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Das Registrierungssystem in Taschkent – Über die schlechte Umsetzung einer Reform

Seit langem gibt es in Taschkent ein System der Wohnsitzanmeldung, das den Zuzug in die Stadt begrenzen soll. Nur wer im Besitz einer solchen Anmeldung ist, hat das Recht in Taschkent zu wohnen. Über dieses System gibt es seit Jahren Unmut in der Bevölkerung. Nun soll eine Reform Abhilfe schaffen, verkompliziert die Lage aber nur noch weiter. Folgender Artikel erschien im russischen Original bei Hook. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

josuamoehring 

Tschorsu Basar Taschkent Usbekistan
Auf dem Chorsu-Basar in Taschkent

Seit langem gibt es in Taschkent ein System der Wohnsitzanmeldung, das den Zuzug in die Stadt begrenzen soll. Nur wer im Besitz einer solchen Anmeldung ist, hat das Recht in Taschkent zu wohnen. Über dieses System gibt es seit Jahren Unmut in der Bevölkerung. Nun soll eine Reform Abhilfe schaffen, verkompliziert die Lage aber nur noch weiter. Folgender Artikel erschien im russischen Original bei Hook. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

„Wir haben die Füße unserer Bürger in Fesseln gehalten und dieses Problem 30 Jahre lang nicht gelöst“, heißt es in einer Botschaft des Präsidenten an das Parlament vom Januar. Die Rede war vom System der Wohnsitzanmeldung: Darüber, wie überholt es ist, wie es die innere Migration des Landes stört und überhaupt die Entwicklung bremst. An diesem Tag ordnete Shavkat Mirziyoyev  an, es zu reformieren.

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Laut (der russischsprachigen, Anm. d. Ü.) Wikipedia ist eine Reform die Änderung von Regeln im Bereich des menschlichen Lebens, ohne dabei ihre grundsätzlichen Funktionen zu berühren, oder eine auf legislativem Wege eingeführte Umgestaltung. Das Umgestalten ist dem Innenministerium gelungen – nur überhaupt nicht zum Positiven.

Keine Verbesserungen

Alle hatten erwartet, dass das Verfahren eine dauerhafte Wohnsitzanmeldung zu erhalten, wenn nicht vollständig abgeschafft, so doch stark „zurechtgestutzt“ würde. Doch das Innenministerium zerstörte diese Hoffnung schnell. Der veröffentlichte Entwurf vereinfachte nicht nur in keiner Weise das Verfahren der Wohnsitzanmeldung, sondern er erschwerte es spürbar.

Zur vollständigen Zählung der Bevölkerung wurde ein reguläres elektronisches System erarbeitet, das unter dem Namen „Mansil“ („Adresse“) firmiert. Ändert sich bei einer Person die Aufenthaltsadresse, so hat diese 10 Tage Zeit ihre Dokumente einzureichen.

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Das Wichtigste: Eben jenes Personenverzeichnis, das bestimmte, wer das Recht auf den Erhalt einer dauerhaften Wohnsitzanmeldung in Taschkent hat, ist nicht verschwunden und die Bedingungen, sie zu bekommen, sind nicht weniger geworden. Im Gegenteil, es kam zu einer spürbaren Einschränkung. Früher hatten „Nicht-Taschkenter“ die Möglichkeit gemeinschaftlich in den Neubauten Wohnungen zu kaufen und mehrere Eigentümer erhielten so die ersehnte Wohnsitzanmeldung. Nun schlägt das Innenministerium ein neues Prinzip vor: eine Wohnung – ein Eigentümer.

Die Änderungen können auch „Familien-Wohnsitzanmeldungen“ betreffen. Zurzeit bekommt eine Person eine Taschkenter Wohnsitzanmeldung, wenn sie eine Ehe mit jemandem registriert, der die Anmeldung schon hat. Im Falle einer Scheidung innerhalb eines Jahres „verfliegt“ der Erhalt der Wohnsitzanmeldung. Das Innenministerium schlägt vor diese Frist auf drei Jahre auszuweiten.

Außerdem wird vorgeschlagen, die Bedingung abzuschaffen, dass für Immobilien nur in den Neubauten erworben werden können . Eventuell (aber nicht sicher) ermöglicht dies gebrauchte Wohnungen zu kaufen.

Was du versprichst, das halte (nicht)

Worin liegt Problem mit dem Entwurf des Innenministeriums? Darin, dass sein Resultat das Vertrauen in die Behörden untergraben kann. Das Dokument widerspricht vollständig allen Erklärungen und Versprechungen und derer gab es nicht wenige.

Nach dem Appell des Präsidenten an das Parlament fingen die Beamten buchstäblich am nächsten Tag an sich plötzlich gegen die Institution der Wohnsitzanmeldung auszusprechen. Da konnte man den stellvertretenden Ministerpräsidenten Jamshid Qo´chqorov sagen hören: „Ich kann nichts über die juristische Seite der Frage sagen, aber so etwas gibt es nirgendwo sonst. Das muss geändert werden.“ Oder den Direktor des Nationalen Zentrums für Menschenrechte Akmal Saidov: „Aus international-rechtlicher Sicht ist die Wohnsitzanmeldung als Diskriminierung zu betrachten.“

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Wesentlich später, im Februar, gab auch das Innenministerium seine Erklärung ab. So sagte der stellvertretende Leiter der Behörde Aziz Ikramov offen, dass die Wohnsitzanmeldung ein „überholtes System“ sei. Damals kündigte er auch an, ausgehend von internationalen Erfahrungen (in diesem Fall von Japan und Malaysia), den Begriff Wohnsitzanmeldung durch den Begriff Registrierung zu ersetzen. Dabei kommt das Wort „Wohnsitzanmeldung“ in dem neuen Dokument 194 Mal vor.

Es ist unverständlich, wozu das System der Wohnsitzanmeldung beibehalten werden soll, wenn das Staatsprogramm 2020 die Bedingungen seines Vorhandenseins beim Kauf einer beliebigen Immobilie in Taschkent abschafft. Womöglich führen diese Aktionen zu einer Veränderung des Sinns der Existenz dieses Systems. Es wird nicht dazu dienen,  Taschkents Bevölkerung zu begrenzen, sondern sich in ein zusätzliches Instrument des Trackings von Bevölkerungsverschiebungen umwandeln. Man bedenke, dass dafür ein eigenes elektronisches System erarbeitet wurde: Die Daten werden sich sehr schnell aktualisieren und die Wohnsitzanmeldung fängt an nicht mehr in Form eines Stempels im Pass  zu existieren, sondern als eigene Funktion in der ID-Karte. Aber was am Ende passiert, das wird die Zeit zeigen.

Yakov Shomuhamedov für Hook

Aus dem Russischen von Josua Möhring

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