Der zwischen Kirgistan und Kasachstan aktive Hip-Hop-Musiker The OM hat Anfang August mit „IT“ sein Debütalbum herausgebracht. Eine Rezension.
In manche Musikalben tritt man wie in ein Theaterstück – oder wie in einen Tempel. Schon die ersten Töne von The OMs Debütwerks „IT“ (in kyrillischen Buchstaben geschrieben) vermitteln solch einen mystischen Hall. Und dann die brüllend-raue Stimme: „Es ist wie eins, zwei; ein Schritt in den Abgrund!“ Wie sich später herausstellt, gehört sie zu einem von mehreren Charakteren, die der Musiker im Laufe der nächsten Stücke verkörpern wird.
Novastan ist das einzige deutschsprachige Nachrichtenmagazin über Zentralasien. Wir arbeiten auf Vereinsgrundlage und Dank eurer Teilnahme. Wir sind unabhängig und wollen es bleiben, dafür brauchen wir euch! Durch jede noch so kleine Spende helft ihr uns, weiter ein realitätsnahes Bild von Zentralasien zu vermitteln.
Schon ist man drin, in der introspektiven Klangwelt des Autors. Der 24-jährige The OM, bürgerlich Aleksandr Dulepinskikh, wuchs in den 2000ern in Taraz, im Süden Kasachstans auf. Seine Mutter arbeitete als Journalistin und sein Vater als Jazzmusiker, so war seine Jugend bereits von unterschiedlichen musikalischen Einflüssen geprägt. Daher auch das englischsprachige Zitat der belgischen Jazz-Sängerin Mélanie de Biasio in dem Intro: „Mama schau auf mein Leben / Dies ist eine einsame Reise“.
„Solch ein schöner Sonnenuntergang…“
Im Stück Zakat (Sonnenuntergang) widmet er dieser Zeit ein paar Zeilen: „Wozu uns in diesem Taraz verdammt noch Gottes Hilfe / Mama arbeitet hart bei drei und mehr Jobs / Herr Präsident ändert nicht sein Gesicht“. Wer es unter solchen Bedingungen schaffen will, muss umtriebig sein, denn „vom Glauben allein wird das Geld kaum mehr“. Oder man zieht sich in sich zurück und sucht dort nach Befreiung, wie der von einem Kinderchor gesungene Refrain suggeriert: „Solch ein schöner Sonnenuntergang, und er erscheint hier in mir!“.
Zakat ist neben ein paar anderen Stücken des Albums Teil des Soundtracks der zweiten Staffel der kasachstanischen Serie „Sheker“, in der es um einen jungen Mann geht, der in die Welt des Drogenhandels gerät. In dem Kontext ist auch das Musikvideo gedreht, dass The OM mit Hut und langem Mantel wie einen eleganten Westernhelden in der kasachischen Steppe zeigt.
Mit der Musik begann The OM in Taraz. Zunächst experimentierte er zuhause mit den verfügbaren Mikrophonen und einer heruntergeladenen Aufnahmesoftware, später auch im Studio. Im Jahr 2013 zog er in das vier Stunden weiter östlich gelegene Bischkek, um Journalismus zu studieren. Dort machte er – noch unter dem Künstlernamen OneSickBastard – vier Jahre später bei einem Hip-Hop-Musikwettbewerb sein Debüt in der lokalen Rap Szene.
Es folgte eine engere Zusammenarbeit mit dem Bischkeker Hip-Hop Veteranen Belyi, mit dem er seit Ende 2017 das Aufnahmestudio Biblioteka Records betreibt. Seit Ende 2020 ist der nun quasi kirgisisch-kasachische Musiker beim in Almaty ansässigen Musiklabel õzen, über das auch „IT“ herauskam. Aus Bischkek kommt hingegen der Rapper Okean Tihii, der den einzigen Gastauftritt des Albums hat – Im Track „Musorka“ (dt.: Mülleimer), einer Abhandlung über Darbietung und Authentizität.
„Versprich mir, dass Du mich findest…“
Einen theatralischen Höhepunkt erreicht das Album ein Stück später: In ‚Vverkh-Vniz‘ (dt.: Hoch und runter) stehen sich zwei Charaktere gegenüber. Eine energisch schreiende Stimme – „Ich fühle mich wie zuhause!“ – gegenüber der rauchig kühlen Stimme aus dem Intro: „Vergiss nicht, dass Du zu Gast bist.“ Die Auseinandersetzung wirkt wie ein innerer Dialog. In einer Live-Version des Stücks unterscheiden sich die Alter Egos durch ihre Frisur und Gestik, wobei The OMs dandyhafte lange Locken mal offenliegen und mal zum Zopf gebunden sind.
Die Texte drücken Gefahr und Exzesse aus. So in ‚Vverkh-Vniz‘: „Dein Bruder ist erneut in den Nachrichten/ Irgendwas ist wieder falsch gelaufen und der Business-Plan ist nicht aufgegangen“. Oder auch das von einer Frauenstimme eingesprochene „Versprich mir, dass Du mich findest, wenn ich nicht wiederkehre!“ im hektischen Stück „Obeschtschaj“ (dt.: Versprich es). Im Gegensatz zum basslastigen, düsteren Sound der ersten Hälfte des Albums, wirkt die zweite Hälfte entspannter.
So drückt ‚Namarafonilis‘‘– ein Neologismus, auf Deutsch in etwa „wir haben zu viel Marathon betrieben“ – mit seinen E-Gitarren-Tönen schon mehr Ruhe aus. Ebenso das lyrische ‚Nezachem‘ (dt.: Für nichts), das mit seiner Instrumentierung sehr in Richtung Nu Metal neigt: „Ich hab keinen Grund den Schmerz zu suchen / Keinen Grund mehr, meine Leidenschaft zu verstecken / Ich hab keinen Grund eine Rüstung zu tragen / Erneut zu lügen…“
„Was weißt Du von mir?“
Was mit „IT“ gemeint ist, bleibt offen. Der Titel kann sowohl als Kürzel gedacht sein kann, oder auch als das kirgisische und kasachische Wort für Hund. Ebenso wenig lässt sich das Album einem klaren Genre zuschreiben: die Hip-Hop Einflüsse sind im Sprechgesang wie auch in der Produktion offensichtlich, aber The OM bedient sich auch stark bei Jazz und Rockelementen. Auch das Outro endet in einem einladenden Gesang im Crescendo: „Was weißt Du von mir / Ich bin nicht dieser / Erzähl mir dein Geheimnis / Und ich meins / Nein, nie, niemandem…“
Lust auf Zentralasien in eurer Mailbox? Abonniert unseren kostenlosen wöchentlichen Newsletter mit einem Klick.
The OMs erster Dank nach Veröffentlichung des Albums Anfang August ging an den kasachstanischen Musiker Mark Otpyatogo: „Eben dieses verrückte Genie hat mein neues Album produziert, gemischt und gemastert, UNSER neues Album… Er ist übrigens sehr geschmeichelt, dass euch der ‚Sound‘ gefällt!“
Tatsächlich lebt das nur gut 20 Minuten Lange Album von seiner Vielschichtigkeit. Eben die zahlreichen Stimmen und Toneinlagen im Hintergrund, wie auch die präzise eingesetzten Bässe verleihen The OMs gelungenem Debütalbum Charakter. Und es lohnt sich, mehrmals hineinzuhören, um auch wirklich alle Feinheiten und Nuancen zu erhaschen.
Das Album ist bei YouTube und auf allen gängigen Streaming-Plattformen zu hören.
Florian Coppenrath
Novastan.org
Noch mehr Zentralasien findet ihr auf unseren Social Media Kanälen, schaut mal vorbei bei Twitter, Facebook, Telegram, Linkedin oder Instagram. Für Zentralasien direkt in eurer Mailbox könnt ihr euch auch zu unserem wöchentlichen Newsletter anmelden.