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Unterschiedliche Reaktionen auf die Ausländische-Agenten-Gesetze in Kirgistan und Georgien

Nicht nur in Georgien und Kirgistan folgten auf die prorussischen Ausländische-Agenten-Gesetze gänzlich verschiedene Reaktionen. Auch ihre außenpolitischen Partner reagierten. Die Regierung beider Länder stellte ihre Bürger anhand dieses Gesetzes vor eine Wahl, die nicht allen schmeckt.

Kloop 

Reaktionen auf russischen Einfluss in Kirgistan und Georgien, Photo: Kloop.

Nicht nur in Georgien und Kirgistan folgten auf die prorussischen Ausländische-Agenten-Gesetze gänzlich verschiedene Reaktionen. Auch ihre außenpolitischen Partner reagierten. Die Regierung beider Länder stellte ihre Bürger anhand dieses Gesetzes vor eine Wahl, die nicht allen schmeckt.

Kirgistan und Georgien verabschiedeten das sogenannte Ausländische-Agenten-Gesetz mit einem zeitlichen Unterschied von zwei Monaten. Die kirgisische Fassung nennt sich wortwörtlich „Ausländische-Vertreter-Gesetz“, die georgische dagegen „Gesetz zur Transparenz ausländischen Einflusses“. Der Kern beider ist der gleiche: Sie sichern verstärkte Kontrollen des Nichtregierungssektors durch den Staat. In Kirgistan verpflichtet das Gesetz NGOs dazu, sich in das Register „ausländischer Vertreter“ einzutragen, in Georgien muss die Registrierung als „Arbeit im Interesse ausländischer Staaten ausführende Organisation“ erfolgen. Eingetragenen NGOs blüht eine kostspielige Buchführung, nicht eingetragenen hohe Strafen bis hin zur Auflösung.

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Kritiker beider Länder sehen in den Gesetzen eine Nachahmung des russischen Ausländische-Agenten-Gesetzes. Anfang März fielen darunter in Russland 579 physische und juristische Personen, Medien und nichtkommerzielle Organisationen. Jede Woche kommen neue Namen dazu, darunter auch Künstler, Sänger, Schriftsteller und Journalisten. Ausländischen Agenten ist die Beteiligung in Politik, Umweltbelangen, Staatsankäufen und -angelegenheiten verboten. Hinzu kommt die Durchführung von Antikorruptionsaktionen und öffentlichen Veranstaltungen, das Lehren an Schulen, vereinfachte Buchführung, Wahlbeteiligung und Werbung. Das Gesetz unterliegt regelmäßigen Verschärfungen und hat seinen anfänglich milden Charakter aus dem Jahr 2012 verloren. Derlei Einschränkungen gibt es in Kirgistan und Georgien bislang nicht. Menschenrechtler sehen diese jedoch mit Fug und Recht bereits im Kommen.

Kein gutes Omen für die Zukunft

Auf die Verabschiedung ebenjenes Gesetzes in Tiflis folgten tausende über Monate anhaltende wöchentliche Protestmärsche und -demonstrationen in der Innenstadt. Am 15. Juli klagte die Staatspräsidentin Salome Surabischwili gegen das Gesetz vor dem Verfassungsgericht. Zuvor hatte sie mehrmals ihr Veto eingelegt, doch das Parlament hatte sich jedes Mal über sie hinweggesetzt. Doch der Kampf gegen das Gesetz ist noch nicht passé.

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„Dieses Gesetz hat die georgische Gesellschaft gespalten. Die Lücke klafft zwischen den Generationen. Die Jugend wünscht sich einen europäischen Kurs“, erklärt der georgische Diplomat und Politiker Waleri Tschetschelaschwili.

Ende vergangenen Jahres erhielt das Land durch den Europarat den Status als offiziellen EU-Beitrittskandidaten. Seit 2017 können Georgier visafrei in EU-Länder einreisen. Das beflügelte die Gemüter und schaffte das Gefühl einer Perspektive für die Zukunft.

„Der Erfolg Georgiens ist in vielerlei Hinsicht den strategischen Partnern zu verdanken, die uns Jahr für Jahr mit mehreren Hundertmillionen Dollar unterstützt haben“, erklärt Tschetschelaschwili. „Davon fließen 95-97 Prozent in die Staatskasse und staatliche Programme. Am meisten profitiert also der Staat und eben nicht die NGOs. Ein Beispiel: Die USA finanzierte in unserem Land ein mehr als Hundertmillionen Dollar schweres Programm gegen Hepatitis. Als die armenischen Nachbarn davon erfuhren, nahmen sie freiwillig die georgische Staatsbürgerschaft an, nur um ebenfalls die Hilfe zu erhalten.“

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Als Paradebeispiel erfolgreicher internationaler Spenden zieht der Diplomat die Stadt Batumi heran. Seit nun 15 Jahren zieht der Badeort ausländische Investoren und Touristen an.

„In Batumi kommen alle ins Staunen – die Wolkenkratzer, die moderne Infrastruktur. Doch nur wenige wissen um die damals mediokre Wasserversorgung. In den dritten oder vierten Stock schafften wir das Wasser noch, danach reichte der Druck des veralteten Systems nicht mehr. Mithilfe einer deutschen Stiftung unterzogen wir das System einer Generalüberholung. Dank dieser pumpen wir das Wasser heute mühelos bis in den 40. Stock der Hochhäuser. Vor diesem Hintergrund ist es nicht nur falsch und undankbar, den Einfluss ausländischer Partner als subversive Tätigkeiten abzustempeln. Wir verbauen uns damit auch unsere Zukunft“, erklärt der Politiker.

„In der Konsequenz leidet darunter unsere Annäherung an die Europäische Union. Wir treten mit Füßen, was wir uns mühsam erkämpft haben. Einer der Haupterrungenschaften in der Beziehung zur EU sind die Visafreiheit, der freie Handel und der Status als Beitrittskandidat. Dabei ist in Artikel 78 unserer Verfassung der Wille zum Beitritt sogar schriftlich festgehalten!“, beklagt Tschetschelaschwili.

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Die Anhänger eines zukünftigen europäischen Georgiens sowie ihre Partner innerhalb der EU sind nun gespannt auf die im Herbst stattfindenden Wahlen des georgischen Parlaments. Im Falle eines Sieges der aktuellen Regierungspartei „Gruzinskaja Metschta“ – Georgischer Traum – des Oligarchen Bidsina Iwanischwili ist eine erneute Annäherung zu Russland denkbar. Der Großteil der jungen Generation wird dieser Partei abtrünnig. Sie fürchten um ihr „visafreies Europa“. Gewinnen jedoch die proeuropäischen Parteien, sind die antidemokratischen Gesetze auch bald Geschichte.

EU-Beitritt in Kirgistan irrelevant

In Kirgistan fiel die Reaktion auf das Ausländische-Vertreter-Gesetz gänzlich anders aus. Dort protestierten ausschließlich NGOs, einzelne Abgeordnete und Personen des öffentlichen Lebens, einige Medienhäuser und Nutzer sozialer Netzwerke. Die georgische Politologin Emilija Dschurajewa führt die unterschiedlichen Reaktionen der beiden Länder auf die unterschiedlichen Entwicklungsperspektiven von Land und Gesellschaft zurück.

„In Kirgistan stellt sich die Frage nach dem EU-Beitritt erst gar nicht. Zudem ist die georgische Gesellschaft dem demokratischen Werte- und dem gesellschaftlichen Freiheitsverständnis sehr viel positiver gesinnt. Wir Kirgisen rühmten uns als „Demokratische Insel“ umgeben von weniger freien Gesellschaften, doch die Euphorie für diese Werte hielt sich in Grenzen. Die aktuelle Lage ist auch die Frucht der hartnäckigen und seit Jahren andauernden Propaganda [der Behörden] zur Verunglimpfung der Institutionen der Zivilgesellschaft, der Meinungsfreiheit und der freien Medien, vor denen weder schulische Einrichtungen noch die Meinungsfreiheit oder die Freiheit des journalistischen Schaffens gefeit sind. Die große gesellschaftliche Mehrheit steckt in einer tiefen Ungewissheit und hat starke Bedenken bezüglich dieser Institutionen.“

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Die georgische Gesellschaft bestehe ebenfalls nicht ausschließlich aus „einem Dutzend regierungskritischer Organisationen“, meint Dschurajew. Sie sieht sich selbst nicht nur als Zuschauer an der Seitenlinie, sondern als Mitglied ebendieser Gesellschaft. Den Vergleich mit Kirgistan empfindet sie als beleidigend. Nicht nur die kirgisische Regierung, die seit Jahren Menschenrechtler und unabhängige Medien in die Schmuddelecke stellt, trage die Schuld für die Lage, sondern auch die NGOs selbst.

Auch die Reaktion der Nichtregierungsorganisationen unterscheidet sich in beiden Ländern. Während einige kirgisische NGOs des Auflehnens noch längst nicht müde sind, spielen andere schon nach den neuen Regeln der Regierung und haben sich gehorsam als Ausländischer Vertreter registriert. Die georgischen NGOs zeigten sich einander solidarischer: 126 von ihnen opponierten in einer gemeinsamen Stellungnahme gegen jegliche Form der Kooperation zwischen ihnen und Regierungen. „Diese Registrierungsverweigerung zieht zwar eine Strafe von 25 000 Lari (8333 Euro) nach sich, doch dahinter steckt eine Taktik: Die Wahlen im Herbst entscheiden über das georgische Schicksal und auch das der NGOs. Bis dahin müssen wir Zeit gewinnen. Gewinnt die Partei „Georgischer Traum“, dann erübrigt sich die Tätigkeit der NGOs. Die Regierung hätte dann nicht nur die gesamte Industrie, sondern auch die Gerichte auf ihrer Seite.“, erklärt Tschetschlaschwili.

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Auch die Reaktionen seitens EU, Deutschland und den USA gegenüber den beiden Ländern gehen auseinander. Während es im Fall Kirgistans lediglich zu einem verbalen Schlagabtausch kam, leidet Georgien seit der Verabschiedung des Gesetzes unter weitreichenden Einschränkungen. Die EU fror nicht nur 30 Millionen Euro der Europäischen Friedensfazilität ein, die dem georgischen Militär zugutekommen sollten. Sie setzte auch den EU-Beitrittsprozess auf Eis. Deutschland sagte ein georgisch-deutsches Rechtsforum in Berlin ab, sprach sich für eine Neubewertung der Beziehung mit Georgien aus und versagte künftigen bilateralen Kooperationen zunächst die Zustimmung. Die USA pausierten ihrerseits die georgisch-amerikanische Militärkooperation Noble Partner und führte Sanktionen in Form von Visaeinschränkungen ein. Diese trafen Mitglieder der Partei „Georgischer Traum“ sowie Vertreter staatlicher Gewaltorgane, die für die Verabschiedung des Ausländische-Vertreter-Gesetzes sowie den Feuerbefehl auf die Demonstranten bei den Protesten gegen dieses Gesetz verantwortlich waren.

Russland oder der Westen

Emil Dschurajew sieht in den beiden Gesetzen eine Zerreißprobe: Georgien und Kirgistan müssen sich zwischen Russland und dem Westen entscheiden. „Doch die kirgisische Ausgangslage ist grundlegend anders. Im Vergleich zu Georgien steht ein EU-Beitritt weder im Gespräch, noch ist ein solcher in der Zukunft zu erwarten. Zudem übte Russland in den letzten Jahren wieder mehr Einfluss auf Kirgistan aus. Da ändern auch die kirgisische Neutralität gegenüber dem Ukraine-Krieg und die vielen in den letzten 30 Jahren geknüpften Beziehungen zu anderen Ländern nichts dran. So gesehen ist es unwahrscheinlich, dass die kirgisische Lage noch einen Umschwung um 180 Grad erfährt. Im Gegenteil, ich denke, dass das Ausländische-Agenten-Gesetz die multilaterale kirgisische Politik der letzten drei Jahrzehnte noch stärker zum Erliegen bringt und uns somit näher an Russland heranrückt. Dabei ist eine breitaufgestellte Außenpolitik ein immens wichtiger Faktor für jeden Staat.“

Leila Saralaeva für Kloop

Aus dem Russischen von Arthur Siavash Klischat

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