Startseite      Neue Hoffnung? Turkmenischer Präsident besucht Deutschland

Neue Hoffnung? Turkmenischer Präsident besucht Deutschland

Ende August besuchte der turkmenische Präsident, Gurbanguly Berdimuhamedow, Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. Der Besuch war von beiden Seiten mit großen Hoffnungen erwartet worden. Was war das Ergebnis? Eine Analyse.

Berdymukhamedow
Berdymukhamedow

Ende August besuchte der turkmenische Präsident, Gurbanguly Berdimuhamedow, Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. Der Besuch war von beiden Seiten mit großen Hoffnungen erwartet worden. Was war das Ergebnis? Eine Analyse.

Natürlich war Deutschland bereits 2008 ein übermächtiger Partner für das zentralasiatische 5-Millionen-Einwohner-Land. Berdimuhamedow betonte nicht ohne Grund die „freundschaftlichen Beziehungen“ beider Länder auf den Prinzipien der „Gleichheit und des gegenseitigen Respekts.“

Die ungleichen Machtverhältnisse verstärkten sich in diesem Jahr allerdings dramatisch. Die russische Rubelkrise macht sich, wie in allen zentralasiatischen Staaten, auch in Turkmenistan stark bemerkbar. Im Juni kündigte Berdimuhamedow indirekt an, dass die quasi gratis Versorgung der Bevölkerung mit Strom, Wasser, Gas und Salz bald enden könnte.

Lies auch auf Novastan.org: Abbau der kostenlosen Grundversorgung in Turkmenistan?

Aus dieser geschwächten Position heraus schrieb der turkmenische Präsident Kanzlerin Merkel einen Brief, wie diese bei der Pressekonferenz nach den Konsultationen mitteilt. Darin der Vorschlag, das bisher etwa 411 Millionen Euro umfassende Handelsvolumen zwischen den Ländern auszubauen und zu diversifizieren. In dieser asymmetrischen Verhandlungssituation ist es bemerkenswert, welche erste Frage ein mitgereister turkmenischer Journalist an die Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte:

„Frau Bundeskanzlerin, in der Europäischen Union als einer großen Vereinigung gibt es derzeit recht schwierige Prozesse ‑ politisch, wirtschaftlich und sozial betrachtet ‑, insbesondere im Zusammenhang mit dem „Brexit“-Referendum und mit den großen Flüchtlingsströmen. Es gibt natürlich noch eine ganze Reihe anderer schwieriger Fragen. Deshalb ist meine Frage: Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung der Europäischen Union?“

Ein Kniff, um die Machtverhältnisse ansatzweise zu glätten? Eines ist klar: Beide Seiten gingen mit konkreten Vorstellungen über Ergebnisse in die Konsultationen.

Was genau sucht Turkmenistan in Deutschland? Was will die Bundesrepublik? Und wer konnte sich durchsetzen?

Die Interessen: Turkmenistan

Die turkmenische Presse macht das Ziel der Verhandlungen mehr als deutlich: Business, Business, Business. Vor allem drei Interessen lassen sich aus den offiziellen Verlautbarungen und dem Verhalten Berdimuhamedows herauslesen:

Erstens braucht Turkmenistan dringend Abnehmer für seinen größten Exportzweig, dem Gas. Im August kamen Vertreter aus Russland, Aserbaidschan und dem Iran in Baku zusammen, um eine Kooperation im für die drei Staaten zentralen Gassektor zu beschließen. Für Turkmenistan eine wirtschaftliche Katastrophe.

Lies auch auf Novastan.org: Russland, Aserbaidschan und der Iran isolieren Turkmenistan

Ohne das Transitland Aserbaidschan, mit der neuerlichen Distanzierung und Aggressivität des großen Konkurrenten Russlands, der Wiederannäherung Russlands mit der Türkei sowie den Unruhen vor allem im türkischen Osten tendiert die Wahrscheinlichkeit, dass Turkmenistan in naher Zukunft Gas im größeren Umfang nach Europa liefert, derzeit gegen null.

Da der Iran jetzt auch im indischen Markt mitmischt, bleibt Turkmenistan nur China als Exportland, das die Lage in gnadenlosen Preisverhandlungen für sich nutzt. Für Unterstützung um das Megaprojekt TAPI (einer Pipeline durch Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan nach Indien) gibt sich Turkmenistan sogar bereit, Kompromisse beim Thema Menschenrechte einzugehen.

Zweitens benötigt das durch die Rubel- und Gaskrisen gebeutelte Land Investoren. Die turkmenische Delegation strebte an, dutzende Verträge mit diversen deutschen Wirtschaftsgrößen abzuschließen. Erwähnt werden die Siemens AG, die bei einer Kooperation um TAPI wohl eine zentrale Rolle einnehmen würde, der Mobilitätskonzern Daimler, der Traktorenproduzent Claas und der Elektronikkonzern Rohde und Schwarz. Letzterer spezialisert sich unter anderem auf das Feld der Funküberwachung.

Turkmenische Regierungspublikationen legen außerdem Verhandlungen mit der Deutschen Bank und der Commerzbank offen. Die Banken sind die turkmenischen Wunschpartner für mögliche Kredite.

Drittens soll die Bundesrepublik Turkmenistans kürzester Umweg in den Europäischen Markt sein. Nachdem Verhandlungen mit der EU über einen Gasimport im großem Stil wegen ethischer Bedenken auf EU-Seite in Stocken gerieten,  hofft Berdimuhamedow:

„Mit der Europäischen Kommission haben wir bereits über die rechtlichen und technischen Aspekte gesprochen. Wir setzen diesbezüglich sehr auf Deutschland als ein Land, das viel Respekt in der Europäischen Union hat und das uns in diesem Prozess auch weiterhin Unterstützung leisten wird.“

Insbesondere wurden aber auch Infrastrukturprojekte als Kooperationsfeld bei der Pressekonferenz am 29. August erwähnt. Diverse europäische Firmen beteiligten sich an Gesprächen.

Die luxemburgische Frachtfluggesellschaft Cargolux investiert intensiv in den turkmenischen Luftverkehrssektor. Die Luxemburger bauen turkmenische Flughäfen – unter anderem einen neuen in Aschgabat, zu dessen Eröffnung der Firmenvorstand eingeladen wurde.

Gespräche gab es auch mit Airbus, was nahelegt, dass Turkmenistan plant, neue Flugzeuge zu bestellen. Mit SAP wurde über die Installation neuer Software am Hafen von Turkmenbaşi verhandelt.

Während die breiten wirtschaftlichen Ziele Taschkents erfolgreich scheinen, fragen sich Beobachter, was bei dem Deal für Deutschland herausspringt.

Die Interessen: Deutschland

Als Berdimuhamedow 2008 zuerst in die USA, dann zu einem ersten Staatsbesuch nach Deutschland kam, verkaufte er sich als eine Art liberaler Hoffnungsträger. Der habilitierte Mediziner war als Leibzahnarzt des vor ihm diktatorisch regierenden Saparmyrat Nyýazow erst zum stellvertretenden Ministerpräsidenten und nach Nyýazows Tod zum zweiten Staats- und Regierungschef Turkmenistans aufgestiegen.

Kurz danach, im Februar 2007, lehnte das deutsche Kanzleramt einen Besuch Berdimuhamedows noch ab. Doch nur ein Jahr später empfing ihn Bundeskanzlerin Merkel und lobte seine Bereitschaft, in Menschenrechtsfragen zu kooperieren.

Tatsächlich führte Berdimuhamedow zum Beispiel die von seinem Vorgänger verbotenen Schulfächer Mathematik und fremde Sprachen wieder ein. Aber bei dem diesjährigen Besuch ist nicht zu leugnen: So sehr er den Eindruck zu vermitteln versucht – Berdimuhamedow ist alles andere als ein Pionier der Rechtsstaatlichkeit.

Lies auch auf Novastan.org: Reporter ohne Grenzen: Aufstieg und Fall der Region Zentralasien

Die Forderungen nach einem Schutz für Menschenrechte sind mit gutem Recht nicht verstummt. Die Organisation Reporter ohne Grenzen setzt das zentralasiatische Land auf ihrem Menschenrechtsranking an die drittletzte Position aller untersuchten Länder.

Hinter dem Land liegen nur noch Nordkorea und Eritrea. Die drei Schlusslichter werden von der Organisation als „infernal trio“ bezeichnet. Als freier gelten sogar verrufene Staaten wie China, Saudi-Arabien oder Jemen.

Die US-amerikanische NGO Freedom House stuft Turkmenistan als Teil der zehn unfreiesten Länder der Welt mit jeweils schlechtestmöglichen Bewertungen in den untersuchten Bereichen der zivilen und  politischen Rechte sowie der allgemeinen bürgerlichen Freiheiten ein.

Insbesondere Erkenntnisse über massiven physischen und psychischen Missbrauch der Gefangenen in dem zu trauriger Berühmtheit gelangten Gefängnis Ovadan Depe alarmieren internationale Menschenrechtsorganisationen.

Merkels Forderungen zur Verbesserung der Menschenrechtslage und Berdimuhamedows Versicherungen aus dem Jahr 2008 verliefen also ins Nichts. Wohin also soll der diesjährige Besuch führen?

Die Pressekonferenz nach den Konsultationen der beiden unterschiedlichen Staatschefs gab aufmerksamen Beobachtern einigen Aufschluss.

Es war durchaus bemerkenswert, dass sich die Bundeskanzlerin bei der herrschenden Menschenrechtslage in Turkmenistan bemühte, ausgerechnet die Zusammenarbeit in der OSZE als positiv herauszustellen.

Das turkmenische Verhältnis zu der Organisation ist, gelinde gesagt, nicht reibungsfrei. 2008 bezeichnete die OSZE Turkmenistan als schlicht undemokratisch. 2012 hatte die OSZE mangels Mandats keine Wahlbeobachter im Land. Doch offizielle turkmenische Medien erfanden diese kurzerhand und zitierten sie: Die Wahl wäre frei und fair verlaufen. Ein Sprecher der OSZE-Menschenrechtsabteilung, Jens-Hagen Eschenbacher, dementierte postwendend.

Als ein Reporter nun den turkmenischen Präsidenten nach der Lage der Menschenrechte fragte, namentlich nach einer möglichen Öffnung der Gefängnisse für Beobachter der UNO und der OSZE, antwortete dieser überraschend ausführlich. Auffällig ausführlich.

Anstatt die Frage direkt zu beantworten, erklärte er, dass Turkmenistan ein eigenständiges Modell zum Schutz der Menschenrechte habe. Dieses garantiere verschiedene Rechte und niemand werde „in Gender-Fragen oder in religiösen“ benachteiligt.

Rasch schwenkte er aber auf die Verbesserung des Wirtschaftsrecht:

„Eines der wichtigsten wirtschaftlichen Rechte ist es, dass man sich mit dem Unternehmertum befassen kann. Das heißt, wir haben ein Klima, ein rechtliches Feld für private Investitionen, für die Entwicklung der Konkurrenz und für sozialen Schutz geschaffen.“

Anstatt auf die UNO oder die OSZE einzugehen, betonte er, dass in diesen Fragen eine stärkere Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) lanciert würde. Anstatt multinational gestützte Organisationen mit einem Fokus auf Menschenrechte soll die Kontrolle über turkmenische Verstöße also auf eine deutsche Organisation mit auch privatwirtschaftlichen Interessen verlagert werden?

„Kommen Sie zu uns nach Turkmenistan. Schauen Sie sich das mit Ihren eigenen Augen an“, schloss der turkmenische Staatschef.

Dass in den letzten Jahren kein einziger Vertreter von Human Rights Watch (HRW) , die NGO, welche die Forderungen zur Verbesserung der turkmenischen Menschenrechtslage zuvor am entschiedensten vertrat, ein Visum in das zentralasiatische Land erhielt und überhaupt 2015 weniger als 1.000 Touristenvisa genehmigt wurden, konnte niemand mehr entgegnen. Die Zeit war nach dem langen Monolog Berdimuhamedows abgelaufen.

Lies auch bei Novastan.org: Turkmenistan: 913 genehmigte Visaanträge

Zur Frage des Besuchs internationaler Diplomaten in turkmenischen Gefängnissen wurde deutlich, dass, anders als deutsche Medien berichteten, kein Ergebnis erzielt wurde: „Darüber werden unsere Außenminister sprechen“, teilte Merkel mit.

Dass sich Berdimuhamedow überhaupt über Menschenrechte äußert, ist vielleicht ein Erfolg. Insbesondere da derzeit eine Verfassungsreform in Turkmenistan erarbeitet wird. So ist zu hoffen, dass in dieser Drucksituation Garantien für Menschenrechte installiert werden.

Auch die deutsche Privatwirtschaft kann sich freuen. Das neu verhandelte Doppelbesteuerungsabkommen bedeutet letztlich, dass deutsche Firmen weniger Steuern in Turkmenistan zahlen müssen.

Doch die Interessen des in dieser Konstellation eigentlich übermächtigen deutschen Staates beim Thema Menschenrechte werden in eine vage Zukunft verlegt. Die Lage der Menschenrechte in Turkmenistan bleibt desaströs und unkontrolliert. Ein Gasimport scheint unwahrscheinlicher denn je.

Aber Turkmenistan kann offensichtlich die dringend benötigte Vernetzung zur deutschen Privatwirtschaft, Investoren und Geldgebern etablieren.

Die Redaktion

Kommentare

Your comment will be revised by the site if needed.