Die hohen Einnahmen aus der Kohlenwasserstoffproduktion und der Schifffahrt erklären weitgehend, warum die Anrainerstaaten es nicht eilig haben, Umweltprobleme zu lösen. Das Ignorieren von Umweltschäden kann jedoch sehr kostspielig sein, und sei es nur, weil ein weiteres Absinken des Pegels des Kaspischen Meeres sowohl die Transportindustrie als auch die Kohlenwasserstoffförderung gefährdet.
Das Kaspische Meer, das größte Binnengewässer der Welt, schrumpft Jahr für Jahr. Der Wasserspiegel begann 1995 zu sinken, und im Zeitraum 2006-2024 sank er um zwei weitere Meter auf einen Rekordwert von 29 Metern unter dem Niveau der Weltmeere. Expert:innen sagen voraus, dass der Wasserspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts um weitere 9 bis 18 Meter sinken wird, wodurch sich die Meeresfläche um etwa ein Viertel verringern wird.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Das Problem wird durch viele Faktoren verursacht, darunter die Regulierung der Flussläufe, die Entsalzung und die Verschmutzung durch Kohlenwasserstoffe. Die Hauptursache ist jedoch die globale Erwärmung. Sie führt normalerweise zu einem Anstieg des Meeresspiegels. Das Kaspische Meer ist jedoch ein geschlossener Wasserkörper, der von Flüssen gespeist wird, so dass der gegenteilige Effekt eintritt.
Die durchschnittliche jährliche Lufttemperatur an der Wasseroberfläche ist zwischen 1979 und 2015 um etwa ein Grad gestiegen. Zusammen mit der Änderung der Windrichtung hat dies die Wasserverdunstung deutlich erhöht und in der Folge ein dauerhaftes Absinken des Meeresspiegels ausgelöst.
Verschmutzung und Austrocknung
Die Austrocknung bedroht das gesamte Kaspische Meer. Als erstes wird jedoch der flache nordöstliche Sektor Kasachstans betroffen sein, wo die Schifffahrt entwickelt ist und Mineralien aktiv abgebaut werden. Die gesamten kaspischen Vorkommen belaufen sich auf 48 Milliarden Barrel Öl und 292 Billionen Kubikmeter Gas. Der Anteil Kasachstans beträgt 31,2 Milliarden Barrel und 104 Billionen Kubikmeter.
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Im kasachischen Teil des Kaspischen Meeres gibt es zwei große Ölfelder – Tengiz an Land und Kaschagan vor der Küste. Bei der Förderung, die gemeinsam mit ausländischen Unternehmen durchgeführt wird, kommt es immer wieder zu Umweltverstößen. Gleichzeitig funktionieren die Mechanismen, die die Einhaltung der gesetzlichen Normen Kasachstans und der gesamten Region sicherstellen (das Rahmenübereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Kaspischen Meeres und seine Protokolle), in dem Land nicht gut. So bleiben Schäden am Kaspischen Meer weitgehend ungestraft. Die Nichteinhaltung von Umweltnormen führt zu übermäßigen Treibhausgasemissionen und beschleunigt den Rückgang des Wasserspiegels weiter.
Auf Kasachstan entfallen 29 Prozent der gesamten kaspischen Küstenlinie. Zwischen 2001 und 2022 ist die Fläche des nordöstlichen Teils des Kaspischen Meeres um 39 Prozent geschrumpft und die Küstenlinie ist um 37,25 Kilometer zurückgegangen. Wenn der Wasserspiegel um weitere 10 Meter sinkt, wird die Entfernung zwischen der Küstenlinie und den Küstensiedlungen im nordöstlichen Teil einen Rekordwert von 89 Kilometer erreichen.
Die zweite Ursache für die Verschmutzung des nordöstlichen Teils des Kaspischen Meeres ist die Schifffahrt, die weltweit für 2,2 Prozent der gesamten anthropogenen Kohlendioxidemissionen verantwortlich ist. Darüber hinaus wird die Umwelt regelmäßig durch auslaufende Kraftstoffe verschmutzt.
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Jedes Jahr werden etwa 15 Millionen Tonnen Öl durch Aqtau und Quryq, die wichtigsten Häfen für die Schifffahrt im nordöstlichen Teil des Kaspischen Meeres, transportiert, und diese Zahl steigt weiter an. Offiziell wurden im Zeitraum 2013-2022 in der unmittelbaren Umgebung der Häfen 15 Ölunfälle registriert, doch unabhängige Untersuchungen zeigen, dass die Zahl dieser Fälle um ein Vielfaches höher liegt. Nach Ansicht von Expert:innen ist die Schifffahrt zur Hauptquelle der Ölverschmutzung in diesem Teil des Kaspischen Meeres geworden. Die Form der Ölverschmutzungen lässt vermuten, dass sie durch Ballastwasser oder Abfälle von Schiffen verursacht wurden.
Ein wichtiger Faktor ist dabei die starke Zunahme des Güterverkehrs auf der transkaspischen internationalen Transportroute, die auch als Mittlerer Korridor bezeichnet wird. Chinesische Produkte werden mit der Eisenbahn nach Aktau transportiert, dort auf Schiffe umgeladen und nach Baku transportiert, um von dort aus über Georgien oder die Türkei nach Europa zu gelangen.
Die kaspische Route als Alternative zum nördlichen Korridor
Die Bedeutung der kaspischen Route hat seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine drastisch zugenommen, da sie eine Alternative zum nördlichen Korridor darstellt, der durch Russland verläuft. Die Weltbank schätzt, dass das Frachtaufkommen auf dem mittleren Korridor bis 2030 11 Millionen Tonnen erreichen könnte, von denen vier Millionen durch das Kaspische Meer transportiert werden müssen. Dies wird zu einem weiteren Anstieg der Kohlendioxidemissionen und folglich der Wasserverdunstung führen.
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Gegenwärtig wird der mittlere Korridor hauptsächlich für kasachische Exporte genutzt. Und das Unternehmen Tengizchevroil, das das Tengiz-Feld erschließt, wird für 2024 8,4 Milliarden Dollar in die kasachische Staatskasse einzahlen. Die extrem hohen Einnahmen aus der Kohlenwasserstoffförderung und der Schifffahrt erklären weitgehend, warum die Anrainerstaaten Umweltprobleme nur langsam angehen.
Das Ignorieren von Umweltschäden kann jedoch sehr kostspielig sein, schon allein deshalb, weil ein weiteres Absinken des Pegels des Kaspischen Meeres sowohl die Transportindustrie als auch die Kohlenwasserstoffproduktion bedrohen wird.
Aida Amangeldina für Carnegie Endowment
Aus dem Russischen von Irina Radu
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