Nach 6 Tagen der Spekulation verkünden offizielle Kanäle am frühen Nachmittag: Usbekistans Langzeitpräsident, Islam Karimow, ist tot.
Es ist das Ende einer langen Zeit der Spekulationen. Am 2. September bestätigen drei diplomatische Quellen den Tod Karimows. Diese Nachrichten folgen auf die offizielle Verlautbarung des usbekischen Kabinetts , dass sein Zustand am Morgen „kritisch“ gewesen sei.
Alles begann am 27. August, als Taschkent verlautbarte, dass Karimow in ein Krankenhaus gebracht wurde. Seine Tochter teilte am 29. August mit, dass der Staatschef eine Hirnblutung erlitt.
Verdächtiges Schweigen
Seitdem schwieg die Regierung über Karimows Gesundheitszustand. In internationalen Medien provozierte das breite Spekulationen darüber, wer während der Abwesenheit Karimows und in Zukunft das zentralasiatische Land führe. Dies vermischte sich mit immer zahlreicher werdenden Spekulationen und Hinweisen auf den Tod des Präsidenten.
Am 1. September beging die Republik Usbekistan das 25. Jubiläum ihrer Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Der ungewisse Gesundheitszustand des usbekischen Präsidenten schwebte unheilvoll über den Festivitäten, die zum ersten Mal ohne ihn stattfanden. Sein Fehlen an dem Nationalfeiertag, dessen Traditionen und Zeremonien er noch mitgestaltet hatte, unterstrich die Unsicherheit und Unklarheit die mittlerweile in Usbekistan herrschten.
Der Unabhängigkeitstag in Usbekistan
Der Mittelpunkt des Unabhängigkeitstags ist normalerweise der Präsident selbst, umgeben von politischen Symbolen und großen Massenszenen, welche die Gründung der usbekischen Nation glorifizieren. Aber es ist auch ein beliebter Feiertag mit vielen Konzerten in den öffentlichen Parks, wo die Bevölkerung tanzen und sich amüsieren kann, bevor der Sommer endet und die Schule wieder beginnt.
Dieser 1. September war trotz seiner symbolischen Bedeutung natürlich weniger entspannt. Es gab einige Konzerte in den Parks wie das im Park Babour in Taschkent, wo jedoch eine der zwei aufgebauten Bühnen komplett leer blieb. Nur vereinzelte Tänzer wiegten sich im Takt usbekischer Musik.
Im Staatsfernsehen wünschten interviewte Passanten dem Präsidenten eine gute Besserung und beglückwünschten ihn zu 25 Jahren usbekischer Unabhängigkeit.
Usbekistan feiert, ist mit dem Kopf jedoch wo anders
Schon am 31. August wurden zwei Veranstaltungen abgesagt: zuerst der jährliche Besuch des Präsidenten bei der Gedenkstätte „Shakhidlar Hotirasi“, wo der Opfer politischer Repressionen gedacht wird und schließlich das Konzert am Vorabend der Feierlichkeiten, an dem der Präsident alljährlich teilnimmt.
Bis zum Vorabend war das Programm des Unabhängigkeitstags noch unklar. Viele spekulierten schon auf eine komplette Absage. Letztlich wurde das Ende von 20 auf 18 Uhr vorgezogen, offiziell wegen des Fußballspiels Usbekistans gegen Syrien. Das traditionelle große Feuerwerk wurde offiziell nur verschoben, sollte noch an einem anderen Tag stattfinden.
Die Rede des Präsidenten im Fernsehen
Zum ersten Mal seit 25 Jahren hielt Karimow seine Rede zur Unabhängigkeit nicht selbst. Ein Nachrichtensprecher las sie der gespannten Öffentlichkeit vor. Ob die Rede tatsächlich von Karimow stammte oder überhaupt genehmigt wurde, ist unklar. Der Text appellierte an den Nationalstolz der Usbeken und an den Zusammenhalt der Nation in einer immer unsichereren Welt.
„Karimow“ beglückwünschte seine Mitbürger zu den Fortschritten, die seit 1991 erreicht wurden. 1991 bezeichnete er als das Jahr der „Befreiung aus dem Griff eines totalitären Regimes“. Er beschrieb den Fortschritt eines „unterentwickelten Landes, das unfähig ist, sich selbst zu beschützen und Opfer der verheerenden Effekte einer Wirtschaft ist, die komplett auf Baumwolle basiert“ hin zu einem „dynamischen und stabilen Staat, der einen ehrhaften Platz innerhalb der internationalen Gemeinschaft einnimmt.“
Der verlesene Text rief die Bürger Usbekistans auf, die alten Arbeitsweisen hinter sich zu lassen und zu neuen Ufern aufzubrechen: im Mittelpunkt solle eine moderne Wirtschaft stehen, die sich den Ansprüchen der internationalen Märkte stellen kann.
Er rief auch zur Geschlossenheit gegenüber den vielfachen Konflikten in der Region auf. Er betont, Karimow sei bisher keinem politischen oder militärischen Pakt beigetreten und wehre sich weiterhin gegen die Stationierung fremder Truppen auf usbekischem Boden.
Zum Schluss gratulierte er den usbekischen Athleten, die in Rio rekordreiche 13 Medaillen gewannen, davon 4 goldene.
Die Verkündigung des Todes
Laut verschiedenen Quellen wurden bereits am Morgen irreguläre Reinigungsarbeiten in Karimows Geburtsstadt Samarkand beobachtet. Derlei Vorbereitungen, die in der Regel nur bei Besuchen anderer Staatschefs getroffen werden, forcierten schon neue Spekulationen. Dazu kam die Ankündigung des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew, am Samstag nach Usbekistan reisen zu wollen.
Schließlich wurde die Verschlechterung von Karimows Zustand öffentlich gemacht. Wenig später, um 14 Uhr 20 lokaler Zeit, verkündete Reuters seinen Tod. Laut Fergana.ru sei er bereits seit dem 29. August klinisch Tod, aber maschinell am Leben gehalten.
Die gebliebenen Machthaber wollten wohl eine Verkündigung vor oder während dem gestrigen Nationalfeiertag vermeiden. Der Machtkampf hinter den Kulissen ist für Beobachter nach derzeitigem Stand kaum durchschaubar.
Ungewisse Zukunft
Islam Karimow regierte die zentralasiatische Republik seit 1991 mit harter Hand. Nun stellt sich unweigerlich die Frage nach seiner Nachfolge. Laut der Verfassung des Landes wird nun der Vorsitzende des Senats, Nigmatoulla Youldachew zum Interimspräsidenten ernannt. Es dürfen allerdings höchstens drei Monate bis zur nächsten Wahl vergehen.
Drei potenzielle Kandidaten
Chavkat Mirziajew ist seit 2003 Regierungschef und wird als wahrscheinlichster Nachfolger Karimows gehandelt. Die Kontrolle über die Regierungskanäle, welche die Erkrankung des Präsidenten verkündeten, liegt in seiner Hand. Sein Ruf eilt ihm voraus: Er gilt als äußerst brutal und rücksichtslos. Zwischen 1996 und 2001 leitete er die Provinz Jizzakh – mithilfe des Samarkander Klans.
Ein anderer Kandidat ist der Finanzminister des Landes, Rustam Azimow aus dem Taschkenter Klan. Er ist seit 1998 Regierungsmitglied und hat einen Ruf als gebildeter Mann – im Gegensatz zu Mirziajew. Als Zuständiger für Außenkontakte bei der Nationalbank war er bereits in den 1990er Jahren an wichtigen Aufgaben des Landes beteiligt. Damals verhandelte er erfolgreich einen Entwicklungsfond aus Europa.
Auch der Chef der Geheimdienste könnte Karimow nachfolgen. Auch er ist Teil des Taschkenter Klans und einer der mächtigsten Männer des Landes. Mit seinen 72 Jahren spielt er schon seit einigen Jahren die graue Eminenz und scheute selbst nicht vor der Präsidentenfamilie zurück.
2014 war er wohl mitverantwortlich für die Verhaftung der Tochter Karimows. Sie galt als natürliche Nachfolgerin, stolperte aber über einen großen Korruptionsskandal.
Allerdings spricht sein Alter gegen ihn und in letzter Zeit wurde er auch nicht mehr oft in der Öffentlichkeit gesehen. So scheint sein Aufstieg zum Staatschef eher unwahrscheinlich. Allerdings ist unumstritten, dass er bei der Ernennung des neuen Präsidenten eine entscheidende Rolle hinter den Kulissen spielen wird.
Die Folgen sind schwierig zu kalkulieren
Die Nachfolgeregelung ist nicht nur für Usbekistan von großer Bedeutung, sondern wird nun auch in den anderen Staaten Zentralasiens mit Spannung erwartet. Mit seinen 30-Millionen Einwohnern ist Usbekistan ein wichtiger Faktor für die Stabilität der Region. Ein offener Konflikt zwischen den usbekischen Klans könnte Spannungen in ganz Zentralasien auslösen.
Da auch andere autoritär regierte Nachbarstaaten, vor allem Kasachstan, keine klare Nachfolge geregelt haben, werden die folgenden Wochen in Usbekistan eine wichtige Blaupause für die kommenden Machtwechsel in Zentralasien.
Die Redaktion