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Gewerkschaften in Usbekistan: Geschichte und Interessen

Für viele Menschen in Usbekistan sind Gewerkschaften rätselhafte Strukturen, deren Funktionsweise oft unbekannt ist. Die Redaktion von Hook.Report hat beschlossen, sich mit der Geschichte der Gewerkschaften, ihrer Entwicklung in Usbekistan und ihren Unterschieden zu den Gewerkschaften anderer Länder zu beschäftigen. Folgender Artikel erschien dort im russischen Original am 10. Februar 2022.

Fabrikarbeit ist nicht ungewöhnlich unter Gewerkschaftszugehörigkeiten

Für viele Menschen in Usbekistan sind Gewerkschaften rätselhafte Strukturen, deren Funktionsweise oft unbekannt ist. Die Redaktion von Hook.Report hat beschlossen, sich mit der Geschichte der Gewerkschaften, ihrer Entwicklung in Usbekistan und ihren Unterschieden zu den Gewerkschaften anderer Länder zu beschäftigen. Folgender Artikel erschien dort im russischen Original am 10. Februar 2022.

Eine Gewerkschaft ist eine Organisation, die in der Regel aus Arbeitnehmern besteht und versucht, die Interessen ihrer Mitglieder gegen arbeitsrechtliche Missbräuche seitens der Arbeitgeber, der Verwaltung oder staatlicher Organe zu schützen. Was sind die Besonderheiten der usbekischen Gewerkschaften und was sagen sie über die Organisation der Arbeit im Land aus?

Gewerkschaften in Usbekistan: Von der UdSSR bis zur Gegenwart

Die Geschichte der Gewerkschaften in Usbekistan ist eng mit der Geschichte der UdSSR verbunden. Zu dieser Zeit bildeten die Gewerkschaften in allen Sowjetrepubliken ein einziges Gremium, den Gesamtsowjetischen Zentralrat der Gewerkschaften (VTsSPS). Am 23. Juni 1933 fusionierte das Volkskommissariat für Arbeit mit dem Zentralrat der Gewerkschaften, wodurch letzterer zu einer formellen staatlichen Behörde im Bereich Soziales und Arbeit wurde. Im Jahr 1960 kamen die meisten Sanatorien, Erholungsheime und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens und der Kurorte des Landes in die Verwaltung der Gewerkschaften.

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR wurden die Gewerkschaften Usbekistans gleich in den Gewerkschaftsbund Usbekistans umgewandelt. 1990 wurde eine Erklärung zur Gründung dieses Bundes verabschiedet, und 1991 wurden nach der Verabschiedung eines Statuts die organisatorischen Modalitäten festgelegt. Und im Gegensatz zu seinem sowjetischen Vorgänger war der Gewerkschaftsbund Usbekistans eine vom Staat getrennte und unabhängige Organisation.

Es gibt nur wenige Informationen über die Entwicklung der Gewerkschaftsarbeit in Usbekistan in den Jahren nach der Unabhängigkeit. Auf Seiten des usbekischen Gewerkschaftsbundes ist die Geschichte der Struktur nur in groben Zügen vermerkt. Bekannt ist, dass in den Anfangsjahren der Republik zahlreiche Änderungen an den Gesetzen über öffentliche Vereinigungen vorgenommen wurden, um sie an die neue Wirtschaft anzupassen.

Wie man in Usbekistan eine Gewerkschaft gründet und ihr beitritt

Ende 2016 unterzeichnete Shavkat Mirziyoyev Änderungen am Gesetz über Gewerkschaften, ihre Rechte und Garantien für ihre Tätigkeit. Darauffolgend kann nun jeder Arbeitnehmer einer Gewerkschaft beitreten. Diese Änderungen entsprechen den internationalen Normen und Empfehlungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Um in Usbekistan eine Gewerkschaft zu gründen, sind mindestens drei Arbeitnehmer erforderlich, die ein gemeinsames Interesse an der Art ihrer Arbeit haben.

Um einen offiziellen Status zu erhalten, müssen die Initiatoren einen Antrag bei der registrierenden Justizbehörde stellen und Unterlagen einreichen. Der Antrag sollte innerhalb eines Monats bearbeitet werden, und wenn die Antwort „ja“ lautet, muss die staatliche Abgabe entrichtet werden. Sobald die Eintragung abgeschlossen ist, wird die Gewerkschaft zu einer juristischen Person.

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Der Beitritt zu einer Gewerkschaft ist ein recht einfaches Verfahren und wird von entsprechenden Gewerkschaftsausschüssen bearbeitet. In einer Basisgewerkschaft werden der Gewerkschaftsvorsitzende, seine Stellvertreter und der Schatzmeister auf einer Generalversammlung gewählt. Jeder, der über 18 Jahre alt ist, kann Mitglied der Gewerkschaft werden. Auch Personen ab 16 Jahren, die studieren oder arbeiten, können beitreten. Unter Gewerkschaftsmitgliedern finden sich meist Fabrikarbeiter, aber es ist nicht ungewöhnlich, dass dort auch Angestellte der öffentlichen Verwaltung beitreten.

Diese Praxis wird jedoch von vielen Gewerkschaftsbeobachtern verurteilt, da sie der Meinung sind, dass Vertreter der Staatsverwaltung die Gewerkschaften daran hindert, ihre Interessen so weit wie möglich zu verteidigen. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft bringt auch bestimmte Verpflichtungen mit sich. Die Mitglieder müssen sich an die Satzung des Gewerkschaftsbundes und die Satzungen der Branchengewerkschaften halten, die Beschlüsse der Gewerkschaftsorgane befolgen, sich an den Aktivitäten ihrer Gewerkschaft beteiligen, Beiträge zahlen usw. Die Beiträge der Mitglieder machen in der Regel nicht mehr als ein Prozent ihres monatlichen Gehalts oder Stipendiums aus.

Wofür braucht Usbekistan Gewerkschaften?

Meldungen des Pressedienstes des usbekischen Gewerkschaftsbundes vermitteln den Eindruck, dass dessen Arbeit tadellos verläuft. Die Organisation führt zahlreiche Aktivitäten zum Thema Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz durch. Dies geht aus Berichten über die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Umsetzung von Tarifverträgen in Unternehmen des öffentlichen und privaten Sektors hervor.

Nach Ansicht des Gewerkschaftsbundes trägt es auch zum Wirtschaftswachstum des Landes bei. Denn mit der sozialen Unterstützung der Arbeitnehmer und der Einhaltung aller Arbeitsnormen steigt die Produktivität der Unternehmen, und die Arbeitnehmer erhalten „menschenwürdige Bedingungen und kommen in den Genuss der Vorteile des sozialen Sektors“ (was auch immer das heißen mag).

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Laut Baxtiyor Maxmadaliyev, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Gewerkschaftsbundes, sei die Gründung einer Gewerkschaft in einem Unternehmen nicht nur für die Arbeitnehmer, sondern auch für die Arbeitgeber von Vorteil. Auf diese Weise erhält die Unternehmensleitung einen Partner bei der Lösung von Tarifverhandlungsfragen und die Möglichkeit, Arbeitsstreitigkeiten in einem vorgerichtlichen Verfahren beizulegen.

Arbeitnehmer können ihrerseits Rechtsbeistand und gewerkschaftlichen Schutz erhalten, an Gewerkschaftsveranstaltungen teilnehmen, sich an die übergeordneten Gewerkschaftsorgane wenden, Kuren und Urlaube zu Vorzugspreisen in gewerkschaftlichen Zentren in Anspruch nehmen sowie kulturelle Einrichtungen und Sporteinrichtungen der Gewerkschaften nutzen.

Nationale Gewerkschaftsstatistiken

In Usbekistan gibt es zahlreiche Gewerkschaftsorganisationen in verschiedenen Sektoren und Bereichen, z.B. im Gesundheitswesen, in der Agrarindustrie, im Energiesektor, für Freiberufler usw. Sie alle gehören zu einem einzigen Verband, dem Gewerkschaftsbund Usbekistans. Der Gewerkschaftsbund versammelt laut eigenen Angaben 14 Branchengewerkschaften, die republikanische Gewerkschaft von Karakalpakstan, die städtische Gewerkschaft von Taschkent, und 12 regionale Gewerkschaftsverbände. Das sind insgesamt mehr als 6,1 Millionen Menschen oder 60 Prozent der Arbeitnehmer des Landes.

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Das höchste Organ des Gewerkschaftsbundes ist der sogenannte Qurultai (Generalversammlung, Kongress bei mongolischen und türkischen Völkern), der laut Satzung alle fünf Jahre zusammentritt. Zwischen den Qurultai wird der Gewerkschaftsbund von einem eigenen Rat geleitet. Die Mitglieder des Rates werden von den Qurultai des Verbandes und der Branchengewerkschaften gewählt.

Usbekische Gewerkschaften im internationalen Vergleich

Leider hat das sowjetische Modell der Gewerkschaftsführung seine Spuren in der Entwicklung solcher Organisationen in Usbekistan und auch in anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion hinterlassen. Dieses Modell unterschied sich stark vom traditionellen gewerkschaftlichen Modell. Die Aufgaben der Gewerkschaften waren sehr breit gefächert und reichten von der Verbesserung der Produktivität bis zur Organisation der Sommerferien für Kinder.

Die Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten und -interessen wurde jedoch auf ein Minimum beschränkt, da in der UdSSR die Produktionsmittel den Arbeitnehmern gehörten und es niemanden gab, der ihre Rechte verteidigte. Trotz der neuen Wirtschaft und aller begleitenden Gesetze in der Verfassung blieben die Gewerkschaften in der Hand des Staates und vertreten vor allem die Interessen der Geschäftsleitung. Ein Bericht der US-Botschaft über die Menschenrechte in Usbekistan zeigte 2016 ein äußerst deprimierendes Bild in diesem Bereich.

Er vermerkt mitunter, dass die Regierung die einschlägigen Gesetze nicht einhielt und unabhängige Gewerkschaften nicht zuließ. Trotz entsprechender Gesetzesänderungen machen die Arbeitnehmer kaum Gebrauch von ihrem Recht, Gewerkschaften zu gründen, aus Furcht, dass ihre Versuche schnell vereitelt werden könnten. Als zentralisierte Struktur waren die Gesellschaften vollständig vom Staat abhängig: Die Führung des Verbandes wurde nicht vom Mitgliederrat der Gewerkschaft gewählt, sondern vom Präsidialamt ernannt. Somit hatten die Gewerkschaften kaum Möglichkeiten ihre Interessen zu vertreten, außer in Fragen der Gesundheit und Sicherheit. Sie handelten zum Zeitpunkt des Berichts stets unter Einmischung von Arbeitgebern oder Regierungsinstitutionen.

So legen beispielsweise das Arbeits- und das Finanzministerium gemeinsam mit dem Gewerkschaftsbund das Lohnniveau für Beamte fest. In der wachsenden Privatwirtschaft legte das Management die Gehälter individuell fest oder handelte sie mit den Beschäftigten aus. Es gab keine öffentlichen Einrichtungen für die Schlichtung von Arbeitskonflikten.

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Ein Bericht der Cotton Campaign kam Ende 2017 zu einem ähnlichen Schluss. Er stützte sich auf umfangreiche Recherchen von Andre Mrost, einem Experten für die Arbeit in Zentralasien. Ihm zufolge ist der usbekische Gewerkschaftsbund undemokratisch und stellt keine unabhängige Arbeitnehmerorganisation dar. Somit entspreche er nicht den Werten, Grundsätzen und Zielen des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB).

Die Studie belegt, dass der usbekische Gewerkschaftsbund nicht von seinen Mitgliedern geleitet wird. Vieles deute auf „Drehtür“-Praktiken zwischen der Regierung, den Arbeitgebern und den Gewerkschaften hin. Der derzeitige Leiter der Organisation, ehemaliger Direktor eines staatlichen Unternehmens, wurde in einer Sitzung, an der auch der usbekische Premierminister teilnahm, unter dem Vorsitz des stellvertretenden Premierministers „gewählt“.

Perspektiven für das usbekische Gewerkschaftswesen

Der erste Punkt, der in der Arbeit der Gewerkschaften geändert werden muss, ist ihre Organisation. Solange es in dem Land keine unabhängigen und alternativen Gewerkschaften gibt, werden die bestehenden Gewerkschaften immer unter dem Druck der Unternehmensleitung oder staatlicher Stellen stehen. Und sie werden nicht in der Lage sein, ihre eigentliche Funktion zu erfüllen und eine gerechte Lösung von Arbeitskonflikten zu gewährleisten. Unter diesen Bedingungen kann von keinem legitimen zweiseitigen Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Rede sein.

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Die Zukunft der Gewerkschaftsbewegung in Usbekistan ist schwer vorherzusagen. Sie hängt direkt davon ab, welche Politik der Staat gegenüber den gesellschaftlichen Vereinigungen verfolgt, nicht auf dem Papier, sondern in der Praxis. Zweifellos hat Usbekistan in den letzten Jahren viele Reformen und Innovationen in allen Bereichen des Landes erlebt, und ja, einige von ihnen bedürfen der Verfeinerung. Aber ein solcher Reformkurs kann Hoffnung geben. Wenn der Staat den Dialog mit den Menschen fortsetzt und ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Interessen geltend zu machen, trägt er zur Entwicklung im Bereich der Arbeit bei. Die arbeitenden Menschen sind die treibende Kraft des Staates, und sie haben das Recht auf ein menschenwürdiges Leben und eine faire Behandlung. Sie haben das Recht, gehört zu werden.

Hook.Report Aus dem Russischen von Florian Coppenrath

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