Am 15. Januar organisierte der Novastan e.V. eine Online-Diskussion über die kurz zurückliegende Präsidentschaftswahl und das Verfassungsreferendum in Kirgistan. Dabei ging es vor allem um die Frage, wie der überraschende politische Aufstieg des neuen Präsidenten Sadyr Dschaparow erklärt werden kann. Die drei Vorträge in gekürzter Fassung.
Am 10. Januar hat Kirgistan einen neuen Präsidenten gewählt: Sadyr Dschaparow. Der Politiker, der bis Oktober noch im Gefängnis saß, hat innerhalb von Monaten das politische Feld monopolisiert und die Wahl haushoch gewonnen. Außerdem hat er ein Verfassungsreferendum initiiert, wonach Kirgistan bald ein präsidentielles Regierungssystem werden soll.
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Dschaparows Aufstieg ist nicht unumstritten und wurde von dezidierten, jedoch kaum einflussreichen Protesten begleitet. Die drei Teilnehmerinnen der Gesprächsrunde am 15. Januar beleuchteten unterschiedliche Aspekte seines politischen Aufstiegs: die geschickte Nutzung von sozialen Medien, die Manipulation von Genealogien und Traditionen und ein instrumentelles Rechtsverständnis. Die Vorträge gibt es hier zum Nachlesen.
Gulzat Baialiewa: „Seidenpopulismus oder Make Kyrgyzstan great again?“
Bei den politischen Ereignissen in Kirgistan im Vorlauf der Präsidentschaftswahl fanden sich die sogenannten „progressiven“ Gruppen und die Mittelschicht in einem Informationsvakuum. Sie hatten nicht erwartet, dass der einstige Gefangene Sadyr Dschaparow das Land regieren könnte.
In den ländlichen Gebiete war der Sieg Dschaparovs aber keine große Überraschung. Die kirgisischsprachigen Internetnutzer hatten schon vorher Vorstellungen über ihn und teils Sympathien für ihn. Allerdings ist dieser meteorische Aufstieg auf die Starke offline und online Arbeit seines Teams, Unterstützermedien und auf seine populistischen Methoden zurückzuführen. Populisten sind nicht an einem Erhalt oder einer Stärkung der Rechtsstaatlichkeit interessiert und neigen dazu, die etablierten Verfassungsnormen zu brechen, wie auch Dschaparow beweist.
Heute ist es keine Überraschung mehr, wenn ein Komiker, Rap-Sänger oder ex-Gefangener das Establishment herausfordert und das Volk direkt anspricht. Der zunehmende illiberale Populismus, der viele Länder bedroht, wird zum bevorzugten politischen Werkzeug vieler autokratisch gesinnter Politiker. Die politische Dynamik in Kirgistan zeigt, dass führende politische Akteure zunehmend eine populistische Sprache und polarisierende Strategien anwenden, um Macht zu erlangen. Der nationalistische Populismus ist zu einer dominanten politischen Kraft in Kirgistan geworden.
Der heutige globale Populismus ist auch mit der Macht von Social-Media-Plattformen verbunden. Diese spielen auch im politischen Alltag Kirgistans eine wachsende Rolle. Dschaparows intensive Präsenz auf verschiedenen Online-Plattformen und sozialen Medien während und nach seiner Zeit im Gefängnis kann uns helfen, seinen erstaunlichen Aufstieg zur Präsidentschaft zu erklären.
In Kirgistan gibt es eine sprachliche Trennung in sozialen Medien. Russischsprachige soziale Medien sind in der Regel auf die Mittelschicht und die Stadtbewohner ausgerichtet, während kirgisischsprachige soziale Medien Bewohner der Regionen und ländlicher Gebiete erreichen. Während die meisten russischsprachigen Nutzer Dschaparows Unterstützer als manipuliert und „ungebildet“ verurteilen, stellen die kirgisischsprachigen sozialen Netzwerke Dschaparow als Retter und Nationalheld dar. Die gesellschaftliche Polarisierung existierte jedoch schon vor Dschaparows Aufstieg und wird dadurch nur noch stärker.
Dschaparows Image wurde besonders von Unterstützergruppen gefördert, als er im Gefängnis saß. Es ist das Bild eines politischen Opfers, der unschuldig verurteilt wurde. Es gab auch einen vermeintlichen Selbstmordversuch, von dem die Leute glauben, dass er von den Behörden organisiert wurde. Darüber hinaus wurde seine persönliche Tragödie von seinen Anhängern verbreitet und erweckte Massen-Mitleid, als er seine beiden Eltern und einen Sohn während der Haft verlor.
Eine Menge Bilder und Videos zeigten seine politischen Engagements und sein Leiden um den Verlust seiner Familie. Diese zirkulierten in den sozialen Medien und waren in kirgisischsprachigen Portalen vefügbar.
Allerdings war diese koordinierte Arbeit nicht ausreichend, ihn so mächtig und erfolgreich zu machen. Sobald er aus dem Gefängnis entlassen war, wurde ein massives Trolling im Internet beobachtet. Organisierte „Trolle“ haben Dschaparows Gegner und Kritiker angegriffen und sie als „Verräter“, „Pro-Westliche-Leute“, „Volksfeinde“ und „LGBT-Aktivisten“ dargestellt. So manipulierten sie die öffentliche Meinung.
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Japarov hat neben seinem populistischen Anti-Establishment-Diskurs, radikale und selbstbewusste Handlungen zur Änderung der Verfassung, gelegentlich Sündenböcke gefunden und die alten Politiker beschuldigt.
Mehrere Untersuchungen zeigten,wie kirgisische soziale Medien funktionieren und wie sie unkontrolliert bleiben. Um zu untersuchen, wie Verfassungsreferendum auf Youtube diskutiert wurden, habe ich zusammen mit meiner Kolleginnen Janeta Jakypova eine Datenanalyse von fast 7.000 Kommentaren durchgeführt. Unter den 100 an den häufigsten verwendeten Worten findet sich keine Erwähnung von „Gesetz“, „Referendum“, „Verfassung“. Die Nutzer hatten keine klaren Vorstellungen zum Thema, angefeuert von Trolling und Fake-Accounts.
Außerdem stützte sich Dschaparows populistische Taktik auf gemeinsame kulturelle Erfahrungen, Symbole und bekannte Persönlichkeiten, wie zum Beispiel den sowjetischen Politiker Iskhak Razzakov. Der Höhepunkt war ein Auftritt von Theaterschauspielern, die sieben heilige Persönlichkeiten aus dem Ysyk-Köl aufführten. Japarov sollte als achter Heiliger dazu kommen. Die Inszenierung wurde später von der zentralen Wahlkommission geahndet.
Mit den vielen symbolischen Bezügen kann Dschaparows politische Strategie so als „Seidenpopulismus“ bezeichnet werden. Er spricht eine einfache Sprache, mit knappen Formeln und großen Versprechen. Er beginnt seine Reden mit zum Teil auch religiöser Symbolik. Er zeigt sich offen and informell in den sozialen Medien und bezieht sich ständig auf das Volk, den Willen des Volkes.
Es ist schwer, vorherzusagen, ob und wie er der Zukunft dienen wird. Er ist natürlich kein Einzelkämpfer, aber sein komplettes Team ist nicht sichtbar. Da er zurzeit kein Geschäft und keine bekannte Geldquelle besitzt, muss er große finanzielle Unterstützung von unbekannten Leuten bekommen, die im Verborgenen agieren und seine Aktivitäten unterstützen. Jedenfalls ist der neue nationalistisch-populistische Präsident Kirgistans Dschaparow ein Symptom – nicht die Ursache – einer weitreichenden soziopolitischen Krise.
Aksana Ismailbekowa: Von einem Nachfahren des Khans zum Präsidenten
Gulmira, eine Universitätsdozentin aus Osch, im Süden Kirgistans, ist seit Jahren unzufrieden mit der Politik des Landes. Am 10. Januar 2021 stimmte sie für bei der Präsidentschaftswahl für Sadyr Dschaparow: „Sadyr Dschaparow hat sehr unter juristischer Ungerechtigkeit gelitten, sowie unter dem Verlust seines Vaters, seiner Mutter und eines Sohnes“, erzählt Gulmira. „Er ist zu einem der lang erwarteten Söhne Kirgistans geworden, der gegen die ‚korrupten Eliten‘ kämpfen“ wird.
Ein Schlüssel zur Beliebtheit Dschaparows liegt in der Manipulation von Genealogien, der Verwendung von Verwandtschaft, persönlichem Leid und Symbolen, die in der kirgisischen Gesellschaft mitschwingen und seinen Anspruch auf Legitimität als Führer des Landes untermauern. Er positioniert sich als „eingeborener Sohn“, ein „einfacher Mann“: autoritär und doch legitim.
Manipulation von Genealogien
Im Wahlkampf haben Dschaparow und seine Anhänger Genealogien verwendet, um seinen Führungsanspruch zu untermauern. Im traditionellen kirgisischen Genealogieverständnis werden Personen nach Uruu und Uruk eingeteilt, also Verwandschaftsgruppen, die vor fünf bis sieben Generationen einen gemeinsamen Vorfahren haben. Die Genealogie wird dabei mündlich überliefert, in sogenannten Sandschyra. Eine gemeinsame Abstammung kann mitunter auch soziale, politische und wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen.
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Der Historiker, Sozialwissenschaftler und Journalist Kyias Moldokasymov veröffentlichte einen Artikel bei der Tageszeitung Wetschernij Bischkek, in dem er aufgrund „neuer“ Archivforschung über Genealogien behauptet, Dschaparow sei ein Nachkomme der Khans. Parallel dazu wird Dschaparows Abstammung in einem Video ausführlich erklärt. Moldokasymov erklärt darin, dass Dschaparows Urgroßvater Birnazar ein Biy (Richter) war, ein Mann mit vielen Kindern und großer Autorität. Dies untermaure auch Dschaparows legitimes Recht, das Land zu regieren.
Der Fall zeigt, dass es ein Wiederauftauchen der genealogischen Verbindung in Zeiten der Not gibt. Genealogien werden für politische Zwecke verwendet, um Dschaparow auf der Grundlage von Mythen und legendären Geschichten als quasi vorbestimmten Herrscher darzustellen.
Es ist daher wichtig, die kirgisische Sandschyra ernst zu nehmen. Sie basiert vor allem auf einer mündlichen Wiedergabe, die für politische Zwecke manipuliert werden kann. Es ist unmöglich, eine exakte Genealogie zu finden, da sie ständig von verschiedenen Akteuren manipuliert wird. Genealogien sind immer widersprüchlich und mehrdeutig. Die genealogische Konstruktion von Identität und die Aushandlung von Abstammungsidentität kann auch bei der Konstruktion von Patronage-Netzwerken helfen.
Von „eingeborenem Sohn“, Vorfahren und Pferden
Dschaparow stellt sich auch als sogenannter „eingeborener Sohn“ (Kirg. „Öz bala“) dar, ein „Sohn des Volkes“, der gegen „korrupte Eliten“ antritt. Führung wird also durch die Unterordnung an lokale Regeln (d.h. Verwandtschaft und Abstammung) erreicht, die den Menschen Kontrolle über ihren „eingeborenen Sohn“ versprechen, indem sie ihn ständig um Unterstützung und Gefälligkeiten bitten.
Durch die Verwendung des Begriffs „öz bala“ ist die Identität eines Menschen stark mit seiner Lokalität, seiner Abstammung und seinen Vorfahren verbunden. Als Dschaparow im Wahlkampf seine Heimatregion Yssykköl besuchte, verwendete er historische Persönlichkeiten wie die sieben Weisen „Dscheti ake“ und organisierte ein riesiges Spektakel, in dem er deren Segen inszenierte.
In der lokalen Geschichte wird beschrieben, dass „diese Menschen an den Ursprüngen der territorialen Integrität Kirgisistans im 20. Jahrhundert standen, die besten Söhne des Issyk-Kul Landes inspirierten und führten„. Durch das Spektakel mit verkleideten Schauspielern, die die Rolle der angesehenen geistigen Führer Dscheti Ake spielen, will er zeigen, dass er die Unterstützung der Vorfahren genießt.
„Razzakovs Hut“
Allerdings wechselt Dschaparow seine verschiedenen „Hüte“ je nach Kontext. Als er den Süden Kirgistans besuchte, zog er Parallelen zum einstigen ersten Sekretär der Kommunistischen Partei (1950-1961) Iskhak Razzakov und identifizierte sein Schicksal, sein politisches Ziel und seine Mission mit diesem angesehenen Staatsmann.
Weiter werden seine früheren „humanitären Hüte“ und Aktivitäten in den Medien verbreitet, ebenso wie emotionale Videos über sein persönliches Leid durch den Verlust von Vater, Sohn und Mutter. Das Leiden ist eine weitere Dimension, die an Dschaparow geschätzt und respektiert wird. Ohne Leiden, so heißt es, ist es schwierig, das wahre Leben der Menschen zu verstehen.
Schließlich nutzte Dschaparow wie auch manche anderen Politiker das Pferd in seiner politischen Kampagne. Die Symbiose zwischen den kirgisischen „Nomaden“ und dem Vieh hat eine starke sozio-kulturelle Bedeutung, als Indikator für sozialen Status, Wohlstand, Reichtum und erweiterte Netzwerke. Politiker nutzen solche Symbole als ein gemeinsames „kulturelles“ Bedeutungssystem, wonach Führung und Pferd untrennbar sind. Sie führen dieses Bild aus, indem sie das Pferd in politischen Kampagnen reiten.
Um zu verstehen, warum die Menschen Dschaparow trotz seiner Verletzung der Rechtsstaatlichkeit unterstützen, ist es wichtig, die informellen engen kulturellen und sozialen Bindungen zwischen Staatsoberhäuptern und einfachen Menschen zu betrachten. Die Persönlichkeiten und Schwierigkeiten der Menschen stimmen mit dem Oberhaupt der potenziellen Staatsmacht überein und die Menschen beginnen sich mit dieser Person zu identifizieren, aufgrund der historischen Erinnerung, der Verwandtschaft und der Symbole. All diese Aspekte tragen zur Mobilisierung bei.
Einerseits verstehen die Befürworter Dschaparows nicht, dass die geplanten Verfassungsänderungen in Kirgistan eine autoritäre Herrschaft etablieren könnten. Andererseits müssen Dschaparows Gegner verstehen, dass der bereits existierende Autoritarismus und das tief verwurzelte Patriarchat, die starke Abstammung und die Manipulation der Genealogie nicht verschwinden und immer wieder auftauchen werden, wann immer es nötig ist.
Doch in Zeiten, in denen der Rechtsstaat nicht funktioniert und die Menschen der Ungerechtigkeit der Justiz überdrüssig sind und dem Staat nicht mehr vertrauen, beginnen sie, einheimische Söhne wie Dschaparow zu unterstützen. Sie suchen dabei Gerechtigkeit und hoffen auf Veränderung.
Mahabat Sadyrbek: Die Aufgezwungene Verfassungsänderung in Kirgistan
Am 10. Januar haben die Menschen zwei Stimmen abgegeben, einmal für den Präsidentschaftskandidaten, und einmal für die neue Verfassung, die die parlamentarische Republik wieder in ein präsidentielles Regierungssystem verwandeln soll.
Sobald Dschaparow im dritten Versuch zum Premierminister ernannt wurde, sprach er gleich zwei Forderungen aus: als erstes die Abdankung des Präsidenten Sooronbaj Dscheenkebow und als zweites, auf „Ersuchen des Volkes“, eine Verfassungsänderung. Dies wurde von ihm als das einzige Mittel im Kampf gegen die Korruption in staatlichen Strukturen und gegen die Verantwortungslosigkeit der Politiker präsentiert.
Obwohl eine häufige Konstitutionsänderung keinem Rechtssystem guttut, scheint diese inzwischen neben den gewaltsamen Machtwechseln ein Merkmal der kirgisischen Politik geworden zu sein. Seit 1991 gab es insgesamt zehn Änderungen an der Verfassung, die meisten unter Askar Akajew (1991-2005). Die grundlegendste Veränderung fand 2010 während der Übergangsregierung von Rosa Otunbajewa statt, als die Rechte des Präsidenten zugunsten des Parlaments stark eingeschränkt wurden.
In der gegenwärtigen Situation scheint es allein Dschaparows persönliche Initiative zu sein, die rechtliche Grundordnung des Staates erneut zu ändern. Diese war auch keine Vordergründige Forderung der Proteste, die Anfang Oktober stattgefunden haben. De jure haben der Premierminister der Übergangsregierung und der Interimspräsident kein Recht, solche grundlegende Gesetzesänderungen einzuleiten und ein Referendum einzuberufen. Sein Vorhaben wurde aber von den Abgeordneten aktiv unterstützt und rigoros vorangetrieben.
Dabei war das Parlament auch nicht berechtigt, mit der offiziell abgelaufenen Amtszeit, Änderungsanträge anzunehmen und neue Gesetze zu verabschieden. Dabei wurden sowohl die Parlamentsordnung als auch Gesetzgebungsverfahren mehrfach verletzt: Zum Beispiel gab es keinen Beschluss der Verfassungskammer der Kirgisischen Republik zu der Initiative, kein Beratungs- und Besprechungstreffen mit den unabhängigen Experten, Fachleuten, Parlamentsabgeordneten und vor allem mit denjenigen, die hinter den geschlossenen Türen neue Änderungen geschrieben haben.
Die ganzen Verstöße und die Verfassungsunmäßigkeiten sind auch in so einem Dringlichkeitsbeschluss der Venedig-Kommission festgehalten, aber die Initiatoren haben sich darüber hinwegsetzt. Und das Ergebnis kam am 10. Januar: Ein außerplanmäßiges, aufgezwungenes Express-Referendum, an dem weniger als 40 Prozent der Wahlberechtigten teilnahmen.
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Inhaltlich betreffen die vorgenommenen Änderungen die Erweiterung der Präsidentengewalt, die Einführung eines „Volksrates“, die Umstellung des Parlaments und einige Rechte und Freiheiten der Bürger:
- Der Präsident kann für zwei Amtszeiten gewählt werden und fast uneingeschränkte Exekutivgewalt ausüben. D.h. die Regierungsbildung bestimmen, Gesetzesvorlagen einleiten, die Sicherheits- und Verwaltungsräte sowie die Nationalarmee leiten, die Richter und Vorsitzenden der Gerichte ernennen.
- Unterstützt wird er bei all seinen Entscheidungen vom sog. Kurultai (Volksrat), der mit zweieinhalbtausend Mitgliedern einmal im Jahr mit ihm zusammentrifft. Angeblich sind es die Volksvertreter auf den mehreren Verwaltungsebenen. Wie sie aber ausgewählt werden, ist nicht genau spezifiziert.
- Die Zahl der Parlamentarier ist von 120 auf 90 reduziert. Diese werden durch die Mehrheitswahl gewählt und ihre Befugnisse sind zugunsten des Präsidenten sehr verringert. So wie jetzt aussieht, sind kaum Kontrollmechanismen vorhanden, um einen Machtmissbrauch durch den Präsidenten zu verhindern.
- Zu den kritischen Änderungen gehören ebenfalls Maßnahmen, die gedruckte und elektronische Veröffentlichungen in Medien und öffentliche Veranstaltungen verbieten, die allgemein anerkannten moralischen Werten und Traditionen der Menschen in Kirgistan zuwiderlaufen. Diese Punkte sind sehr vage formuliert.
- Einige Klauseln sind – im Vergleich zur geltenden Verfassung – verschwunden, beispielsweise die Definition der Kirgisischen Republik als säkulareb Staat und die Rechte der Bürger bezüglich der Informationsbeschaffung. Des Weiteren sind auch die Bestimmungen über die Sklaverei, Kinder- und Zwangsarbeit, sowie den Menschenhandel entfernt worden.
Was für ein Ergebnis folgte nun den ganzen Unruhen und Protesten? Es war ein erneuter ungünstiger Machtwechsel und ein erneuter Versuch, die Verfassung als Instrument für die Erweiterung der Exekutivgewalt einzusetzen. Dschaparow hat die Wut der Bevölkerung gegen das von Korruption überschattete Parlament sehr geschickt für die Konstitutionssänderung verwendet.
Der Parlamentarismus wurde mit dem chaotischen, verantwortungslosen Zustand und dem gescheiterten Demokratie-Experiment gleichgesetzt. Dementsprechend hat sich die Bevölkerung Kirgistans im Referendum für ein Präsidialsystem entschieden. Damit sind viele Fortschritte in Richtung Demokratie, die in den letzten fünfzehn Jahren hart erkämpft und erreicht wurden, rückgängig gemacht worden.
Gulzat Baialiewa, Aksana Ismailbekowa und Mahabat Sadyrbek
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