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Alternative für Kirgistan: Kommunisten formieren sich

In der politischen Landschaft Kirgistans tritt kurz nach der Machtübernahme durch Sooronbaj Dscheenbekow eine neue Bewegung in Erscheinung: „Die Alternative Entwicklung“. Als Nicht-Regierungs-Organisation gegründet, will sich die kommunistische Vereinigung für ein sozialistisches Kirgistan stark machen. Was verbirgt sich dahinter und warum ist der Kommunismus für einige Kirgisen noch immer eine überzeugende Form der Politik? Novastan.org-Redakteurin Janina Lackmann über die neue Bewegung. Schon im Sommer kündigte eine Protestaktion eine neue politische Bewegung in Bischkek an. Über Nacht hatten Aktivisten den Tschui-Prospekt, die Hauptachse des Stadtzentrums „umbenannt“. Das Wort Tschui war überklebt, Stalin-Prospekt hieß nun die Straße, an der das Weiße Haus und der Ala-Too-Platz liegen. Die Aktion sorgte für Wirbel in den kirgisischen Medien, eine Gruppe junger Erwachsener bekannte sich dazu. Sie nannten sich die Neuen Stalinisten. [caption id="attachment_11954" align="alignnone" width="943"] Foto der Umbenennungsaktion[/caption] Einer von ihnen ist Amantur Manapbaev. Der 22-Jährige wurde deshalb mehrfach verhaftet und verhört, doch letztlich ließen die Behörden ihn laufen. Den Aufruhr um die Aktion versteht er nicht, schließlich habe die Straße zu Sowjetzeiten tatsächlich so geheißen, umbenannt hätten sie andere. „Es war aber notwendig, die Gesellschaft, vor allem die mächtigen Politiker an den Namen von Stalin zu erinnern. Weil unser Land jetzt im Chaos steckt. Und ein Mensch wie Stalin könnte dieses Chaos stoppen“, begründet Amantur die Aktion. Seit er die Biografie von Lenin gelesen hat, ist er überzeugter Kommunist, trat zu seinem 18. Geburtstag in die „Partei der Kommunisten Kirgisistans“ ein. Mittlerweile arbeitet er Vollzeit im Dienste der Partei, kümmert sich um Öffentlichkeitsarbeit. Er sieht im Sozialismus die einzige Möglichkeit, die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme seines Landes zu lösen. Teilverstaatlichung kirgisischer Unternehmen gefordert Zurück zu sowjetischen Verhältnissen möchte er dennoch nicht, die komplette Abschaffung des Privateigentums hält er nicht für nötig: „Es ist besser, nur die strategischen Zweige der Wirtschaft verstaatlichen zu lassen. Kleine und mittleren Unternehmen behalten ihre Handlungsfreiheit, Großunternehmen sollten zu 51 Prozent dem Staat gehören und 49 Prozent des Anteils in privater Hand sein. Dies ist die richtige Entscheidung hinsichtlich des wirtschaftlichen Nutzens.“ Käme er mit der kommunistischen Bewegung an die Macht, gäbe er außerdem die Goldmine Kumtor dem kirgisischen Volk zurück. [caption id="attachment_11955" align="alignnone" width="943"] Amantur Manapbaev in seinem Büro[/caption] Stalin ist eines seiner großen Vorbilder, auch wenn Amantur eingesteht, dass es unter dessen Herrschaft „exzessive Grausamkeit“ gegeben habe. Doch die Effektivität, mit der Stalin in kurzer Zeit viele Dinge geschaffen hat, beeindrucken den 22-Jährigen. Kommunismus als Wunsch nach klarer Identität Doch warum fühlen sich so junge Menschen wie Amantur von einem politischen Gesellschaftsmodell angezogen, das zu großen Teilen die aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes erst verursacht hat? Professor Emil Nasritdinow ist Sozialwissenschaftler an der American Universtiy of Central Asia (AUCA) und erforscht die Jugendkultur Zentralasiens. Die Suche nach einer gemeinsamen Identität sei heutzutage die größte Herausforderung für junge Generationen, sagt er. Zu Zeiten des Kommunismus hatte jeder seinen Platz in der Gesellschaft, der Zusammenhalt unter den Heranwachsenden war groß. „Die Stadt war unter den Jugendlichen aufgeteilt. Jedes Viertel hatte sogar seinen eigenen Namen und man wusste genau, wer dort wohnte. Jeder dieser Mikrobezirke hatte seine eigene Identität, man konnte sich darüber definieren.“ Diese Erinnerung geben die Generationen, die das noch erlebt haben, gern weiter. Jugendliche, die mit den kommunistischen Ideen sympathisieren, seien oft von ihren Eltern so geprägt. Bewegung mit wenig Einfluss Auch Amanturs Vater war überzeugter Kommunist. Seine Mutter hingegen hatte Bedenken, als Amantur ankündigte, sich der Partei anschließen zu wollen. Von seinen Freunden kann er kaum jemanden für seine Ideen begeistern. Vielleicht sind ihnen seine Ansichten zu radikal. Er fordert die Todesstrafe, nach dem Vorbild des chinesischen Sozialismus, unter anderem für Korruption. In den sozialen Netzwerken hat er lange versucht, junge Menschen als Unterstützer zu gewinnen – vergeblich. „Die Wählerschaft dort ist anders. Sie wurden einer Gehirnwäsche unterzogen. Aber als wir in die ländlichen Regionen gingen und Unterschriften sammelten, waren wir viel erfolgreicher. Die einfachen Leute unterstützen uns.“ Lest auch bei Novastan: Fotoreportage: Wie Kirgistan sowjetisch wurden  Doch Amantur hält an seiner Vision für ein sozialistisches Kirgistan fest. Im Dezember verkündet er die Gründung der Nicht-Regierungs-Organisation „Alternative Entwicklung“. Ein Gegenentwurf zum staatlichen Entwicklungsprogramm, das nach Ansicht der Organisation keinen systematischen Lösungsansatz für die aktuellen Probleme des Landes bietet. Einen Fünf-Jahres-Plan für die gesellschaftliche Entwicklung des Landes soll es geben. Konkrete Handlungsschritte hat die Organisation noch nicht bekannt gegeben. Viel Anklang scheint die neue Bewegung in Kirgistan nicht zu finde. Ein Blick auf die Facebook-Seite zeigt: Gerade einmal 33 Personen gefällt das.   Janina Lackmann

Janina Lackmann 

Schlagwörter

Kirgistan, Alternative Entwicklung, Kommunisten, Bischkek
Mitglieder der Bewegung „Alternative Entwicklung“

In der politischen Landschaft Kirgistans tritt kurz nach der Machtübernahme durch Sooronbaj Dscheenbekow eine neue Bewegung in Erscheinung: „Die Alternative Entwicklung“. Als Nicht-Regierungs-Organisation gegründet, will sich die kommunistische Vereinigung für ein sozialistisches Kirgistan stark machen. Was verbirgt sich dahinter und warum ist der Kommunismus für einige Kirgisen noch immer eine überzeugende Form der Politik? Novastan.org-Redakteurin Janina Lackmann über die neue Bewegung.

Schon im Sommer kündigte eine Protestaktion eine neue politische Bewegung in Bischkek an. Über Nacht hatten Aktivisten den Tschui-Prospekt, die Hauptachse des Stadtzentrums „umbenannt“. Das Wort Tschui war überklebt, Stalin-Prospekt hieß nun die Straße, an der das Weiße Haus und der Ala-Too-Platz liegen. Die Aktion sorgte für Wirbel in den kirgisischen Medien, eine Gruppe junger Erwachsener bekannte sich dazu. Sie nannten sich die Neuen Stalinisten.

Bischkek, Prospekt Stalin, Umbenennung, Kommunisten
Foto der Umbenennungsaktion

Einer von ihnen ist Amantur Manapbaev. Der 22-Jährige wurde deshalb mehrfach verhaftet und verhört, doch letztlich ließen die Behörden ihn laufen. Den Aufruhr um die Aktion versteht er nicht, schließlich habe die Straße zu Sowjetzeiten tatsächlich so geheißen, umbenannt hätten sie andere. „Es war aber notwendig, die Gesellschaft, vor allem die mächtigen Politiker an den Namen von Stalin zu erinnern. Weil unser Land jetzt im Chaos steckt. Und ein Mensch wie Stalin könnte dieses Chaos stoppen“, begründet Amantur die Aktion.

Seit er die Biografie von Lenin gelesen hat, ist er überzeugter Kommunist, trat zu seinem 18. Geburtstag in die „Partei der Kommunisten Kirgisistans“ ein. Mittlerweile arbeitet er Vollzeit im Dienste der Partei, kümmert sich um Öffentlichkeitsarbeit. Er sieht im Sozialismus die einzige Möglichkeit, die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme seines Landes zu lösen.

Teilverstaatlichung kirgisischer Unternehmen gefordert

Zurück zu sowjetischen Verhältnissen möchte er dennoch nicht, die komplette Abschaffung des Privateigentums hält er nicht für nötig: „Es ist besser, nur die strategischen Zweige der Wirtschaft verstaatlichen zu lassen. Kleine und mittleren Unternehmen behalten ihre Handlungsfreiheit, Großunternehmen sollten zu 51 Prozent dem Staat gehören und 49 Prozent des Anteils in privater Hand sein. Dies ist die richtige Entscheidung hinsichtlich des wirtschaftlichen Nutzens.“

Käme er mit der kommunistischen Bewegung an die Macht, gäbe er außerdem die Goldmine Kumtor dem kirgisischen Volk zurück.

Kirgistan, Kommunismus, Manapbaev Amantur
Amantur Manapbaev in seinem Büro

Stalin ist eines seiner großen Vorbilder, auch wenn Amantur eingesteht, dass es unter dessen Herrschaft „exzessive Grausamkeit“ gegeben habe. Doch die Effektivität, mit der Stalin in kurzer Zeit viele Dinge geschaffen hat, beeindrucken den 22-Jährigen.

Kommunismus als Wunsch nach klarer Identität

Doch warum fühlen sich so junge Menschen wie Amantur von einem politischen Gesellschaftsmodell angezogen, das zu großen Teilen die aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes erst verursacht hat? Professor Emil Nasritdinow ist Sozialwissenschaftler an der American Universtiy of Central Asia (AUCA) und erforscht die Jugendkultur Zentralasiens.

Die Suche nach einer gemeinsamen Identität sei heutzutage die größte Herausforderung für junge Generationen, sagt er. Zu Zeiten des Kommunismus hatte jeder seinen Platz in der Gesellschaft, der Zusammenhalt unter den Heranwachsenden war groß. „Die Stadt war unter den Jugendlichen aufgeteilt. Jedes Viertel hatte sogar seinen eigenen Namen und man wusste genau, wer dort wohnte. Jeder dieser Mikrobezirke hatte seine eigene Identität, man konnte sich darüber definieren.“

Diese Erinnerung geben die Generationen, die das noch erlebt haben, gern weiter. Jugendliche, die mit den kommunistischen Ideen sympathisieren, seien oft von ihren Eltern so geprägt.

Bewegung mit wenig Einfluss

Auch Amanturs Vater war überzeugter Kommunist. Seine Mutter hingegen hatte Bedenken, als Amantur ankündigte, sich der Partei anschließen zu wollen. Von seinen Freunden kann er kaum jemanden für seine Ideen begeistern. Vielleicht sind ihnen seine Ansichten zu radikal. Er fordert die Todesstrafe, nach dem Vorbild des chinesischen Sozialismus, unter anderem für Korruption.

In den sozialen Netzwerken hat er lange versucht, junge Menschen als Unterstützer zu gewinnen – vergeblich. „Die Wählerschaft dort ist anders. Sie wurden einer Gehirnwäsche unterzogen. Aber als wir in die ländlichen Regionen gingen und Unterschriften sammelten, waren wir viel erfolgreicher. Die einfachen Leute unterstützen uns.“

Lest auch bei Novastan: Fotoreportage: Wie Kirgistan sowjetisch wurden 

Doch Amantur hält an seiner Vision für ein sozialistisches Kirgistan fest. Im Dezember verkündet er die Gründung der Nicht-Regierungs-Organisation „Alternative Entwicklung“. Ein Gegenentwurf zum staatlichen Entwicklungsprogramm, das nach Ansicht der Organisation keinen systematischen Lösungsansatz für die aktuellen Probleme des Landes bietet.

Einen Fünf-Jahres-Plan für die gesellschaftliche Entwicklung des Landes soll es geben. Konkrete Handlungsschritte hat die Organisation noch nicht bekannt gegeben. Viel Anklang scheint die neue Bewegung in Kirgistan nicht zu finde. Ein Blick auf die Facebook-Seite zeigt: Gerade einmal 33 Personen gefällt das.

 

Janina Lackmann

Novastan-Redaktion

 

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