Mit angepassten Regeln erlebt das zentralasiatische traditionelle Spiel hoch zu Ross ein Comeback kasachischer Kultur.
Als die Sonne über einem Hippodrom am Stadtrand von Almaty untergeht, stellen sich zehn Männer auf Karabair-Pferden in einer Reihe auf. Auf das Signal des Schiedsrichters hin stürmen sie über das Feld auf einen gefüllten Ledersack zu, der etwa so groß ist wie eine Ziege. Die Pferde stoßen zusammen, während die Reiter sich gegenseitig schubsen und mit der Peitsche treiben, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Das nomadische Spiel Kokpar hat begonnen.
Das einst beliebte Kokpar aus Kasachstan ähnelt im Wesentlichen dem afghanischen Buzkaschi oder dem kirgisischen Kök-Börü. Diese kasachische Version wurde jedoch an moderne Standards angepasst: ein kleineres Feld, weichere Tore und eine künstliche Ziege.
Für Daniıar Daukeı, der einen lokalen Kokpar-Club leitet, dienen diese Änderungen dazu, die Popularität zu steigern. Ähnliche Maßnahmen werden in der ganzen Region ergriffen, um das nomadische Erbe des Spiels mit modernen Standards in Bezug auf Ethik und Sicherheit in Einklang zu bringen.
Eine gefährliche Tradition
Nach einem kurzen Gerangel stürmt ein Reiter mit der 25 Kilogramm schweren Attrappe an seiner Seite auf das Tor zu. Er springt von seinem Pferd in das donut-förmige Tor; der Spielzug nennt sich „Taı Qazan” – eine riskante, aber gängige Bewegung.

„Die Dynamik des Spiels hat sich seit der Sowjetzeit verändert, es ist jetzt aggressiver“, erzählt Ulan Bigojin, Anthropologe an der Nazarbaıev-Universität. Er weist darauf hin, dass das Spiel heute mit größeren Pferden gespielt wird. Zudem sei Kokpar nach wie vor ein körperbetonter Sport, der viel Kraft erfordert.
Diese Gefahr ist in Kirgistan offensichtlich, wo Anfang dieses Jahres ein Spieler starb, nachdem ein Pferd ihn umgerannt hatte – der dritte Todesfall dieser Art in sieben Jahren. Todesfälle sind zwar selten, aber Gehirnerschütterungen, Getrampel und Kollisionen bei hoher Geschwindigkeit sind an der Tagesordnung.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Trotz der häufigen Verletzungen erklärt Bigojin, dass insbesondere die Kirgisen zögern, Sicherheitsregeln einzuführen: „Gerade durch die Beibehaltung dieser gefährlichen Aspekte des Spiels, wie beispielsweise eines Taı Qazan aus Beton, gewinnt das Spiel heute an Popularität.“
Auch Daukeı räumt die Gefahren des Taı Qazan ein, den er durch eine weichere Version ersetzen liess.
„Anstelle des Beton-Tores, das in Kirgistan verwendet wird und für Pferde und Spieler gefährlich ist, bauen wir unsere Tore aus Heu“, erklärt er. „In der offiziellen kasachischen Version wird einfach ein Kreis auf das Feld gezeichnet, und es ist leicht, ein Tor zu erzielen. In unserer Version muss man vor dem Tor aus Heu anhalten, um es nicht umzuwerfen, und dadurch erhält die gegnerische Mannschaft mehr Zeit, ihr Tor zu verteidigen.“

Daukeı verkürzte weiter das Spielfeld, um gefährliche Zusammenstöße zu vermeiden, reduzierte die Mannschaften von vier auf drei Spieler pro Seite und ersetzte den traditionellen Ziegenkadaver durch eine Puppe. Während einige Änderungen umstritten sind, wurde die Ziegenpuppe sogar von den kirgisischen Kök-Börü-Spielern weitgehend akzeptiert.
Ein traditioneller Sport
Die genauen Ursprünge von Kokpar sind unbekannt, aber Varianten dieses Spiels werden seit Jahrhunderten in ganz Zentralasien gespielt. Manchmal nahmen Hunderte von Reitern auf jeder Seite daran teil, und der Sport war sowohl Wettkampf als auch Gemeinschaftsritual.
„Wenn wir auf das 19. und frühe 20. Jahrhundert zurückblicken, war Kokpar selbst während der Sowjetzeit wahrscheinlich weniger ein Sport als vielmehr ein Volksspiel“, vermutet Bigojin.
Unter sowjetischer Herrschaft verschwand Kokpar fast vollständig. Die Kollektivierung schränkte die Anzahl privater Pferde ein und nomadisch lebende Menschen wurden in Städte umgesiedelt.
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„Wenn man ein Pferd hatte, konnte man es für Kokpar trainieren. Da die meisten Pferde jedoch in Staatsbesitz übergingen, wurden sie vor allem in der Landwirtschaft eingesetzt. Es war zwar weiterhin möglich, Kokpar zu spielen, aber durch die Kollektivfarmen und die Abwanderung vieler Menschen in die Städte starb das traditionelle Spiel fast aus“, erzählt Bigojin weiter.
Obwohl Kokpar nie offiziell verboten wurde, geriet es bei vielen in Vergessenheit, insbesondere im Norden Kasachstans, wo russischstämmige Siedler:innen keine kulturelle Verbindung dazu hatten.
Wiederbelebung der Nomadenkultur
Seit der Unabhängigkeit Kasachstans erlebte Kokpar im Rahmen einer breiteren Wiederbelebung nomadischer Traditionen ein Comeback. Die World Nomad Games, die 2014 ins Leben gerufen wurden und bereits in Kirgistan, der Türkei und Kasachstan stattfanden, präsentieren Sportarten wie Bogenschießen, Ringen und eben Kokpar. Die von lokalen Regierungen finanzierten Spiele ziehen Teilnehmende aus so weit entfernten Ländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten und den USA an.

Auch die sozialen Medien tragen zur Rückkehr von Kokpar bei. Daukeıs Verein veröffentlicht Highlights für mehr als 50.000 Follower.
„Wir können ohne soziale Medien nicht leben. Sie sind für uns eine Möglichkeit, das Spiel zu übertragen und sicherzustellen, dass die kasachische Bevölkerung weiß, wie spannend es ist“, meint Daukeı.
Gleichzeitig entstanden in ganz Kasachstan „Ethno-Dörfer“, die Besuchenden einen Einblick in die Lebensweise von früher geben. „Man kann Kokpar spielen, Bogenschießen zu Pferd betreiben, Tee aus dem Samowar trinken und Plov am Stadtrand essen. Wenn man zurückkommt, teilt man all diese Videos und Bilder“, analysiert Bigojin weiter.
Das Spiel ist nach wie vor männerdominiert. Die Spieler stellen ihre Kraft zur Schau und müssen innerhalb der lokalen Wirtschaftselite Geld für ihren Sport sammeln. „Einige lokale Geschäftsleute möchten vielleicht ihren Ruf aufbauen und das Spiel sponsern. Dadurch entsteht ein System der Förderung. Man kann ein männlicher Kokpar-Spieler sein, aber man braucht trotzdem Geld, um seine Leidenschaft aufrechtzuerhalten“, schließt Bigojin.
Globale Ambitionen
Für Daukeı besteht das Ziel nicht nur darin, Kokpar lokal wiederzubeleben, sondern es auch auf die internationale Bühne zu bringen. Die Idee dazu kam ihm 2017, als ausländische Polospieler, die Almaty besuchten, Kokpar zum ersten Mal ausprobierten und dessen Potenzial lobten.
Zwei Jahre später präsentierten Daukeı und zehn Teamkollegen den Sport bei einem Jagdfestival in Fontainebleau, Frankreich, vor 17.000 Zuschauern. Dies war eine Gelegenheit, den Sport einer neuen Gruppe potenzieller Spieler vorzustellen.

„Jeder Sport braucht Amateure, sie sind der Hauptmotor für die Entwicklung des Sports, weil sie eine andere Sicht auf das Spiel haben“, meint Daukeı.
Die Vorführung in Frankreich brachte weitere Einladungen zu Reitsportveranstaltungen im Ausland ein, aber die Finanzierung bleibt eine Hürde. „Wir erhalten jedes Jahr Einladungen zum Jagdfestival in Frankreich und auch Anrufe aus den USA, doch dazu brauchen wir einen guten Sponsor, um mit unseren Pferden dorthin zu kommen“, erklärt er weiter.
Andernorts belässt man den Sport näher an der nomadischen Version, die vor und während der Sowjetzeit gespielt wurde, um ihm zu mehr Popularität zu verhelfen.
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Aıdarbek Hodjanazarov, Präsident der Kokpar-Föderation und Abgeordneter, erzählt, er wolle den Sport wieder populärer machen, unter anderem durch die Gründung einer neuen Kokpar-Liga im Land. Hodjanazarov äußerte sich im vergangenen Jahr kontrovers, nachdem das Finale der Nomad Games zwischen Kirgistan und Kasachstan von kirgisischer Seite kritisiert worden war.
„Vor einigen Jahren wurde unser kasachischer Spieler auf die Intensivstation gebracht, nachdem er von kirgisischen Spielern festgehalten worden war. Wir haben keine Aufregung darum gemacht. Denn dies ist Kokpar, kein Ballett. Wenn man spielen will, darf man sich nicht darüber beschweren, mit einer Peitsche geschlagen zu werden“, waren seine Worte.
Ungeachtet aller Rhetorik über Stärke, Mut und Kühnheit mahnt Bigojin, dass Sicherheit an erster Stelle stehen müsse. Daukeı, der von seinem sichereren Format überzeugt ist, denkt bereits langfristig: „In fünf Jahren sollte diese Version des Sports in Kasachstan populär werden und in zehn Jahren könnte er sich auf Kirgistan ausbreiten. Doch um sie international zu etablieren, braucht man 15 Jahre“, vermutet er.

Nachdem er die Puppe im Taı Qazan abgedeckt hat, trabt ein Reiter in einem eng anliegenden Hemd und einer hellroten Pelzmütze zum Rand des Feldes. Er zieht sein Handy aus der Hosentasche, sein Gesicht leuchtet im Licht des Bildschirms. Am anderen Ende meldet sich eine weibliche Stimme. Es ist Zeit, das Tor mit seinen Liebsten zu feiern.
Albert Otkjaer für Vlast
Aus dem Englischen von Michèle Häfliger
Die Rückkehr von Kokpar als Kasachstans moderner Nationalsport