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Usbekistan: Das Kind schlagen – nicht so schlimm?

In Usbekistan wurde ein Gesetz vorgeschlagen, welches körperliche Züchtigung in der Kindererziehung verbietet. Denn einige Eltern sind der Meinung, dass es manchmal notwendig sei Gewalt anzuwenden.

In Usbekistan soll körperliche Züchtigung von Kindern verboten werden (Symbolbild), Photo: Wikimedia Commons

In Usbekistan wurde ein Gesetz vorgeschlagen, welches körperliche Züchtigung in der Kindererziehung verbietet. Denn einige Eltern sind der Meinung, dass es manchmal notwendig sei Gewalt anzuwenden.

Ein Klaps oder einen Schlag mit dem Gürtel – wenn das Kind sich nicht benimmt. Fälle von Gewalt gegen Kinder treten besonders häufig in Familien auf, in denen die Männer bedingungslose Anführer sind. In diesen Familien sind neben Kindern auch häufig Frauen von den Demütigungen dieser Patriarchen betroffen. Dass Gewalt lebenslange Spuren in der Psyche eines Kinder hinterlässt, wird von diesen Eltern dabei ignoriert. Seit kurzem wird dieses Problem von usbekischen Abgeordneten diskutiert. Ende Februar verabschiedete die Legislativkammer des Oliy Majlis (Parlament) in erster Lesung einen Gesetzentwurf, der die körperliche Züchtigung von Kindern als Erziehungsmaßnahme verbietet. Fergana hat recherchiert, warum die Behörden diese Gesetzesänderung auf den Weg gebracht haben.

Erziehung im Gesetz

Der Gesetzentwurf trägt den Titel „Über den Schutz von Kindern vor jeder Form von Gewalt“. Bei der Vorstellung des Dokuments im Parlament führte Mansurbek Polvonzoda, Direktor der Nationalen Agentur für Sozialschutz beim usbekischen Präsidenten, eine Reihe statistischer Daten an, die die Notwendigkeit von Maßnahmen gegen „gewaltsame Erziehung“ belegen.

Im Jahr 2021, so der Beamte, wurden 1.831 Straftaten gegen Kinder registriert; ein Jahr später stieg die Zahl um 20 Prozent auf 2.194 Vorfälle. Die Zahl der Minderjährigen, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren, stieg in etwa um den gleichen Betrag. Diese Zahlen sind jedoch nur ein Ausschnitt des Problems, denn Schätzungen zufolge werden 80 Prozent der Fälle nie angezeigt oder öffentlich gemacht, aus Angst oder Loyalität gegenüber der Familie.

Der Leiter der Agentur für Sozialschutz bestätigte die Relevanz des Gesetzes und wies darauf hin, dass 60 Prozent der Menschen, die in jungen Jahren körperliches Leid oder Schikanen erlitten haben, psychisch ungesund aufwachsen und anfällig für Kriminalität und Selbstmord werden.

Vielen Erwachsenen ist dies aber nicht bewusst und sie finden nichts Schlimmes dabei ihre Kinder zu schlagen, anzuschreien oder zu ohrfeigen. Laut Polvonzoda ist das Hauptargument dabei das Verständnis von „mein Kind – ich mache mit ihm, was ich will“.

Laut einer Unicef-Studie sind 70 Prozent der Usbeken und Usbekinnen im Alter zwischen 1 und 14 Jahren Opfer elterlicher Misshandlung geworden, und etwa 30 Prozent von ihnen wurden körperlich bestraft. Die Eltern von 11 Prozent der Kinder, die an der Studie teilgenommen haben, sind der Meinung, dass Schläge zur Erziehung eines Kindes grundsätzlich dazugehören.

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Eine besonders traurige Statistik, die die Notwendigkeit für diese Gesetzesänderung unterstreicht: Nach offiziellen Angaben waren in den ersten neun Monaten des Jahres 2023 22 Kinder an den Folgen häuslicher Gewalt gestorben.

Auch Schulen im Fokus

Der Gesetzesentwurf soll gleichermaßen auch für Lehrkräfte gelten: Disziplinarmaßnahmen in Form von körperlicher Bestrafung, sonstigem grausamen Verhalten oder erniedrigender Behandlung in Bildungseinrichtungen soll zukünftig nicht erlaubt sein.

Darüber hinaus wird die Zahl der Definitionen von Formen der Gewalt gegen Kinder von drei auf sechs erweitert. Während jetzt körperliche, sexuelle und psychische Gewalt aufgeführt sind, werden sie nach Inkrafttreten der Neuerungen ergänzt durch:

Vernachlässigung – Nichtbeachtung der Bedürfnisse eines Kindes, die zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Gesundheit und Entwicklung des Kindes führt;

Ausbeutung – Zwang eines Kindes zur Arbeit (dazu gehören sexuelle Ausbeutung, Menschenhandel, Betteln, Zwangsheirat, erzwungener Religionsunterricht usw.);

Mobbing – Beleidigung von Kindern, Boykott, Diskussion über die Eigenheiten eines Kindes sowie Mobbing im Internet.

Angezeigt werden können Eltern und andere Schutzbefohlene nicht nur durch Aussagen der Opfer oder von Zeugen, sondern auch auf Grundlage von Videos oder Fotos in den sozialen Netzwerken. Dies kam in der Vergangenheit schon öfter vor. So gab es erst Anfang des Jahres ein viral gegangenes Video, in denen zu sehen war, wie ein Lehrer zur Bestrafung zweier Siebtklässler, die einen Schreibtisch beschädigt hatten, diese misshandelte und bloßstellte, indem er ihre Stirne gegeneinanderstieß und einem Kind einen Schlag auf den Kopf verpasste. Die örtliche Behörde für innere Angelegenheiten leiteten eine Untersuchung des Vorfalls ein.  Fälle, wie diese, in denen Videos von Misshandlungen in den sozialen Medien kursieren, gibt es regelmäßig.

Das Hauptziel des Gesetzentwurfs sei jedoch nicht die Verschärfung der Strafen, sondern die Schaffung eines Systems zur Verhinderung von Gewalt, zur Gewährleistung des Wohlergehens von Familien und zur Arbeit mit Kindern, die unter der Wut von Erwachsenen gelitten haben, so Polvonzoda.

Normalisierte Gewalt

Die oben erwähnte UNICEF-Studie führt eine weitere traurige statistische Tatsache an: 33 Prozent der Mädchen im Alter von 15 bis 19 Jahren glauben, dass ein Ehemann das Recht hat, seine Frau zu schlagen. Mit anderen Worten: Usbekischen Mädchen wird von Kindheit an beigebracht, dass häusliche Gewalt normal ist.

Beispiele wie diese zeigen einen Missstand in der usbekischen Gesellschaft – in der als normal betrachtet wird Gewalt anzuwenden gegenüber Schwächeren. Deswegen müssen solche Gesetzesanpassungen passieren, um das Denken in den Köpfen zu ändern. Ob diese Änderung auf dem Papier auch ein Umdenken mit sich bringen wird, ist noch unklar.

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Im Herbst 2023, als das Dokument noch unter Experten diskutiert wurde, deutete die UNICEF-Regionaldirektorin für Europa und Zentralasien, Regina De Dominicis, an, dass das Gesetz, wenn es angenommen wird, das Leben junger Usbeken verändern könnte, indem es dazu beiträgt, sie zu schützen, sie zu erziehen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihr Potenzial auszuschöpfen.

Es ist sehr wichtig, dass der Wortlaut und der Zweck des Gesetzes die höchsten Standards des Kinderschutzes widerspiegeln, so dass das Gesetz nicht nur Worte auf dem Papier ist, sondern eine transformative Kraft für das Leben aller Kinder in Usbekistan„, betonte De Dominicis.

Fergana News

Aus dem Russischen übersetzt und gekürzt von Karina Rudi

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