Vor 80 Jahren fanden Geologen nicht weit von Taschkent die größte Braunkohlenlagerstätte in Zentralasien. Am 29. September 1940 begann man diese Lagerstätte zu entwickeln: Man gründete die Siedlung Angrenschachtstroj, als Zentrum der Siedlung wurde das Dorf Teschik-Tasch – „Löcheriger Stein“ ausgewählt. Bergleute wurden geschickt, um die Kohle abzubauen. Es stellte sich heraus, dass der Ort nicht nur an Kohle reich war: man fand Gold, Kaolin und einige andere Mineralien. Die Anzahl der Gruben nahm zu.
Anfangs arbeiteten nur etwa 300 Menschen an der Lagerstätte. Aber viele konnten den verlockenden Vorteilen einfach nicht widerstehen und so zogen auch ihre Familien nach Angrenschachtstroj. Die Arbeiter erhielten Gehaltszulagen, Wohnungen, eine zusätzliche Ration, Versorgung mit Mangelwaren. Diese Praxis galt in allen ähnlichen Städten der ehemaligen Sowjetunion: Die Regierung ermutigte die Menschen, in sich entwickelnde Regionen zu ziehen um dorthin Fachleute anzulocken. Die gewöhnliche Arbeitersiedlung wuchs so stark, dass sie ab dem 13. Juni 1946 offiziell zur Stadt wurde.
Ein Industriezentrum entsteht
Im Laufe der Zeit wurde Angren zu einem Transitpunkt zwischen dem Fergana-Tal und dem Rest Usbekistans. Es gab einfach keine anderen Routen, denn zu beiden Seiten liegen hohe Gebirgsketten. Die Stadt liegt in der Nähe eines Flusses und darum entstanden viele Unternehmen der Schwerindustrie, unter anderem Buntmetallwerke, Goldabbau und eine Rohrwalzanlage. Heute arbeiten viele von ihnen immer noch, wenn auch nicht in solchen Mengen wie zuvor.
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Viele träumten davon, nach Angren zu gehen. Spezialisten aus verschiedenen Berufen kamen aus der ganzen Sowjetunion und alle waren gefragt: Lehrer, Ärzte, Chemiker, Geologen, Metallurgen, Erdölarbeiter – jeder hatte einen Job. Die Stadt wurde nach dem typischen Bauplan für Industriestädte gebaut: gleiche Häuser, gerade Straßen, Unterteilung in Mikroviertel.
Einen privaten Innenhof in der Stadt zu finden, ist eine Seltenheit. Es gibt nur Plattenhochhäuser. Öffentlicher Nahverkehr wurde eingerichtet, es gab mehrere Busse. Ihre Routen führten alle durch die Stadt zu Industrieunternehmen. Ein Märchen für die Arbeiter.
Wie ist die Stadt heute?
Die Kohlengrube, aus der man 96-98 Prozent der Braunkohle des Landes abbaute, ist immer noch in Betrieb. Sie verfügt über alte Geräte, Bagger und Förderbänder: alles, was noch aus der Sowjetzeit blieb. Obwohl in den Jahren 2002-2003 deutsche Ausrüstung hierher hingebracht wurde, war diese jedoch allmählich kaputt, als die Garantiezeit endete. Teure Ersatzteile und die Kosten für Dienstleistungen von ausländischen Experten – das sind die Gründe, warum dieser Komplex heute fast nicht mehr funktioniert.
Gold wird in Angren heute immer noch abgebaut. Niemand nennt genaue Mengen, aber das Unternehmen ist in Betrieb. Allerdings gehört zurzeit ein Teil des Territoriums dem Werk „Angren Kuvur Zavodi“, das Kupferrohre produziert.
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Zwei alte Unternehmen arbeiten weiterhin in der Stadt: „Radiergummi“ („Rezinka“) und „Kartonka“, wie die alten Leute für gewöhnlich sie nennen. Dies sind das Werk für Gummiwaren und Angren PACK, ein Hersteller von Kartons und Verpackungen. Vor kurzem erschien in der Stadt das neue Unternehmen National Ceramics. Die chemisch-metallurgische Anlage produziert elektrische Kabel.
In Angren gibt es die einzige Gasproduktionsstation des Landes, die die Methode der unterirdischen Pyrolyse von Kohle einsetzt. Die Unternehmen arbeiten, aber das Produktionsvolumen ist gering. Immer mehr Arbeitsräume werden vermietet oder sie werden für die Herstellung anderer Produkte benutzt, beispielsweise von Energiesparlampen. Gehaltsverzögerungen, alte Geräte und leere Werkstätten deuten darauf hin, dass die Produktion kaum die Kosten deckt.
Wie leben die Menschen?
Dies ist wohl der schwierigste Teil der Geschichte. Die Bevölkerung wuchs von 300 Bergmännern auf fast 180.000 Menschen. Am Eingang der Stadt steht eine Stele mit der Aufschrift „Angren“, die manchmal bemalt wird. Dahinter funkelt ein neues Bankgebäude vor dem Hintergrund der wackligen Zäune des Privatsektors. Dies ist die Vorstadt. Der Bahnhof liegt an der Hauptstraße. Vor kurzem begann man ihn zu renovieren.
Die Wohngebiete sind eine Art Zeitmaschine, die irgendwo in den 70ern steckengeblieben ist. Die Geschichte der Stadt erstarrte in den kaputten Straßen, die die Mikrodistrikte trennten. Verlassene neunstöckige Häuser fallen überall auf. In diesen Häusern gibt es keine Fenster, Türen, Kabel. Die Einheimischen stahlen alles in der Hoffnung, es an jemanden verkaufen und Geld verdienen zu können.
Der geschäftigste Ort der Stadt ist der Basar. Er wird renoviert und bald entsteht in der Stadt ein neuer Markt. Trotz der Tatsache, dass es immer noch Industrieunternehmen in der Stadt gibt, ist die Arbeitslosenquote sehr hoch. Das Durchschnittsalter der Stadtbevölkerung erhöht sich jedes Jahr, viele Menschen wollen die Stadt verlassen. Dafür kommen Menschen aus den Nachbardörfern an den verlassenen Orten an und füllen somit die Bevölkerung ein wenig auf.
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Diejenigen, die jetzt in der Nähe von der Kohlengrube leben, hatten etwas mehr Glück als die übrigen. Sie sammeln Kohle, die von den Güterwagons fällt, und verkaufen sie an der Autobahn. Natürlich gibt es Arbeit in der Stadt, aber nicht genügend. Wie die Einheimischen sagen, nimmt die Kriminalitätsrate in der Stadt wegen der Arbeitslosigkeit zu.
In Angren gibt es ein Denkmal für die Teilnehmer am Krieg in Afghanistan. Einmal im Jahr, am Tag des Abzugs sowjetischer Truppen aus Afghanistan, versammeln sich dort die Veteranen: sechs Menschen.
In der Nähe befindet sich im ersten Stock eines Wohngebäudes die Notaufnahme der Stadt. Die Stadtverwaltung ließ sich gegenüber dem Bahnhof nieder. Und ringsumher liegen die verlassenen Wohnungen oder ganze mehrstöckige Gebäude, in denen einst jemand lebte.
Gelegentlich gehen unter den Einwohnern Gerüchte herum, dass eine man vorhabe, die Route der Großen Seidenstraße wiederzubeleben und in Angren ein Handelszentrum zwischen der Hauptstadt und dem Fergana-Tal aufzubauen. Die Menschen sind begeistert, hoffen dass neue Verkaufsstellen entstehen und mehr Touristen kommen. Dann, so sagt man, werden die Kosten für Wohnungen steigen und man kann sie verkaufen und die Stadt verlassen.
Hat die Stadt eine Chance?
Im Jahr 2012 erschien auf Verordnung des Präsidenten die Freihandelszone „Angren“. Es war geplant, dass Vorzugsrechte ausländische Investoren hierher anziehen werden, was neue Arbeitsplätze und die Industrieentwicklung sichern sollte.
Es stellte sich jedoch heraus, dass moderne Technologien im zunehmenden Maße in die Automatisierung übergehen, die den Eingriff des Menschen in den Arbeitsprozess reduziert. Auch wenn neue Arbeitsplätze entstanden sind, sind es nicht viel. Der größte Teil der arbeitenden Bevölkerung der Stadt hat das gleiche Ziel – die Stadt zu verlassen.
Grigorij Kravets auf Citizen
Aus dem Russischen von Esmira Saudkasowa
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