanktionen zu umgehen und dringend benötigte Güter nach Russland zu liefern. Grund dafür war die Information, dass die Türkei plane, den Transit sanktionierter Waren zu bekämpfen. Die Liste der benötigten Güter umfasse unter anderem Industrieausrüstung, Elektronik, Turbinen, Flugzeugteile, Rohstoffe und sogar Materialien für Bankkarten.
Im vergangenen Jahr sind Kasachstans Exporte nach Russland um 25 Prozent gestiegen und haben ein Volumen von 8,8 Milliarden US-Dollar erreicht. Eine der Reuters-Quellen erklärte, dass der Trend für Warenlieferungen in die Russische Föderation im Laufe der Zeit nur zunehmen werde, aber im Moment sei noch nicht klar, welche Risiken das für Kasachstan birgt.
Sanktionen, Parallelimport und Schmuggel
Seit Beginn von Russlands Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 haben eine Reihe von Ländern – vor allem die USA, die EU, Großbritannien und Kanada – weitreichende Sanktionen gegen die Wirtschaft des Angreifers verhängt, um so Moskaus Einnahmen durch den Verkauf von Energieträgern zu kappen und den Import von Waren, die zur Fortsetzung des Krieges verwendet werden, zu beschränken. Unter diesen Umständen musste die Russische Föderation Lösungen suchen, um dieses Problem zu umgehen. Im Sommer begannen daher die Parallelimporte ins Land.
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Diese Art der Wareneinfuhr bedarf keiner Genehmigung von Herstellern und Rechteinhabern. Parallelimporte erfolgen aus dem Erzeugerland oder über Drittländer. Im Fall der russischen Strategie waren solche Länder die Türkei, Kasachstan und eine Reihe anderer Republiken der ehemaligen UdSSR.
Mit Hilfe von Parallelimporten ist es jedoch noch nicht gelungen, den russischen Markt vollständig zu sättigen. Zunächst wurden elektronische Waren auf diese Weise in die Russische Föderation geliefert: vom iPhone bis zur Waschmaschine. Einzelne Bürger:innen Russlands und Kasachstans begannen, sich am Schmuggel zu beteiligen. Einer der kasachstanischen Verkäufer erklärte gegenüber der BBC, dass es im Land seit den 1990er Jahren Kanäle dafür gebe.
Umgehung der Sanktionen
Im Februar besuchte US-Außenminister Anthony Blinken Kasachstan und Usbekistan. Er betonte die Bedeutung der Einhaltung antirussischer Sanktionen. Beide zentralasiatischen Länder haben mit den Folgen des Krieges in der Ukraine in Form gestiegener Lebensmittel- und Treibstoffpreise zu kämpfen und stehen auch unter Verdacht, sanktionierte Waren an die Russische Föderation zu liefern.
Die Vereinigten Staaten seien bereit, kasachstanischen und usbekischen Unternehmen Zeit zu geben, um die Beziehungen zu sanktionierten russischen Firmen einzuschränken, sagte Blinken. Er fügte hinzu, dass die US-Regierung 25 Millionen US-Dollar bereitstellen werde, um das Wirtschaftswachstum beider Länder zu unterstützen, einschließlich „um neue Handelsrouten einzurichten und Unternehmen zu helfen“. Schon zuvor hatte die Regierung von US-Präsident Joe Biden der Region 25 Millionen US-Dollar zugeteilt.
Kasachstanische Beamte hatten zuvor wiederholt erklärt, dass sie nicht beabsichtigen, Russland bei der Umgehung wirtschaftlicher Beschränkungen zu helfen. Laut einem hochrangigen EU-Beamten liefert Kasachstan jedoch weiterhin Mikrochips, die von Russland zur Herstellung von Raketen verwendet werden. Im Jahr 2022 exportierte das Land fortschrittliche Halbleiter im Wert von 3,7 Millionen US-Dollar nach Russland, gegenüber 12.000 US-Dollar im Jahr 2021.
Zum Vergleich: Im Zeitraum von 2017 bis 2021 kaufte Russland jährlich Chips und integrierte Schaltkreise aus der EU, den USA, Japan und Großbritannien für 163 Millionen US-Dollar. Im vergangenen Jahr fiel dieser Wert auf 60 Millionen US-Dollar.
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Während des Treffens mit Blinken räumte Kasachstans Außenministerium ein, dass es für die Behörden des Landes schwierig sei, Handelsprozesse mit Russland zu steuern. Gleichzeitig geben kasachstanische Expert:innen zu, dass die Lieferung elektronischer Produkte an Russland vor dem Hintergrund der erweiterten Sanktionspolitik einen erheblichen Gewinn bringt – etwa 150 Prozent.
In einem Interview mit Current Time erklärte der Ökonom Aıdar Álibaev, dass Kasachstans Wirtschaft bereit sei, „alle Tricks anzuwenden“, um hohe Gewinne zu erzielen. Der Experte wies auf die Existenz von Meinungsverschiedenheiten zwischen Unternehmern und dem Staat hin, da letzterer die Sanktionen befürworte. Die Position des Business werde zu schweren Sanktionen gegen kasachstanische Unternehmen führen, prognostiziert Álibaev.
Der Experte geht davon aus, dass gezielte Sanktionen gegen jene Unternehmen verhängt werden, die helfen, wirtschaftliche Restriktionen zu umgehen. Álibaev räumt jedoch ein, dass es schwierig sein werde, kleine Transportunternehmen aufzuspüren. Wenn es den Behörden Kasachstans im Laufe des Jahres nicht gelingt, die Situation zu verbessern, sei aber nicht auszuschließen, dass das ganze Land zur Verantwortung gezogen werde, resümiert der Ökonom.
Womit handeln Kasachstan und Russland untereinander?
Laut Daten des kasachstanischen Amtes für nationale Statistik stieg der Export von Elektronik aus Kasachstan nach Russland in der ersten Hälfte des Jahres 2022 um das Zweitausendfache. Kasachstan exportierte Smartphones im Wert von 78 Millionen US-Dollar nach Russland, verglichen mit 36.800 US-Dollar im gleichen Zeitraum des Jahres 2021 (183.600 statt zuvor 560 Geräte). Die Lieferungen stiegen im April letzten Jahres stark an, nachdem viele ausländische Unternehmen den russischen Markt verlassen hatten. In der ersten Jahreshälfte startete Kasachstan auch mit dem Export von Speicherkarten, USB-Sticks und Smartcards. Letztere werden für Bankkarten benötigt.
Die Zahl der aus Kasachstan nach Russland exportierten Waschmaschinen – die unter die Definition von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck fallen, weil sie sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich anwendbar sind – ist von null im Jahr 2021 auf fast 100.000 im Jahr 2022 gestiegen. Waschmaschinen enthalten Chips, die in der Automobil- und Heimelektronikindustrie sowie beim Militär eingesetzt werden können.
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Generell ist Kasachstan wirtschaftlich stark mit Russland verbunden. Der nördliche Nachbar stellt einen großen Teil der Importe Kasachstans: Von Januar bis August 2022 beliefen sie sich auf 11 Milliarden US-Dollar. Das sind 2,3 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Andreı Chebotarev, unabhängiger Finanzanalyst und Chefredakteur des Telegrammkanals Finance.kz, bezeichnet Lebensmittel als den kritischsten Importartikel aus Russland. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 wurden etwa 40 Prozent davon in Russland gekauft. Russland beliefert Kasachstan auch mit 53 Prozent der Metalle und Metallprodukte, 33 Prozent der chemischen Produkte – darunter Kunststoffe und Autoreifen –, 91 Prozent der Energieträger und 25 Prozent der Autos und verschiedener Ausrüstungen.
Wiederausfuhr aus der Türkei und „Shuttle-Händler:innen“
In der zweiten Märzhälfte wurde das Transitabfertigungssystem in der Türkei wieder in Betrieb genommen, jedoch mit Vorbehalten – das Land beschränkte die Wiederausfuhr von Waren aus den Vereinigten Staaten und Kanada. Gleichzeitig erfordert die Einfuhr von Waren aus Kasachstan in die Russische Föderation weniger Verfahren, da beide Länder Mitglieder der Eurasischen Wirtschaftsunion sind. Für den weiteren freien Warenverkehr reicht es aus, eine einmalige Zollgebühr zu zahlen, jedoch werden nicht alle Waren legal nach Kasachstan importiert.
Seit März letzten Jahres ist eine beträchtliche Anzahl von Russ:innen in die Republik Kasachstan eingereist, die mit der Lieferung von Waren in ihr Heimatland beschäftigt sind. Die Möglichkeiten für eingewanderte Geschäftsleute haben sich mit der Einführung von Parallelimporten erweitert. Es sollte jedoch beachtet werden, dass das Volumen ihrer Lieferungen recht gering bleibt. Unternehmer aus Russland beschäftigen sich mit dem Versand von Autos, Ersatzteilen, Kleidung, Elektronik, Haushaltsgeräten und vielem mehr.
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Nach der Verhängung von Sanktionen erhielten kasachstanische Geschäftsleute Bestellungen für iPhones von „Shuttle-Händler:innen“ (kleinen Händler:innen, die Waren persönlich in einem anderen Land kaufen – Anm. Masa Media), die Waren in bar bezahlen. Häufig müssen Wiederverkäufer:innen nicht ins Landesinnere reisen, da viele Waren nahe der kasachstanisch-russischen Grenze verkauft werden. Quellen der BBC berichten von Zehntausende solcher Verkaufsstellen in ganz Kasachstan. Die Händler:innen liefern hauptsächlich in die Städte, die nahe der Grenze zu Kasachstan liegen, darunter Omsk, Tscheljabinsk, Nowosibirsk und Jekaterinburg. Ihre Geräte werden in den meisten Fällen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten importiert.
Ein weiterer Bereich, der die Russ:innen interessiert, sind Autos. Unternehmer:innen schnappen sich schnell eine Reihe von Autohäusern, um Autos nach Russland zu liefern, und die lokale Nachfrage bleibt unbefriedigt. Offizielle Händler:innen weigern sich, Autos direkt an Russ:innen zu verkaufen, weil sie die Herstellerlizenz verlieren könnten. Es gibt aber Einheimische, die gegen eine Gebühr von 200 bis 300 US-Dollar als Käufer:innen auftreten, sagte einer dieser Wiederverkäufer gegenüber der BBC.
Kasachstans Versprechen und Europas Drohungen
Kasachstans Behörden planen ab dem 1. April ein neues Zollkontrollsystem einzuführen. Das Online-Tool werde die Echtzeit-Verfolgung der gesamten Warenbewegungskette von Grenze zu Grenze ermöglichen, berichtet die Financial Times mit Verweis auf einen namentlich nicht genannten hochrangigen Beamten. Der Politiker wies darauf hin, dass die Führung Kasachstans die Einführung sekundärer Sanktionen befürchte und „ständig daran arbeite, die Risiken des Reexports zu verringern“.
Die Europäische Union beabsichtigt laut The Telegraph Handelsbeschränkungen für Länder zu verhängen, die Russland beim Kauf von Waschmaschinen, Kameras und Gebrauchtwagen helfen, deren Komponenten für die Reparatur von Panzern geeignet sind. EU-Beamte machten auf eine deutliche Zunahme des Warenhandels zwischen Moskau und seinen traditionellen Verbündeten in Zentralasien aufmerksam. Die Aktivität der neuen Versorgungswege habe im vergangenen Jahr um 60-80 Prozent zugenommen.
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Dokumente im Besitz der britischen Zeitung weisen darauf hin, dass die EU-Staaten Pläne erörtern, gegen Länder vorzugehen, die Russland helfen, Handelsbeschränkungen zu umgehen. Die Maßnahmen beinhalten die Möglichkeit, diesen Staaten den Zugang zum EU-Binnenmarkt zu verwehren, wenn nachgewiesen werden kann, dass verbotene Waren nach Russland reexportiert wurden.
Die Rede ist von Dual-Use-Gütern, die aus der EU nach Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan importiert werden. Die meisten dieser Geräte werden von Litauen über Belarus transportiert. EU-Beamte haben die Möglichkeit, Ausfuhranmeldungen bis zu den Außengrenzen der Union zu verfolgen.
Laut Magbat Spanov, Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der Kasachischen Nationalen Universität, könnte die wirtschaftliche Konfrontation zwischen Russland und den westlichen Ländern Kasachstan zu Reformen anspornen. „Aus Sicht der historischen Erfahrung sind es gerade solche Prozesse, die eine Reform der wirtschaftlichen und politischen Prozesse erzwingen. Viele Länder, die dies getan haben, haben Fortschritte gemacht. Wir haben Möglichkeiten, die angehäuften Probleme zu lösen“, glaubt Spanov.
Manzur Habarov für Masa Media
Aus dem Russischen von Robin Roth
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