Je höher das Entwicklungsniveau ist, desto mehr häuft sich in Kirgistan der Abfall. Die Behörden kämpfen darum, genügend effiziente Abfallverwertungsanlagen zu schaffen, doch dies führt zu gesundheitlichen und ökologischen Problemen. Eine Analyse.
Die Organisation der Abfallwirtschaft entwickelt sich in Kirgistan immer weiter zur Herausforderung. Nach Angaben kirgisischer Behörden produziert jeder Einwohner des Landes 211 Kilogramm Müll pro Jahr (zum Vergleich: in Deutschland sind es 626 kg). Nach Angaben des kirgisischen Statistikamtes kam das Land, das zu den ärmsten in Zentralasien zählt, 2016 auf über 1,2 Millionen Tonnen festen Haushaltsmüll. Aber nur die größten Städte verfügen über die nötige Infrastruktur zur fachgerechten Entsorgung. In den Dörfern kümmern sich die Einwohner selbst darum.
Es gibt noch immer kaum Lösungen für die Abfallverwertung. Selbst die Einrichtung von Mülldeponien, wo Müll durch Ablagerung beseitigt wird, ist ein Wunschtraum: Von den 386 von den Behörden identifizierten Deponien sind 333 illegal, das heißt, sie haben keine Genehmigung der Kommunalregierung.
Problematische Deponien
Selbst in den Städten ist die Lage bei weitem nicht optimal. Deponien verursachen ökologische, gesundheitliche und hygienische Probleme. Die Risiken sind umso höher, als die Zahl der Dörfer im Speckgürtel der Großstädte seit den 2000er Jahren stark zugenommen hat, da eine Welle der Landflucht einsetzte. Einige der neuen Dörfer liegen genau an den Mülldeponien, die zu Sowjetzeiten noch weit entfernt von den großen Städten eingerichtet wurden.
Doch durch die Ausdehnung der Städte und ihrer Vororte befinden sich die Deponien immer näher an dicht besiedelten Gebieten. Es ist zwar verboten, Häuser im Umkreis von fünf Kilometern an einer Verbrennungsanlage zu errichten, trotzdem findet man immer wieder Dörfer bei Bischkek und Osch, die genau in diesen Arealen angesiedelt sind.
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Deu ist eines dieser unerlaubten Dörfer. Es steht ganz in der Nähe der Verbrennungsanlage von Osch im Süden des Landes und zählt schon einige Familien, die ohne Genehmigung gebaut haben.
Städtischer Wachstum holt die Deponiestandorte ein
Nach aktuellen Angaben des staatlichen Gesundheits- und Epidemologiezentrums liegen in Kirgistan 31 Hausmülldeponien mitten in städtischen Gebieten, von denen die Hälfte (55 Prozent) nicht die geltenden hygienischen Standards erfüllt.
Große Deponien in Kirgistan stellen somit gesundheitliche Probleme dar und bedrohen die Umwelt. Der Bereich der Deponien wird nicht vollständig geschützt. Dadurch gelangen Papier- und Plastiktüten ins Freie und zerstören die Biodiversität und die Schönheit der nahe gelegenen Natur.
Laut Gesetz müssen Hausmüllunternehmen diese Bereiche desinfizieren, doch infolge des Ausbaus der Müllverbrennungsanlagen und mangelnder Ressourcen werden nicht alle Abfälle beseitigt. Die Deponie von Tscholpon-Ata, der größten touristischen Stadt neben dem Issikkölseeim Osten des Landes, liegt an einem Berg unterhalb der Stadt. Wenn es regnet, vermischt sich das Wasser der Mülldeponie mit dem Fluss und fließt in den See ab.
Eine gefährliche Situation für die Einwohner
Auch für Einwohner wird die Situation immer unangenehmer. Rosa Tachtanova, Chefärztin in Deu, stellt fest, dass immer mehr Menschen an Asthma und Durchfall leiden.
In der östlichen Stadt Karakol fanden Forscher der Tynystanov-Universität heraus, dass die Konzentration der Schwermetalle in der städtischen Deponie viel zu hoch ist. Die Zinkkonzentration beispielsweise betrug im Boden bis zu 200 mg/kg, während die erlaubten Höchstwerte für diese Region bei 40 mg/kg liegen. Die Schwermetalle sind bereits in geringen Mengen giftig und dringen durch den Boden bis hin zum Grundwasser.
Die Situation wird immer schwieriger. Nach Angaben des Statistikamtes von Kirgistan entsprach die Einwohnerzahl der Hauptstadt Bischkek und der zweitgrößten Stadt Osch am 1. Januar 2018 mehr als einem Viertel der Gesamtbevölkerung, also 1,5 Millionen Menschen. Beide Städte wachsen von Jahr zu Jahr. Dieses Bevölkerungswachstum ist zwangsläufig mit einem Anstieg der Abfallmengen in diesen Städten verbunden.
Die Abfallwirtschaft wird reguliert aber nicht befolgt
Trotz der chaotischen Situation ist die Abfallordnung im kirgisischen Recht gut definiert. Seit Mai 2015 schreibt ein vom ehemaligen Präsidenten Almasbek Atambajew unterzeichnetes Gesetz eine Geldstrafe für die Aufbewahrung und Verbrennung von Abfällen an Orten vor, die nicht für diesen Zweck vorgesehen sind. Darunter zählen etwa öffentliche Orte wie Parks oder Straßenränder.
Verändert hat sich allerdings noch nichts. Und das aus gutem Grund: Die Geldstrafen werden nur selten erhoben und noch viel seltener tatsächlich bezahlt. Journalistin und Verlegerin von „Vesti“, einer kirgisischen Nachrichtenseite, sind vor allem um den Issikkölsee Naherholungsgebiete, öffentliche Plätze und Straßen von Müll geradezu verschüttet.
Bischkek scheitert an der Herausforderung
Im September 2015 empfahl Almazbek Atambajew dem damaligen Bürgermeister von Bischkek, Kubanytschbek Kulmatow, zurückzutreten, falls er die Sauberkeit in der Stadt nicht wiederherstellen sollte. Durch diesen Druck von offizieller Seite ist die Lösung der Abfallfrage in den letzten fünf Jahren zu einer Hauptaufgabe geworden, vor allem die Frage nach den Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter des kommunalen Hausmülldienstes.
Folglich stiegen 2016 die Löhne der Angestellten von Tazalyk-Bischkek, dem größten kommunalen Müllunternehmen Kirgistans, um das 2,5-fache. die Mitarbeiter länger an ihren Posten zu halten.
Außerdem konnte Tazalyk-Bischkek 2014 mithilfe von Krediten der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung neue Müllwagen und moderne Container für die Stadt Bischkek kaufen. Mehr als 40 modernisierte Lkws wurden bestellt, um den Müll aus den neuen Müllcontainern, die in der Hauptstadt aufgestellt wurden, zu verladen.
Trotz der Versuche, die Arbeitssituation der Fahrer und Müllmänner von Tazalyk-Bischkek zu verbessern, bleibt die Situation der Abfallentsorgung in den abgelegenen Vororten Bischkeks und in den Dörfern Kirgistans beklagenswert. Kulmatow trat schließlich am 6. Februrar 2016 von seinem Amt zurück, obwohl der offizielle Grund nicht mit der Abfallwirtschaft zusammenhängt.
Dörfer in Grauzonen
Die Situation in Bischkek spiegelt bei Weitem nicht die Realität des gesamten Landes wider, dessen Bewohner zu 66 % in Dörfern wohnen. In diesem Bereich ist die Abfallwirtschaft eine der noch ungelösten Herausforderungen. Die Bewohner ländlicher Regionen kümmern sich ausschließlich selbst um die Beseitigung ihres Mülls, den sie entweder verbrennen oder in ihren Gärten kompostieren. Tatjana Poletajewa aus . Alles andere wird in ihrem Garten verbrannt.
Zahlreiche Studien belegen, dass durch die Verbrennung von Abfällen in nicht ausgewiesenen Anlagen giftige und umweltschädliche Stoffe freigesetzt werden.
2016 starteten Jugendliche in At-Baschy, einer Ortschaft in Zentralkirgistan, ein Projekt und erhielten vom kirgisischen Institut für Jugendentwicklung Geld für das Aufstellen von Mülltonnen in ihrem Dorf. Bisher wurde aus dem Projekt jedoch noch keine Bilanz gezogen.
Wirtschaft und Zivilgesellschaft übernehmen die Verantwortung
Während Haushaltsabfälle in den Städten bereits gesammelt werden, gibt es in den Siedlungen noch kein Sortiersystem. Um diese Lücke zu schließen, arbeiten einige Unternehmen in Kirgistan an der Schaffung einer Kreislaufwirtschaft. Gebrauchtes Papier beispielsweise wird von Paper.kg gesammelt, vor allem in den großen Büros in Bischkek. Plastikflaschen werden insbesondere von Unternehmen gesammelt, die Fenster herstellen, wie etwa Agroprom Holding, die sich sogar auf die Rücknahme dieser Flaschen spezialisiert haben. Auch von Obdachlosen wird dieses Recyclingsystem unterstützt, indem sie Plastikflaschen sammeln und gegen etwas Geld zu diesen Firmen bringen.
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Während der Sowjetzeit mussten die Bürger Plätze in der Nähe ihrer Arbeit und ihres Zuhauses im Frühjahr reinigen. Diese „Subbotnik“ („Samstagsarbeit“) gibt es nach wie vor auf freiwilliger Basis. So wurden die Bürger vom 1. März bis zum 31. Mai auf Geheiß des ehemaligen Ministerpräsidenten Sapar Isakow dazu ermuntert, urbane und ländliche Gebiete zu säubern und aufzuräumen. Am 31. März haben Schüler, Studenten, Beamte und der aktuelle kirgisische Präsident Sooronbaj Dscheenbekow an den großen kirgisischen Stadtreinigungsaktionen teilgenommen.
https://www.youtube.com/watch?v=-6aE0rUIHyY
„Sauberes Leben“, ein kürlich erschienener Rap-Videoclip zum Anlass des „World Cleanup Day 2018″
NGOs und Freiwilligenarbeit spielt vor allem bei der Abfallwirtschaft um den Issikkölsee zunehmend eine Rolle. Dazu gehört Eco Demi unter der Regie von Aidschan Tschynybayewa. Der Verein organisiert Reinigungsaktionen rund um den See, der immer mehr zum Touristendomizil wird. Oft werden bekannte Personen eingeladen, um den Kampf gegen Abfälle, die in die Natur geworfen werden, populär zu machen. Nach Angaben von Eco Demi konnten Freiwillige am Issikkölsee im Jahr 2017 rund 360 Tonnen Abfall sammeln.
Darüber hinaus wurde von der Jaschyl-Bilik-Stiftung ein Projekt ins Leben gerufen, in dessen Rahmen spezielle Container auf Deponien am Nord- und Südufer des Issikkölsees aufgestellt wurden. Laut Dimitrij Andrejew, dem Direktor der Stiftung, wird es an den Stränden bald Container zur Mülltrennung geben.
Teufelskreis der Abfallwirtschaft
Trotz zahlreicher Bemühungen der öffentlichen Organisationen und Umweltinitiativen gibt es in Kirgistan noch immer keine Sortieranlage für Hausmüll. Laut Kanat Echatow, Leiter der Abteilung für Wohnwesen und öffentliche Dienste der Stadtverwaltung Bischkek, wurde zwar zwischen 2010 und 2015 ein Pilotprojekt durchgeführt. Organisiert wurde es einem der Stadtviertel von Bischkek, doch die getrennte Müllabfuhr hat versagt. Grund für dieses Scheitern war laut Stadtrat, dass die Bevölkerung noch nicht bereit und motiviert war, ihren Müll zu sortieren.
Momentan bleibt das Abfallsystem in Kirgistan also eher lückenhaft. Es geht noch immer nur darum, „Hausmüll von A nach B zu bringen“, also von der Stadt in die nahe gelegenen Deponien. Praktisch alle wichtigen Deponien in Kirgistan stellen jedoch Gesundheits- und Umweltgefahren für ihre Umgebung dar.
Auf dem Weg zu einem klar definierten Ansatz für die Hausmüllwirtschaft?
Die Probleme der Mülldeponien werden von den kirgisischen Medien kaum beachtet. Parallel dazu wird von der kirgisischen Regierung noch kein systematischer Ansatz zur Verbesserung der Abfallwirtschaft umgesetzt.
Das Thema der Abfallwirtschaft erfordert auch einen neuen Ansatz für die Bevölkerung, die viel stärker einbezogen werden muss, indem sie sich am Sortieren des Hausmülls beteiligt und sich der schädlichen Auswirkung von Abfällen in der Natur bewusst wird.
Auch wenn das Sortiersystem und die entsprechende Infrastruktur auf kommunaler Ebene noch nicht eingerichtet sind, ist es an der Zeit, die Bemühungen von Behörden, Privatunternehmen und der Bevölkerung zu bündeln, um Hausabfälle besser verwalten und realistisch angehen zu können.
Gulnara Anapiiaeva
Aus dem Französischen von Elisabeth Rudolph
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