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Fördert der Drogenhandel den Terrorismus in Zentralasien?

Inwieweit sind Drogenhandel und Terrorismus miteinander verbunden? Diesbezüglich gibt es sehr gegensätzliche Sichtweisen. US-Geheimdienste sehen im Drogenhandel  die Hauptfinanzierungsquelle von Terrororganisationen, WissenschaftlerInnen verweisen hingegen auf die prinzipiell verschiedenen Organisationsformen (und Ziele) von TerroristInnen und DrogenhändlerInnen. Der folgende Artikel erschien im russischsprachigen Original auf Fergana-News. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Männer beschlagnahmen Drogen
Durchschnittlich 48 Kilogramm Heroin werden pro Jahr und Bezirk in Zentralasien beschlagnahmt

Inwieweit sind Drogenhandel und Terrorismus miteinander verbunden? Diesbezüglich gibt es sehr gegensätzliche Sichtweisen. US-Geheimdienste sehen im Drogenhandel  die Hauptfinanzierungsquelle von Terrororganisationen, WissenschaftlerInnen verweisen hingegen auf die prinzipiell verschiedenen Organisationsformen (und Ziele) von TerroristInnen und DrogenhändlerInnen. Der folgende Artikel erschien im russischsprachigen Original auf Fergana-News. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Die amerikanischen PolitilogInnen Maria Omelicheva und Lawrence Markowitz haben sich entschlossen einen ungewöhnlichen Weg zu gehen. Sie untersuchen den Einfluss des Transitverkehrs afghanischer Opiate auf terroristische Aktivitäten in Zentralasien, indem sie sich auf regionale Statistiken und Daten von Geoinformationssystemen stützen. Ihre Studie „Does Drug Trafficking Impact Terrorism? Afghan Opioids an Terrorist Violance in Central Asia“ veröffentlichten die WissenschaftlerInnen im Journal „Conflict & Terrorism“.

In der Regel beschäftigen sich Terrororganisationen nicht zielgerichtet mit Drogenhandel, sondern bringen das Business auf „ihrem“ Territorium unter Kontrolle. Beispiele hierfür sind die Hisbollah und die Taliban, die Gebiete eroberten, in denen seit Jahrzehnten Pflanzen kultiviert wurden, welche zur Drogenherstellung geeignet sind. In den 2000er Jahren entstand ein internationales Netzwerk zu deren Verbreitung, welches vollkommen autonom von den politischen Ideen der TerroristInnen agierte. Der Drogenhandel „verführt“ die TerroristInnen durch die hohen Einkünfte bei verhältnismäßig geringem Risiko. Das bei diesem Geschäft eingenommene Geld kann dann für den Kauf von Waffen, die Ausbildung von Rekruten, Propaganda und andere Dinge ausgegeben werden.

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Selten ist die „umgekehrte“ Situation der Fall, wenn Drogenbarone zum Terror gegenüber VertreterInnen der Staatsmacht übergehen, da diese ihr Geschäftsmodell bedroht – wie in Mexiko. Des Weiteren existieren strategische Bündnisse zwischen TerroristInnen und DrogenhändlerInnen: erste sichern die Handelsrouten und letztere erlauben es, ihre Logistik für die Vorbereitung von Attentaten zu nutzen. Dennoch sind die indirekten Effekte des Drogenhandels am stärksten ausgeprägt. In Regionen, in denen Drogen hergestellt werden, werden diese auch gewöhnlich konsumiert. Der Staat verwendet gewaltige Ressourcen im Kampf gegen dieses Übel, woran oft die Bildung, das Gesundheitssystem und die wirtschaftliche Entwicklung der „gefährlichen“ Regionen leiden. Dies treibt die erboste und arme Bevölkerung in die Arme der ExtremistInnen.

Zu dem gleichen Effekt führt Gewaltanwendung von Seiten der Sicherheitsapparate, welche den Drogenanbau ausrotten wollen. Letzten Endes nimmt der Aufwand an Kraft und Ressourcen, der gegen den Drogenhandel betrieben wird, den Sicherheitsbehörden die Möglichkeit effektiv radikale Gruppen zu bekämpfen.

Drogenhandel und Terrorismus kartographiert

Soweit die allgemeinen Überlegungen angesichts der weltweiten Situation. Doch wie steht es um die Verbindung zwischen Drogenhandel und Terrorismus in Zentralasien? Nach Meinung der WissenschaftlerInnen ist diese Region besonders interessant, da ihre Staaten im Transitkorridor zwischen Afghanistan und Russland beziehungsweise Europa liegen und so verzerrenden Faktoren wie Herstellung und Verbrauch keine Rolle spielen.

Afghanistan ist der weltweit größte Produzent von Opium (90 Prozent, wobei vor Ort nur ein Prozent verbraucht wird). Ein Viertel bis ein Drittel des Opiums und Heroins wird über die sogenannte nördliche Route transportiert – über Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Kirgistan nach Kasachstan und weiter nach Russland und Europa. Labors zur Herstellung von Heroin gibt es in der Region nicht (zumindest ist den Sicherheitsbehörden nichts davon bekannt).

Zu Sowjetzeiten wurde um den Issykköl herum Schlafmohn zu medizinischen Zwecken kultiviert, aber seit 1974 ist auch dies verboten. Natürlich werden in bestimmten Gebieten (vor allem im Tschui-Tal) Marihuana angebaut, aber dies wird in erster Linie vor Ort konsumiert und spielt keine wesentliche Rolle beim Drogenhandel.

Eine Mohnplantage in Afghanistan
Eine Mohnplantage in Afghanistan

Die WissenschaftlerInnen erstellten eine Karte aller bekannten Fälle von Drogenkonfiszierungen und Terroranschlägen in Zentralasien und erhielten so ein Instrument um die gegenseitigen Verbindungen dieser Phänomene aufzuklären. Dabei arbeiteten sie nicht auf Ebene der ganzen Staaten, sondern deren einzelner Regionen, denn auf gesamtstaatlicher Ebene gleichen sich die einzelnen Indikatoren gewöhnlich an und die regionale Spezifik verwässert.

Die terroristische Aktivität wurde anhand dreier Indikatoren gemessen: die Anzahl der auf dem entsprechenden Gebiet innerhalb eines Jahres begangenen Terrorakte, die Gesamtzahl der Opfer dieser Attentate und ein spezieller Terror-Index, der vom australischen Institut für Wirtschaft und Frieden entwickelt wurde und den Einfluss extremistischer Aktivitäten auf die Bevölkerung misst. Als Indikator für den Drogenhandel diente die Menge des in dem bestimmten Gebiet innerhalb eines Jahres konfiszierten Opiums und Heroins. Die Daten stammen aus der Datenbank des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), die mit Informationen von den Mitgliedsländern, Interpol und den Außenstellen des UNODC gespeist wird. Anschließend wurden die Daten kartographisch visualisiert.

Neben den Schlüsselvariablen beziehen die ForscherInnen einige sozioökonomische, demographische und topographische Faktoren mit ein, wobei sie sich auf staatliche Statistiken stützen. Kindersterblichkeit, Jugendarbeitslosigkeit und die Anzahl an Öl- und Gasquellen wurden als indirekte Indikatoren für das regionale Entwicklungsniveau herangezogen, die Anzahl der Studierenden als Indikator für Bildungsmöglichkeiten. Der Gesamtumfang des (auf Straßen transportierten) Warenverkehrs deutet auf die Entwicklung der Infrastruktur der Region hin und der Abstand zur Grenze und die Anzahl der Grenzübertritte tritt als Risikofaktor in Bezug auf Drogenhandel in Erscheinung.

Heroin und Terror

Und was zeigt die Statistik? Die größte Menge an Opiaten (2000-2334 Kilogramm) wurde im Gebiet Suchandarja in Usbekistan konfisziert. Diese grenzt direkt an die afghanische Provinz Balch, die nicht nur für ihre Laboratorien zur Heroin-Herstellung bekannt ist, sondern auch für den Drogentransit aus anderen Regionen des Landes. Insgesamt wurde das meiste Heroin im Süden Tadschikistans beschlagnahmt (Provinz Chatlon und das Autonome Gebiet Berg-Badachschan). Dort wurde Drogen in dem einen oder anderen Umfang in fast allen Bezirken sichergestellt. Terrorakte fanden hingegen in den Grenzregionen sowie in den Hauptstädten Tadschikistans und Kirgistans statt – ebenso an der turkmenisch-afghanischen Grenze, im Westen Kasachstans und in Almaty.

Um die Bindungskraft zwischen Drogenhandel und Terrorismus zu messen, verwendeten die WissenschaftlerInnen die negative binomische Regression – ein generalisiertes Linienmodell, in den die abhängige Variable Terrorismus anhand der Anzahl an Terrorakten und Opfern bewertet wurde. Alles in allem erscheint die Menge konfiszierter Opiate als bedeutender Faktor, der die Zahl der Terroropfer beeinflusst: je mehr Opiate in einem Gebiet beschlagnahmt wurden, desto mehr Opfer. Die Anzahl der Terroranschläge scheint hingegen davon nicht beeinflusst.

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Bei Heroin ändert sich das Bild: Der Heroinhandel ist unmittelbar mir der Häufigkeit von Terrorakten verbunden. Die WissenschaftlerInnen weisen darauf hin, dass der Einfluss eines Faktors auf den anderen  nicht immer hoch ist. Die Häufigkeit der Anschläge erhöht sich deutlich von 1,15 bei 500 Kilogramm beschlagnahmten Heroins pro Gebiet und Jahr auf 3,75 je 600 Kilogramm. Der durchschnittliche Wert liegt aber in Zentralasien bei 48,2 Kilogramm pro Gebiet und Jahr und Orte an denen 500 Kilogramm erreicht werden, sind selten.

Was die sozioökonomischen Variablen betrifft, kamen die WissenschaftlerInnen zu einem auf den ersten Blick paradoxen Schluss: in Gebieten mit hoher Kindersterblichkeit sind die terroristischen Aktivitäten gering und dort, wo die Bevölkerung von höheren Bildungsmöglichkeiten profitiert, hingegen hoch! Möglicherweise wiederholen sich in Zentralasien die Erfahrungen aus Palästina und dem Libanon: der Hisbollah und der Hamas schließen sich laut Statistiken vor allem Menschen aus gebildeten und finanziell abgesicherten Familien an. Der Entwicklungsstand der Infrastruktur und der Zugang zu Jobs im Staatssektor – all das erweist sich als wichtiger Faktor der Stabilisierung, welche vor Extremismus „rettet“.

Verbindungen nicht offensichtlich

Die Statistik sowie die Kartierung erlauben allgemeine Rückschlüsse über die gegenseitigen Beziehungen zwischen Drogenhandel und Terrorismus zu ziehen, aber sie erklären nicht die konkreten Mechanismen der Beeinflussung. Deswegen betrachteten die WissenschaftlerInnen alle zwischen 2008 und 2016 in Zentralasien begangenen Terroranschläge und untersuchten welche Regelmäßigkeiten erscheinen.

Die erste Gruppe von Terroranschlägen bilden das Selbstmordattentat auf die chinesische Botschaft 2016,zu dem sich die Islamische Bewegung Ost-Turkestans bekannte, sowie die Anschläge auf Milizposten und andere Objekte in Chanabad  und Andischan 2009, die von der Islamischen Dschihad-Union begangen wurden. Es ist bekannt, dass beide Terrororganisationen Geld mit Drogenhandel verdienen. Die Islamische Dschihad-Union wurde damit zum Erben der Islamischen Bewegung Usbekistans (IDU), von der sie sich Anfang der 2000er Jahre abgespalten hatte. Die IDU war in den 90er Jahren der wichtigste Importeur afghanischer Opiate.

Die Bestände eines Drogenlabors werden verbrannt
Die Vernichtung eines Drogenlabors in Afghanistan

Eine zweite Gruppe bilden Vorfälle, bei denen lokale Eliten, die Einkommen aus Drogentransit beziehen, mitwirkten. Konflikte zwischen diesen lokalen Eliten und der Zentralmacht führten nicht selten zu Terrorismus. Nach Meinung der WissenschaftlerInnen gibt Tadschikistan hierfür ein gutes Beispiel –  insbesondere die Terroranschläge in Duschanbe und Wachdat im September 2015 und die Liquidierung von Mirso Sijow im Rahme der Anti-Drogen-Operation „Mohn-2009“.

Die letzte Gruppe von Terroranschlägen ist überhaupt nicht mit Drogen verbunden. Sie umfasst die Ereignisse im Gebiet Tschui in Kirgistan. Obwohl die Region für ihren vor der Staatsmacht erfolgreich versteckten Marihuana-Anbau bekannt ist, geschahen die Terroranschläge hier gemäß den WissenschaftlerInnen aus vollkommen anderen Gründen.

Alles in allem sind sich die WissenschaftlerInnen sicher, dass es einen (wenn auch geringen) Einfluss des Drogenhandels auf den Terrorismus in Zentralasien gibt. Dabei ist dieser Effekt beim Heroin deutlicher ausgeprägter als bei Opiaten. Wichtiger erscheint den ForscherInnen aber, dass sie charakteristische „rote Fahnen“ identifiziert haben – Bezirke, die sowohl für Drogenhandel als auch für Extremismus anfällig sind. Dies sind Bezirke, in denen die Infrastruktur und das Gesundheitssystem schwach entwickelt sind, in denen es mehr Männer als Frauen gibt und in denen die Jugendarbeitslosigkeit hoch ist. Diese Bezirke liegen nah an den Grenzen und an Gebieten, in denen die Herstellung und der Transit von Drogen verbreitet sind.

Artjom Kosmarskij für Fergana-News

Aus dem Russischen von Robin Roth

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Kommentieren (1)

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Logistiker, 2023-06-20

Ich finde es toll, dass nur noch weibliche Terroristinnen und Drogenhändlerinnen gibt, wie ich in dem Artikel lesen kann.

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