Es gibt unzählige Möglichkeiten, um junge Menschen zu fördern. Eine in vielen Ländern praktizierte Variante ist das Veranstalten von Wissenschaftsolympiaden: Dabei werden besonders begabte Jugendliche ausgesucht, die anschließend durch finanzielle Unterstützung von Seiten des Staates zum Motor von Wissenschaft und Technik werden sollen. In Tadschikistan fand im April das Landesfinale der geisteswissenschaftlichen Olympiade statt, ob die Auszeichnungen aber wirklich an die besten Teilnehmer gingen, ist fraglich.
Wissenschaftsolympiaden habe eine lange Tradition. Bereits im 13. bis 18. Jahrhundert fanden Mathematikwettbewerbe statt, an denen junge Wissenschaftler wie Fibonacci,Tortalia, Bernoulli, EIler, Leibniz und Newton teilnahmen. Diese Wettbewerbe hießen „Olympiade durch Briefe“, weil große Wissenschaftler den jüngeren Aufgaben per Post schickten. Wer als erster alles gelöst hatte, der war der Gewinner.
Im Jahr 1934 fand in Leningrad (heute Sankt Petersburg) zum ersten Mal eine Olympiade für Mathematik statt. Teilnehmen konnten Schüler aus der ganzen Sowjetunion. Die Matheolympiade fand von da an regelmäßig statt und wurde rasch zur Tradition. Ab den 60er Jahren führte man städtische, regionale und landesweite Olympiaden in allen Fächern durch.
Bis heute sind die Wettbewerbe in allen GUS-Staaten sehr populär. Mittlerweile werden sie nicht mehr nur an Schulen sondern auch an den Universitäten der Republik organisiert; dabei wird zwischen geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Olympiaden unterschieden.
Neben dem Ansporn, sich Wissen anzueignen und die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln, dienen die Olympiaden den Studierenden auch zur Berufsberatung. Zudem offenbaren sie die Besten der Studierenden, denen sodann passende Hochschulen empfohlen werden können. Olympiaden zwischen Schülern und Studenten leiten immer nur die Bildungsministerien.
Startschwierigkeiten beim Wettbewerb in Chudschand
Am 25. April 2014 fand in der Stadt Chudschand in Tadschikistan das Landesfinale der Olympiade für Geisteswissenschaften statt. Dazu kamen die Gewinner der Spiele zwischen den Fakultäten der einzelnen Universitäten in diese Stadt im Norden des Landes. Jeder Teilnehmer bekam 300-400 TJS (45-60 EUR) für Reisekosten und Verpflegung.
Die meisten Teilnehmer brauchten viele Stunden für die Fahrt, weshalb sie schon am Vortag zu der Olympiade anreisten und sich WG-mäßig in der Chudschander Uni einrichteten. Allerdings gab es in der vom Bildungsministerium organisierten Unterkunft zunächst kein Wasser. Erst gegen 1 Uhr nachts wurde die Wasserversorgung ausbessert. Nach 2 Stunden Schlangestehen konnten die letzten sauber ins Bett gehen, um schon drei Stunden später aufzuwachen.
Am Tag des Wettbewerbs sollten sich alle um 7 Uhr vor dem Gebäude der Tadschikischen Staatlichen Universität für Recht, Business und Politik einfinden. Doch die Registrierung der Teilnehmer begann erst um 9 Uhr. Junge Konkurrenten – Freunde, Nachbarn und Verwandte aus verschiedenen Städten Tadschikistans – wollten alle den ersten Platz bekommen und warteten gespannt auf den Beginn des Wettkampfs.
Um 10:30 Uhr wurde die Olympiade offiziell von Rahmatullo Mirboboev, dem Stellvertreter des Bildungsministers, eröffnet. Nachdem alle Teilnehmer einer Studienrichtung jeweils nach Haupt- und Wahlfach in Gruppen eingeteilt worden waren, durften sie schließlich in ihre Auditorien gehen. Mit einiger Verzögerung konnte der Wettkampf beginnen.
Zu kompliziert für die Besten der Besten
Doch der Wettbewerb konnte keineswegs die Erwartungen aller Teilnehmer erfüllen. Vom Test in der Disziplin „Russisch“ etwa berichtet eine Teilnehmerin, die anonym bleiben möchte: „Das Diktat für die russische Sprache hat uns eine Lehrerin geben, die an der Gastgeberuniversität unterrichtet. Sie laß viel zu klar, jedes Wort Silbe für Silbe betont, wie für einen Schüler der 1. Klasse, und mit allen Kommas.“ Die Studentin kritisiert nicht nur den Diktierstil, sie empfand auch den weiteren Verlauf des Wettbewerbs als unfair: „Nach dem Diktat kam die Ausschussvorsitzende des Fachs „Russische Sprache und Literatur“ persönlich ins Auditorium und teilte die Testfragen aus. Insgesamt waren es 30 Fragen. Ungefähr eine Stunde später kam die Vorsitzende mit einem kleinem Blatt Papier zu dem Mädchen, das neben mir saß.“ Der Zettel sei für sie beide, habe die Frau gesagt. „Ich hatte diese Frau noch nie gesehen und habe nicht verstanden, warum sie uns hilft,“ erzählt die Teilnehmerin. Doch später habe sich herausgestellt, dass sie die Lehrerin ihrer Banknachbarin, Sarvinoz*, sei.
Nach Informationen von Novastan gab es im Fach „Russisch“ weitere Unregelmäßigkeiten: kurz nach dem ersten Zwischenfall seien noch zwei Lehrerinnen der Chudschander Universität in den Seminarraum gekommen. Sie hätten sich leise sprechend zu einer Gruppe an den Tisch gesetzt und angefangen, den Test selbst zu schreiben. Nach kurzer Zeit hätten sie den Studenten so sechs Antworten gesagt. Anscheinend dachten sie, dass es viel zu kompliziert für die Besten der Besten des Landes sein könnte. Alle mit Vorwürfen belasteten Lehrer sind wissenschaftliche Betreuer eines der anwesenden Studenten, von denen zwei im Finale Plätze auf dem Siegertreppchen belegten. „Meine Nachbarin, sie studiert an der Universität Chudschand, hat das ganze Diktat aus dem Handy abgeschrieben. Sie hatte mir so dumme Fragen aus dem Test gestellt, und nach den ersten Resultaten hat sie den dritten Platz bekommen. Das kann doch nicht sein!“, erzählt Dilbar* weinend.
Nach lauten Auseinandersetzungen der Lehrer wegen der ungerechten Auszählung der Punkte, wurden alle Antwortbögen von der Ausschussvorsitzenden des Fachs „Russische Sprache und Literatur“ erneut kontrolliert und geprüft. Allerdings von eben jener Vorsitzenden, die ein paar Minuten früher ihrer Studentin Sarvinoz in der Olympiade geholfen hatte.
Drei Medaillen, drei Unis, aber vier Gewinner
Die Siegerehrung fand noch am gleichen Tag um 20:30 Uhr statt. Drei Studentinnen erreichten die gleiche Punktzahl. Trotzdem bekam nur eine von ihnen – die Studentin, die an der Universität, an der die Olympiade läuft, studiert – den ersten Platz. Auf die Frage, warum es kein Stechen zwischen diesen Studentinnen gegeben habe, antworteten die Lehrer der Chudschander Universität: „Wir sind hier bei uns zu Hause, und ihr seid als Gäste bei uns. Wenn wir ihr wären, würden wir nicht streiten“.
Ähnliches ist wohl auch vor einem Jahr geschehen, als die landesweite Olympiade in der Stadt Qurghonteppa der Provinz Khatlon durchgeführt wurde. Eine Lehrerin der Universität Duschanbes sagte, dass es eine Art Übereinkommen unter einigen Fächern gab, dass Khatlon die meisten Medaillenplätze bekommt. „Also, es ist immer so: wenn die Olympiade in Duschanbe stattfindet, dann sind die Gewinner aus Duschanbe, und genauso ist es in Chudshand“.
Letztendlich sah das Ergebniss der Russischolympiade so aus:
1.Platz – 34 Punkte – Chudshand – 1.000 TJS (150 EUR) Preisgeld
2.Platz – 34 Punkte – Duschanbe – 800 TJS (120 EUR) Preisgeld
3.Platz – 34 Punkte – Duschanbe – kein Preis
0.Platz – 33 Punkte – Duschanbe – kein Preis, kein Platz – Dilbar
3.Platz – 32 Punkte – Duschanbe – 600 TJS (90 EUR) Preisgeld – Sarvinoz
Dilbar hat keinen Platz gewonnen, obwohl sie mehr Punkte als Sarvinoz hatte. Begründet wurde dies mit der Behinderung von Sarvinoz: Sie hat nur ein funktionstüchtiges Bein. Man „schenke“ der Schwerbeschädigten jährlich den 3.Platz und das Preisgeld, um sie für das nächste Jahr motivieren.
„Ich verstehe das nicht, wir haben hier doch keine Paraolympiade! Wir wetteifern hier mit unseren Kenntnissen, Dauervorbereitung und mit der hartnäckigen Arbeit der Studenten und Lehrer. Auch Sarvinoz wusste, wohin sie fährt“, empört sich eine Studentin lautstark.
Unzufriedenheit unter den angereisten Teilnehmern
Auch in den anderen Fächern der Kategorie Hauptfach, bekamen Vertreter der Provinzhauptstadt im Norden die ersten Plätze, nur im Fach „Geschichte des tadschikischen Volkes“ gewann ein Student aus der Universität aus Duschanbe mit einem Abstand von 12 Punkte den ersten Preis.
Um 10 Uhr am nächsten Tag wurde die ganze Gewinnerliste veröffentlicht. Eine Stunde später konnten die, die mit den Ergebnissen nicht einverstanden waren, Berufung einlegen. Aber die Berufung war rein formell und konnte nicht auf die Resultate einwirken. Zum Beispiel versammelten sich 12 Studenten, die eine Berufung für das Fach „Englisch als Hauptfach“ eingelegt hatten, in einem Raum. Eine Lehrerin, Mitglied des Ausschusses, erklärte: „Eine Studentin hat in der Olympiade für „Englisch als Wahlfach“ teilgenommen, doch sie studiert Englisch im Hauptfach. Wir haben sie gecancelt. Jetzt seid ihr alle frei. Bitte schön“. Mit dieser Mitteilung verabschiedete sich das „Gericht der Gerechten“, und alle wurden gebeten, in den Saal für die Preisverleihung zu gehen.
Die Teilnehmer aus Duschanbe, sowie aus verschiedenen Städten der Provinzen Khatlon und Badachschan nahmen nicht an der Verleihungszeremonie der „richtigen Gewinner“ teil. Stolz aber allein feierten die Gastgeber ihren „Gewinn“ unter sich.
Die Spiele sind vorbei und die Gewinner haben die Gratulationen entgegengenommen. Über die vertraglichen Wettkämpfe, also abgesprochene Siege, zu sprechen, bedeutet nicht das Rad neu zu erfinden. Eine alte Lehrerin saß mit ein paar Studenten und Lehrern in einem großen Auditorium, weinend teilte sie ganz leise ihre Meinungen und Gedanken mit: „Die Gewinner der wissenschaftlichen Olympiaden zwischen den Hochschulen sind das zukünftige Potential der Wissenschaft und Bildung meines Landes. Wie kann sich das Land entwickeln, wenn diejenigen, die ihre Kenntnisse teilen und Bildung an die Leute tragen sollen, diejenigen sind, die heute Gewinner wurden? Pech, so ein Pech.“ Ohne hartnäckigen Kampf entwickele sich die Wissenschaft nicht. Denn geniale Persönlichkeiten und Nobelpreisträger würden da geboren, wo wissbegierige Geister aufeinander träfen, wo harte Kämpfe für das Erreichen des menschlichen Verstandes durchgeführt würden, meint die Lehrerin. „Aber da, wo alles schon klar ist, da herrschen Pseudowissenschaft und Pseudolehren und so erschleichen sich manche in jüngstem Alter Erfolge durch Abschreiben und Betrug. Das alles bringt das Land zum Rückschritt“.
Text und Bilder von Alin Kor
Journalistin für Novastan.org
Redaktion: Sophia Sotje
* – der Name wurde geändert