Das Gefängnis Jasliq war das berüchtigtste Gefängnis Usbekistans. Hier ließ Usbekistans Ex-Präsident Islom Karimov politische Gegner inhaftieren und auch foltern. Der Folgende Artikel erschien auf sarpa.media. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Jasliq (Karakalpakisch für „Jugend“) war ein Gefängnis für verurteilte religiöse Extremist:innen und politische Gefangene unter Usbekistans erstem Präsidenten Islom Karimov. Gelegen in einem Wüstengebiet im äußersten Westen Karakalpakstans und 180 Kilometer von der nächstgelegenen Stadt Qoʻngʻirot entfernt, ist der Ort von dort aus nur mit der Eisenbahn zu erreichen. Unter Karimov handelte es sich um einen der am stärksten abgeriegelten Orte des Landes.
Das Gefängnis wurde 1999 auf dem Gelände einer Chemiefabrik aus der Sowjetzeit in der Nähe des gleichnamigen Dorfes eröffnet. Durch seine Lage mitten in der Wüste, wo die Temperatur im Sommer bis zu 50 Grad Celsius und im Winter bis zu -30 Grad Celsius erreichen kann, wurde Jasliq zur lebenden Verkörperung des Wortes „Folter“.
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Im Jahr der Eröffnung wurden bereits die ersten Häftlinge in das Gefängnis eingeliefert, verurteilt wegen ihrer Beteiligung an der Islamischen Bewegung Usbekistan und anderen extremistischen Gruppen. Später wurden auch Journalist:innen, Aktivist:innen und Menschenrechtsverteidiger:innen inhaftiert, die internationale Organisationen als „Gewissensgefangene“ bezeichneten und die politisch unterdrückt wurden.
Im Jahr 2002 erfuhren Menschenrechtsaktivist:innen von den ersten Todesfällen von Jasliq-Gefangenen. Es handelte sich um Xusnitdin Alimov und Muzaffar Avazov, die Berichten zufolge mit kochendem Wasser übergossen worden waren. Nachdem weltweit darüber berichtet worden war, besuchte der UN-Sonderberichterstatter Theo van Boven das Gefängnis. Nach seinem Besuch beklagte er sich darüber, dass usbekische Beamte ihm viele Hindernisse in den Weg gelegt hatten, die ihn daran hinderten, die Haftbedingungen der Gefangenen gründlich zu untersuchen.
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In den darauffolgenden Jahren forderten internationale Menschenrechtsorganisationen die Schließung des Gefängnisses, das für Folter und Misshandlung der Gefangenen berüchtigt ist. Zu Lebzeiten von Karimov geschah dies jedoch nie.
Schließung des Gefängnisses, aber keine Rehabilitierung der Gefangenen
Nach dem Tod des ersten Präsidenten Usbekistans kam 2016 Shavkat Mirziyoyev an die Macht und leitete eine Art „Tauwetter“ ein, das Journalist:innen und Menschenrechtsaktivist:innen mehr Freiheiten gewährte. Die Schließung von Jasliq blieb aber eine ihrer Hauptforderungen. Im Jahr 2019 unterzeichnete der Präsident schließlich einen Erlass zur Abschaffung des Gefängnisses. Nach Angaben des Innenminister verblieben 395 Gefangene in dem Gefängnis.
Trotz der angekündigten Reformen blieben die Gefangenen von Jasliq weiterhin Staatsfeinde. Keiner von ihnen wurde freigesprochen oder rehabilitiert. Sie blieben wegen Hochverrats, Beleidigung des usbekischen Volkes, wegen des Versuchs, die verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen, oder wegen religiösen Extremismus verurteilt.
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Die Rehabilitierung unterdrückter und aus Gewissensgründen inhaftierter Personen sollte gemäß Forderungen die Unrechtmäßigkeit der Verurteilungen, die Rücknahme der Anklagen sowie medizinische und psychologische Betreuung umfassen.
Materielle und rechtliche Rehabilitierung als zentraler Aspekt der Wiederherstellung des Vertrauens
Die internationale Menschenrechtsorganisation FIDHschreibt, dass eine der wichtigsten Komponenten der Rehabilitierung politischer Gefangener die materielle Wiedergutmachung „ein zentraler Aspekt der Wiederherstellung des öffentlichen Vertrauens nach systematischer Gewalt“ ist.
Gemäß dem Menschenrechtsaktivisten Azgam Turgunov, der 15 Jahre in Jasliq verbracht hat, ist der Hauptgrund, warum die Behörden ihn nicht rehabilitiert haben, die mangelnde Bereitschaft, seine eigenen Fehler einzugestehen: „Wenn sie uns rehabilitieren, könnten sie allein in meinem Fall Dutzende von Menschen ins Gefängnis bringen – Richter, Staatsanwälte, Ermittler. Davor haben sie Angst. Als ich 2017 entlassen wurde, haben mich ein Zonenkommandant und der Richter angefleht, mich nirgends zu beschweren.“
Der Dokumentarfotograf Timur Karpov hat im 139 Documentary Center eine Ausstellung über die Rehabilitierung von Opfern politischer Unterdrückung gezeigt.
Er ist ebenfalls der Meinung, dass die Behörden ihre Haltung gegenüber politischen Gefangenen nicht geändert haben: „Es hat keine Veränderung in der Wahrnehmung des Themas gegeben. Die Amnestie für einige politische Gefangene wurde durchgeführt, weil sie notwendig war. Weil der Druck unglaublich groß war. Dass nach 2017 ein großer Paradigmenwechsel in unserem Land stattfand, steht außer Frage. Seit 2017 sind neue politische Gefangene aufgetaucht, die Zahlen bewegen sich im zweistelligen Bereich. Die harten Tatsachen haben sich also kaum geändert. Und das wirtschaftliche Desinteresse, so scheint mir, ist aus Sicht der Regierung Nebensache. Wenn sie gewollt hätten, hätten sie sich der Sache angenommen. Die Xumo-Arena und viele weitere Gebäude in Taschkent werden gebaut, was alles viel teurer ist als die Rehabilitierung politischer Gefangener.“
Wie die wirkliche Rehabilitierung der politischen Gefangenen erfolgen sollte
Man kann sagen, dass die Frage nach Rehabilitierung der Jasliq-Opfer für die Behörden des Landes heute oberste Priorität haben sollte. Eine vollständige Rehabilitierung der rechtswidrig Verurteilten ist dringend notwendig. Der FIDH-Bericht enthält sogar eine Reihe von Empfehlungen an die Regierung Usbekistans, wie ein tragfähiges Rehabilitationsprogramm für die Opfer politischer Unterdrückung aussehen könnte:
- Identifizierung derjenigen, die Anspruch auf Wiedergutmachung haben
- Durchführung einer vorläufigen Bedarfsanalyse für ehemalige Häftlinge
- Verabschiedung eines umfassenden Programms zur Wiedergutmachung oder Übergangsjustiz
Weitere Bilder von Timur Karpov findet ihr im Originalartikel
Yusuf Ruzimudorov für sarpa.media
Aus dem Russischen von Michèle Häfliger
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