Die Situation der LGBT+-Gemeinschaft in Kirgistan und Kasachstan verschlechtert sich, berichten gemeinnützige Organisationen, die sich vor Ort für die Rechte von LGBT+-Menschen einsetzen. Auf dem kasachstanischen Nachrichtenportal Vlast berichten Aktivist:innen, mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben.Novastan hat den am 25. Mai 2021 veröffentlichten Artikel mit freundlicher Genehmigung der Redaktion übersetzt. Vertreter:innen der LGBT+-Organisationen Kasachstans und Kirgistans berichten, dass die sich Lage für die LGBT+-Gemeinschaft in den vergangenen Jahren deutlich verschlimmert habe. Sie vermerken nicht nur direkte Drohungen, sondern auch eine Verschlechterung der Atmosphäre in den Ländern. Dies werde sie jedoch nicht davon abhalten, sich weiterhin für Menschenrechte einzusetzen, wie sie während einer Panel-Diskussion in Nur-Sultan, der Hauptstadt Kasachstans, verkündeten. Organisiert wurde die Veranstaltung von der niederländischen Botschaft und anderen diplomatischen Vertreter:innen, um Homophobie, Biphobie und Transphobie zu bekämpfen.
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Die öffentliche Organisation Kyrgys indigo beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Problemen der LGBT+-Gemeinschaft in Kirgistan. Ihre Vertreter:innen berichten von einer deutlichen Verschlechterung der Menschenrechtssituation nach dem Regierungswechsel im Herbst 2021. Lest auch auf Novastan: Wir existieren! LGBT-Jugendliche in Kasachstan (1/3) „Bei uns wurde die Verfassung vollständig umgeschrieben. Wie ein roter Faden durchzieht sie der Gedanke, dass die Verfassung alle moralischen, gesetzlichen und geistigen Werte Kirgistans reguliert. Alle gemeinnützigen Organisationen, welche die LGBT-Gemeinschaft und die feministische Bewegung repräsentieren, unterliegen einer Art Verbot, da wir nicht zu der moralischen und spirituellen Werten Kirgistans passen“, merkt ein Vertreter der Organisation an.
Die Aktivistinnen Galzada Serjan, Janar Sekerbayeva und Tatiana Tschernobyl während des Frauenmarsches, Almaty, 2021.
Persönliche Daten von Aktivist:innen veröffentlicht
Ihm zufolge hatten die Strafverfolgungsbehörden die Aktivist:innen beobachtetet und deren persönliche Daten veröffentlicht. Dennoch setzen sie den Kampf für ihre Rechte fort. „Insgesamt gehen die Politik und Regierung in Kirgistan jetzt viel gegen Aktivist:innen und Blogger:innen mit abweichenden Meinungen vor. Solidarität im zivilen Bereich gibt es nicht mehr. Große Aktionen gibt es jetzt nicht. Wir haben (nach der Veröffentlichung von Videos und persönlichen Daten, Anm. d. Vlast-Red.) lange überlegt und sind zu der Erkenntnis gekommen, dass unser Kampf stärker ist als die Angst, und unsere Liebe stärker als der Tod. Wir wollen erreichen, dass kein Mensch, der in Kirgistan oder Zentralasien die LGBT-Gemeinschaft repräsentiert, mehr (Angst oder Scham, Anm. d. Vlast-Red.) dafür erfahren muss, wer er ist, als was er arbeitet, oder wie er arbeitet“, berichtet er. Es gebe Lichtblicke in dieser Situation, doch sie bleibt insgesamt schwer, gibt Janar Sekerbaeva zu. Die Mitbegründerin der kasachischen feministischen Initiative Feminita erklärt, dass die Leute in Kasachstan aktiver seien und ihre Position äußern könnten: Doch im Zuge der zunehmenden Anti-Gender-Bewegung würden sie vorsichtiger. Lest auch auf Novastan:Usbekistan: Pro-LGBT*IQ-Blogger in Taschkent mit Baseballschlägern angegriffen„Ich denke, dass wir die Reaktion auf erste anti-gender Äußerungen verpasst haben. Trotz dessen, dass Feminita die Gender-Diskussion antrieb, gewidmet dem Vorschlag von Irina Unjakova (Vertreterin des Unterhauses im kasachischen Parlament) das Wort „Gender“ durch „Geschlechtergleichstellung“ zu ersetzen. Diese Rhetorik – wir haben ihre Wurzel gefunden – das ist die faschistische Rhetorik rechter Parteien in Deutschland. Das heißt, dass wir im modernen Kasachstan dazu gekommen sind, die Rhetorik rechter Parteien in Deutschland nachzuahmen (…). Es gibt Menschen, welche daran interessiert sind, ständig anti-gender, anti-LGBT und weitere „anti“-Themen anzusprechen“, erzählt Sekerbaeva.
Online-Rechtsberatung für LGBT+-Gemeinschaft
Die Situation hat sich verschlechtert, auch aufgrund der Corona-Pandemie. Früher konnten Mitglieder der LGBT+-Gemeinschaft allein leben und ihr Elternhaus verlassen, um vor Problemen und Ablehnung innerhalb der Familie zu fliehen. Nun sind sie isoliert und stehen unter ständigem Druck ihrer Nächsten, welche kein Verständnis für sie haben.
Als Antwort darauf schulte der öffentliche Fond „AFEW Kazakhstan“ zehn Aktivist:innen in fünf kasachischen Städten in grundlegenden Prinzipien der Rechtshilfe, damit sie online Beratung für Mitglieder der LGBT+-Gemeinschaft anbieten können. Laut dem Geschäftsführer des Fonds Roman Dudnik besteht das Hauptproblem darin, dass Menschen ihre bürgerlichen Rechte gar nicht kennen. Lest auch auf Novastan: Rückblick: Novastan trifft Quarteera „In manchen Momenten hat es den Anschein, wir würden im Mittelalter leben. Da bekommt man Gänsehaut, wenn man die Fälle liest. Wie kann so etwas sein? In unserer Gesellschaft ist es immer noch normal, Menschen, die transgender sind, zu beleidigen, sie aufzufordern, sich auszuziehen oder Teile ihres Körpers zu zeigen. Das ist grausam! Die Situation verschlimmert sich dadurch, dass Mitglieder der LGBT-Gemeinschaft sehr, sehr uninformiert sind was Rechtliches angeht – sie kennen ihre Rechte nicht, wissen nicht, dass ihre Rechte verletzt wurden, wissen nicht, an wen sie sich wenden können“, sagt er.
„Gegen jegliche Diskriminierung stark machen“
Evgenij Jovtis, Direktor des kasachstanischen Büros für Menschenrechte, merkt an, dass es schwer sei, permanenter Diskriminierung ausgesetzt zu sein und sich in einem Zustand des ständigen Kampfes zu befinden. Allerdings sei es genau dieser Kampf, der zu konkreten Resultaten führe. So habe er bereits zu Beginn der 90er Jahre von der Abschaffung der Todesstrafe gesprochen. Tatsächlich wurde sie aber erst im Jahr 2020 abgeschafft. Ähnlich verhalte es sich beim Thema Folter: War es Ende der 90er Jahre undenkbar, darüber zu sprechen, könne man heutzutage offen darüber diskutieren.
Evgenij Jovtis. „Die LGBT-Gemeinschaft verbündet sich, doch es ist wichtig zu verstehen, dass es ein allgemeines Problem mit Diskriminierung gibt. Sie richtet sich nicht nur gegen die LGBT-Gemeinschaft, sondern gegen viele unterschiedliche Gruppen. Auf dieser gemeinsamen Grundlage sollten wir uns für ein Abschaffen jeglicher Diskriminierungsgründe, jeglicher Ausgrenzung, Erniedrigung und Verletzung jeglicher Rechte aus beliebigen Gründen stark machen. Wir sollten gemeinsam und mit maximaler Stärke dagegen ankämpfen. Dann erst kann jede Person ihr eigenes Ding machen, eigene Probleme lösen und im eigenen Raum leben. Deshalb ist die Abschaffung von Diskriminierung als Vorstellung so unfassbar wichtig, sei es in der Gesetzgebung oder in der Praxis “, fasst Jovtis zusammen.
Tamara Wal auf Vlast Aus dem Russischen von Vanessa Schulmann
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