Carrefour kündigt an, in den nächsten zwei Jahren in Taschkent mehrere Supermärkte eröffnen zu wollen. Wie sieht der Einzelhandelsmarkt in Usbekistan aus und was bringt den Landwirten der Eintritt von Carrefour in den usbekischen Markt? Wir übersetzen diesen Artikel in gekürzter Form mit freundlicher Genehmigung von „Fergana News“.
Ende Oktober 2019 wurde bekannt, dass die französische Supermarktkette Carrefour, das weltweit größte Einzelhandelsunternehmen nach Walmart, in den usbekischen Markt eintreten und dort Supermärkte eröffnen will. In den kommenden zwei Jahren sollen in Taschkent insgesamt sieben Geschäfte mit einer Gesamtfläche von 17.400 Quadratmeter entstehen.
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Die Geschäfte wird Majid Al Futtaim leiten, eine Holding aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die über das Exklusivrecht verfügt, Carrefour-Supermärkte in verschiedenen Ländern des Nahen Ostens, Afrikas und Asiens zu eröffnen – darunter auch in Usbekistan. Man wolle die usbekische Wirtschaftsentwicklung unterstützen und werde deshalb mit mehr als 600 lokalen Lieferanten zusammenarbeiten, hieß es aus der Holding. Außerdem würden durch die neuen Geschäfte fast 2.500 Arbeitsplätze entstehen. Dass Carrefour als einer der größten Einzelhändler der Welt in den usbekischen Markt eintreten will, ist eine echte Sensation, zumal es der erste ausländische Anbieter in Usbekistan wäre.
Kleiner Markt mit großen Möglichkeiten
Obwohl Usbekistan auf eine lange Handelstradition zurückblicken kann, steht der Lebensmitteleinzelhandel erst am Anfang seiner Entwicklung. Momentan gibt es nur zwei große Supermarktketten im Land: Korsinka und Makro. Schwächer als in Usbekistan ist der Einzelhandel vermutlich nur noch in Tadschikistan entwickelt, wobei es selbst dort schon seit einigen Jahren einen Supermarkt der französischen Kette Auchan gibt.
Marktführer in Usbekistan ist die Kette Makro. Obwohl die Firma erst 2010 gegründet wurde, 14 Jahre später als Korsinka, verfügt sie bereits über 53 Geschäfte und liegt damit vor dem Konkurrenten mit 50 Geschäften. Außerdem ist Makro mit 22 Filialen außerhalb von Taschkent stärker in den Regionen vertreten. Ihre Finanzberichte halten beide Firmen unter Verschluss, aber es kann davon ausgegangen werden, dass die Firmen jeweils über 100 Milliarden usbekische Sum (ca. 9,6 Millionen Euro) Gewinn machen, denn beide sind von den Steuerbehörden als große Steuerzahler gelistet, und eine Voraussetzung für die Aufnahme in diese Liste ist ein jährlicher Gewinn von mindestens 100 Milliarden Sum.
Allerdings ist ihr Anteil am gesamten Markt selbst dann, wenn man die Marktanteile beider Firmen addiert, eher gering. Nach Einschätzung von Korsinka gibt es im Land insgesamt mehr als 20.000 Lebensmittelgeschäfte. Gerade dies macht Usbekistan sehr attraktiv für ausländische Investoren. „Für Einzelhandelsketten sind drei Faktoren entscheidend: die Zahl der Konsumenten, die Höhe der Umsätze und die Marktkonkurrenz. Die Umsätze sind in Usbekistan zwar noch nicht so hoch, aber sie steigen kontinuierlich. Um die beiden anderen Faktoren ist es bestens bestellt: Es gibt eine große Bevölkerung und praktisch keine Konkurrenz“, erklärt Andrej Jarmak, Ökonom bei der Food and Agriculture Organization der UNO, im Gespräch mit „Fergana“.
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Majid Al Futtaim begründet sein Interesse am usbekischen Markt unter anderem mit einer beeindruckenden Prognose: Die Holding ist davon überzeugt, dass der Umsatz im Lebensmittelmarkt allein in Taschkent bis 2023 auf bis zu 5 Milliarden US-Dollar (ca. 4,5 Milliarden Euro) steigen könnte. Im Jahr 2018 betrug das Volumen des Lebensmittelmarktes im gesamten Land laut Statistikbehörde gerade einmal 6,7 Milliarden US-Dollar (ca. 6 Milliarden Euro).
„Der usbekische Markt ist noch jung und bietet die Möglichkeiten, die in den Nachbarländern bereits vor 20 Jahren zu finden waren. Hier gibt es alles, was für die Entwicklung des Einzelhandels wichtig ist: eine hohe Bevölkerungszahl und -dichte. Das Einzige, was die Entwicklung behindern könnte, wären die relativ niedrige Kaufkraft und etwaige besondere bürokratische Regelungen vonseiten der Behörden. Wenn diese Hindernisse überwunden sind, wird sich der Einzelhandel entwickeln“, so Jewgeni Dolbilin, Partner der Consulting-Firma Scot Holland | CBRE in Kasachstan und Zentralasien.
Sprungbrett für den Export
Die Nachricht über den Einstieg von Carrefour in den usbekischen Markt ruft bei den lokalen Einzelhändlern indes keine Panik hervor. Der Gründer von Korsinka, Safar Chaschimow, ist davon überzeugt, dass der Markteintritt einer ausländischen Kette die Entwicklung des Einzelhandels voranbringt . „Für den Markt bedeutet das neue Formate und Kanäle für den Verkauf sowie die Weiterentwicklung von Waren. Für die Konsumenten bedeutet das: mehr Auswahl und Abwechslung. Von dem, was jetzt passiert, profitieren alle Marktteilnehmer“, so Chaschimow.
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Ökonom Jarmak sieht das ähnlich. Seiner Meinung nach hilft der Eintritt eines internationalen Unternehmens in den lokalen Markt Usbekistan dabei, seine Position auf dem internationalen Markt für Gemüse und Obst zu stärken. Um den hohen internationalen Standards der Ketten zu entsprechen, werden usbekische Bauern viele Aspekte ihrer Produktion weiterentwickeln müssen: Anbaumethoden, Pflanzenschutz, allgemeine Hygienebedingungen in den Produktionsstätten oder auch die Pflück-, Lager- und Verpackungsmethoden.
Außerdem geht er davon aus, dass „die Ketten ständig ihre Anforderungen hochschrauben und die Bauern gezwungen sein werden, diesen zu entsprechen, denn der Einfluss der Ketten wird steigen. Sie werden die größten Einkäufer auf dem Markt sein und es wird eine große Schlange von Lieferanten geben, die ihnen ihre Waren verkaufen wollen“.
Die Erfahrung in Osteuropa zeigt, dass mit dem Aufkommen großer Ketten lokale Landwirte den Export von Obst und Gemüse steigern. So exportierte Polen etwa 1990 gerade einmal 38,5 Tonnen Äpfel, im Jahr 2017 waren es schon mehr als eine Million. Dies lag zu einem großen Teil an den Supermarktketten, deren hohe Qualitätsstandards Landwirte dazu motivierten, ihre Produktions- und Lagerungsbedingungen auszubauen.
Carrefour wird es nicht besonders schwer haben, sich auf dem usbekischen Markt zu etablieren. Das Unternehmen verfügt über große Erfahrung auf dem internationalen Markt und vor Ort werden Franchise-Läden mit großzügiger finanzieller Ausstattung das Projekt vorantreiben. Auch die Warenauswahl wird sich im Vergleich zu den beiden lokalen Supermarktketten sehen lassen können: Majid Al Futtaim verspricht, den Kunden bis zu 40.000 verschiedene Waren anzubieten. Dagegen hatte Konkurrent Korsinka 2018 lediglich etwa 12.000 Waren im Sortiment.
Die Konkurrenz um die usbekischen Kunden muss laut Chaschimow nicht zwangsläufig aggressiv ausfallen. „Dafür, dass der Markt über 30 Millionen potenzielle Kunden umfasst, haben Supermarktketten den modernen Einzelhandel noch wenig für sich erschlossen. Urteilen Sie selbst: Nach unseren Berechnungen beträgt der gesamte Anteil des modernen Einzelhandels, und wir reden hier nur über Taschkent, bezogen auf den Bruttokonsum von Lebensmitteln und Bedarfsgütern nicht einmal 9 Prozent. Auf das ganze Land bezogen ist der Anteil noch niedriger. In Kasachstan beträgt der Anteil über 45 Prozent, in Europa und den USA fast 90 Prozent. Unser Markt hat noch ein großes Wachstumspotenzial, und bis wir von echter Konkurrenz sprechen können, ist es noch ein langer Weg“, so der Gründer von Korsinka.
Carrefour versucht es schon zum zweiten Mal in Zentralasien
Bereits 2015 unternahm Carrefour den Versuch, in den zentralasiatischen Markt einzusteigen, scheiterte dabei allerdings kläglich. Damals erklärte Majid Al Futtaim, man wolle in Kasachstan neun Geschäfte eröffnen, und 2016 wurde der erste Markt in Almaty eröffnet. Nur ein Jahr später wurde er jedoch schon wieder geschlossen und Carrefour zog sich in der Folge vom kasachischen Markt zurück. Bei Majid Al Futtaim wurde der rasche Rückzug mit der Entwertung des kasachischen Tenge und der harten Konkurrenz erklärt, allerdings führten lokale Experten andere Gründe an. So habe man bei Carrefour das Sortiment falsch ausgerichtet: Die Hälfte des Sortiments umfasste Non-Food-Waren, Kasachstaner betrachteten Supermärkte jedoch in erster Linie als Lebensmittelläden und kauften dort kein Non-Food. Darüber hinaus wurden ungünstige Standorte, das Fehlen einer guten Auswahl an Eigenmarken und das Nichtberücksichtigen lokaler Besonderheiten als weitere Gründe für den Rückzug genannt.
Inwieweit Majid al Futtaim aus seinen Fehlern gelernt hat, wird nicht nur für die Firma selbst von Bedeutung sein, sondern auch für den gesamten usbekischen Einzelhandelsmarkt. „Ich denke, dass viele Einzelhändler und Investoren die aktuelle Situation aufmerksam beobachten. Wenn Carrefour erfolgreich ist, dann werden definitiv auch andere Firmen hinzukommen. Wenn dieser zweite Versuch allerdings ein ähnliches Fiasko wird wie zuvor in Kasachstan, dann werden die Zweifler sich ihrer Haltung bestätigt sehen, dass die richtige Zeit noch nicht gekommen ist“, meint Jewgeni Dolbilin.
Jegor Petrow für Fergana News
Aus dem Russischen von Florian Tack
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