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Keine BürgermeisterIN in Kirgistan

Laut offiziellen Statistiken gibt es in den kirgischen Behörden immer weniger Frauen in Führungspositionen. Den Bericht von Radio Azattyk, der lokalen Antenne von Radio Free Europe/ Radio Liberty, übersetzen wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Frauen Abgeordnete vor dem Parlament von Kirgistan
Secretary-General departs Kyrgyzstan

Laut offiziellen Statistiken gibt es in den kirgischen Behörden immer weniger Frauen in Führungspositionen. Den Bericht von Radio Azattyk, der lokalen Antenne von Radio Free Europe/ Radio Liberty, übersetzen wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Im kirgisischen Parlament gibt es keine Gleichstellung der Geschlechter. Zurzeit tagen nur noch 19 Frauen, laut Gesetz sollten es 40 sein, also ein Drittel der Besetzung.  Die Frauenanzahl in drei der fünf Fraktionen ist gering, in den anderen zwei,  „Kirgistan“ und „Bir bol“ („Sei vereinigt“) gibt es gar keine Abgeordnete. Auch in Lokalvertretungen tagen nur zehn Prozent  Frauen.

Nur eine Frau im Dorfrat

Kanajim Sultanowa ist Schuldirektorin im Dorf Basch-Döbö, im südkirgisischen Landkreis Ösgön . Sie ist ehemalige Vorsitzende des Gemeinderats. Sie erklärt, Frauen haben aufgrund ihres Geschlechts viele Schwierigkeiten in der Politik. Ihnen fehle allein die Mentalität, um großen Ambitionen nachzugehen und auf Augenhöhe mit Männern um Führungspositionen zu konkurrieren. Außerdem sei die Gesellschaft nicht bereit, die Initiativen der Frauen zu unterstützen, was sie auch auf den wirtschaftlichen Zustand des Landes zurückführt. Im Jahr 2016 wurde nur eine Frau in den Dorfrat von Basch-Döbö gewählt.

In den Dörfern kandidieren meist die Schulleiter und Chefärzte als Abgeordnete. Seitdem Frauen die Teilnahme an Wahlen „verboten“ wurde, gibt es deutlich weniger Frauen unter den Abgeordneten. Früher tagten vier Frauen im Dorfrat von Basch-Döbö, jetzt nur noch eine. Es sollten doch nur gebildete Menschen in die Räte gewählt werden. In unserem Dorfrat sitzen außer ein paar Lehrern, Ärzten und Personen mit Arbeitserfahrung im Ausland nur Abgeordnete ohne Hochschulausbildung“, beklagt Sultanowa.

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Aktivistinnen sind sich sicher: Wenn die Zahl der Frauen in Lokalvertretungen schwindet, werden wichtige Themen wie der Zustand der Schulen, Vorschuleinrichtungen, die  Gesundheitsfürsorge, die Senkung der Müttersterblichkeit und die Erziehung vernachlässigt.

Rücktritt der Regierung Kirgistans
Im kirgisischen Parlament

Auch Sultanowa gehört zu diesen Aktivistinnen: „Wenn sich Männer zur Wahl stellen, vertrauen selbst Freunde und Verwandte ihnen mehr. Frauen sorgen im Rat aber für Ordnung. Außerdem achten Männer nicht auf soziale Probleme und kümmern sich nur um den Straßenbelag oder die Wasserversorgung. Niemand spricht von der Entwicklung der Schulen, Kindergärten, der medizinischen Versorgung, der Bibliothek. Frauen fehlt auch oft das Geld für die Wahlkampagne .“

Alle 19 Dorfverwaltungen des Landkreises Ösgön werden von Männern geleitet. Dieselbe Situation herrscht in den benachbarten Kreisen Alai und Tschong-Alai. Insgesamt gibt es in Kirgistan mehr als 450  Dorfverwaltungen, von denen nur 15 von Frauen geleitet werden. Unter den Gouverneuren der Landkreise findet sich keine einzige Frau.

Eingeschlechtliches Parlament

Laut einer Studie der Agentur für soziale Technologien sind nur zehn Prozent der Lokalabgeordneten Frauen, das sind drei Prozent weniger als in vorigen Wahlperioden. Laut der Vertreterin der Agentur, Baktygul Islamowa, schlagen Aktivisten die Einführung von Quoten vor, um eine ausreichende Zahl an Frauen in Lokalparlamenten zu gewährleisten: „Laut unseren Zahlen gibt es immer weniger Frauen in Lokalverwaltungen.  2008 waren es noch 19 Prozent, 2010 – 17 Prozent, 2012 – 13 Prozent und 2016 nur noch zehn Prozent. Ein ähnliches Ungleichgewicht gibt es in den Stadträten, in den Frauen nur 130 der insgesamt 600 Mandate bekleiden. Im Parlament gibt es nur 16 Frauen.

Als das kirgisische Parlament nach der Wahl 2005 fast eingeschlechtlich geworden war, schenkten Aktivisten den männlichen Abgeordneten zum 8. März (dem Weltfrauentag, Anm. d. Red.)  Blumen als Symbol des Protests. Die Empörung der BürgerInnen führte dazu, dass 2007 eine Frauenquote bei der Parlamentswahl eingeführt wurde. Aber gibt es dadurch mehr Frauen im Parlament?

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Die Parlamentsabgeordnete und ehemalige Vizeparlamentspräsidentin Altynai Omurbekowa denkt, dass Frauen in Kirgistan weiterhin diskriminiert werden. „Vor kurzen wurde zum Beispiel der Richterrat gewählt, wozu deutlich steht, dass er zu 30 Prozent mit Frauen besetzt werden soll. Aber nur Männer kandidierten. Drei von neun AuditorInnen im Rechnungshof sollen Frauen sein, aber soweit ich weiß ist da nur eine. Man kann die Diskriminierung auf allen Ebenen beobachten. Frauen sollten 30% der Regierung besetzen, vom Parlament gar nicht zu sprechen. Die Legislative verstößt selbst gegen das Gesetz. Wir können es nicht dabei belassen. Frauen repräsentieren eine große Stärke. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass Frauen die Wirtschaft des Landes in den 1990ern wieder aufgerichtet haben. Das sollten wir nicht vergessen.“

Laut den gesetzlichen Anforderungen sollten von den 13 Abgeordneten der Fraktion „Önügüü-Progress“ drei Frauen sein. Tatsächlich ist es nur eine.

Natürlich haben Frauen eine besondere Position in der Gesellschaft,“ bemerkt der Vizeparlamentspräsident Mirlan Bakirow, der dieser Fraktion angehört. „In unserer Fraktion haben wir eine Frau. Das Gesetz verpflichtet die Parteien dazu, ihre Wahllisten mit Rücksicht auf die Quoten zu erstellen, nennt aber kein konkretes Geschlecht. Es sollten nur nicht mehr als 70% der Abgeordneten demselben Geschlecht angehören. Für den Richterrat hat unsere Fraktion die Kandidatur von Guljan Koschokowa vorgeschlagen. Laut neuem Grundgesetz ernennt der Premierminister die Gouverneure der Landkreise, somit sollte sich der Regierungsapparat mit dieser Frage beschäftigen. Warum sind immer weniger Frauen in der Politik? Vielleicht liegt das an der Natur, der Mentalität oder den Möglichkeiten. Finanzielle Möglichkeiten beeinflussen auch die Konkurrenzfähigkeit.

Der notorische Geschlechterfaktor

In der Diskussion um Frauen als Führungskräfte in Kirgistan werden öfters die Namen der Generalstaatsanwältin Indira Dscholdubajewa, der Vorsitzenden des Höchsten Gerichtshofs Ainasch Tokbajewa und der Vorsitzenden der Zentralen Wahlkommission Nurdschan Schasildabekowa genannt. Vor Kurzem ist Alina Schaikowa Leiterin der Abteilung für Regierungsbeschaffungen geworden.

Aber das sind alles Formalitäten, meint die Parlamentsabgeordnete Aida Kasymalijewa, die wie so oft über die Ungleichberechtigung der Geschlechter in der kirgisischen Politik spricht. Wie sie sagt, orientiert sich die Gesellschaft weiter an Stereotypen, dass Frauen in Führungspositionen weniger erfolgreich sind. „Man sagt oft, dass die Positionen der Generalstaatsanwältin und von Richterinnen von Frauen besetzt sind. Aber in Kirgistan haben solche Ernennungen vor allem formalen Charakter. Frauen leiten keine Lokalverwaltungen. Bei den lokalen Wahlen wird ein Mehrheitswahlsystem angewendet. Dorfräte werden hauptsächlich von reichen Menschen, männlichen privaten Unternehmern geleitet. Ich habe das erst gespürt, als ich selbst Abgeordnete geworden bin“, so Kasymalijewa.

Wie sie erklärt, sollte man sich vor allem auf die entscheidungstragenden Organe Konzentrieren. „Früher wurden Frauen immer  als Stellvertretende Leiterinnen der Dorfverwaltungen ernannt, um sich mit sozialen Fragen zu beschäftigten. Heute ist das seltener der Fall. Frauen gehen mit dem Budget verantwortlicher um. Es gibt das Verständnis der „gendergerechten Haushaltsführung“ (eine Haushaltsführung, die die Gleichstellung der Geschlechter fördert, Anm. d. Red.) Dieser Faktor wird aber in lokalen Haushalten nicht berücksichtigt, ebensowenig wie die auf UN-Empfehlungen eingeführte Geschlechterquote von 30 Prozent.

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Ebenso auf Regierungsebene. Aus 12 Ministerien in Kirgistan werden nur zwei von Frauen geleitet. Von den staatlichen Agenturen, Diensten und Fonds steht keine einzige Struktur unter der Leitung einer Frau. Die Gouverneure aller sieben Regionen des Landes sind Männer. Alle Bürgermeister der insgesamt 31 Städte sind Männer. Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch an den Hochschulen des Landes ab. Von mehr als 50 Hochschulen haben nur drei eine Rektorin.

Plakat Bischkek feminists mehr Frauen im Parlament
„Frau, dein Platz ist in diesem Haus“ – ein Aufruf für mehr Frauen im kirgisischen Parlament

Zugleich ist ein Teil der Gesellschaft sicher, dass Frauen  auf natürliche Weise mehr Einfluss auf die Politik gewinnen sollten. Beobachter bemerken, dass Frauen, die ausschließlich nach der Quote zu bestimmten Posten ernannt werden, zum Instrument mancher  Menschen werden.

Die Frauen sind konkurrenzfähig

Die Leiterin des Bündnisses der Krisenstellen, Tolkun Tilekowa, verbindet die Senkung der Zahl der Frauen in Führungspositionen mit der Erziehung in den Familien. Wie sie sagt, sollte man Mädchen von klein auf zur Konkurrenz mit Jungen ermutigen. „Wie erziehen wir unsere Töchter? Wie sollen sie  nach einem Posten im Parlament streben, wenn wir ihnen von der Kindheit an einprägen, dass sie dazu bestimmt sind, Kinder zu gebären und zu Hause zu sitzen? Man muss die Führungsqualitäten der Mädchen entwickeln. Das alles hängt von der Erziehung in der Familie ab. Man sagt auch oft, dass die Politik ein schmutziges Geschäft ist, in dem Frauen nichts zu suchen haben. Und die Politik wird von reichen Unternehmern dominiert. Im Ganzen muss man das Problem von mehreren Seiten angehen.

Im Frühling 2017 hat das kirgisische Parlament ein Gesetz verabschiedet, laut dem eine Abgeordnete, die auf einen anderen Posten ernannt wird, nur von einer weiteren Frau im Parlament ersetzt werden kann. Diese Norm tritt ab 2020 in Kraft.

Kanymgul Ekejewa
Radio Azattyk

Aus dem Russischen von Ainaz Sulaimanova

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