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Wie Wissenschaftler:innen für das Überleben einer Spezies kämpfen: Die Rettung der Schneeleoparden

Schneeleoparden – eine nur in Asien vorkommende Art der Säugetiere aus der Familie der Katzen – leben lediglich auf dem Gebiet von 12 Ländern: Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan, der Mongolei, Russland, Nepal, Pakistan, Myanmar, Bhutan, Indien und China. Mit Hilfe moderner Technologien überwachen Wissenschaftler:innen das Verhalten und die Lebensweise der Schneeleoparden, um das Wissen über diese seltene Spezies zu erhöhen und ihr Überleben zu sichern.

Collage: Perizat Suleiman

Schneeleoparden – eine nur in Asien vorkommende Art der Säugetiere aus der Familie der Katzen – leben lediglich auf dem Gebiet von 12 Ländern: Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan, der Mongolei, Russland, Nepal, Pakistan, Myanmar, Bhutan, Indien und China. Mit Hilfe moderner Technologien überwachen Wissenschaftler:innen das Verhalten und die Lebensweise der Schneeleoparden, um das Wissen über diese seltene Spezies zu erhöhen und ihr Überleben zu sichern.

„Es ist nicht so einfach“ – so beginnt die Antwort zu jeder Frage über den Schutz und den Erhalt von Schneeleoparden. Sind Schneeleoparden eine gefährdete oder stark gefährdete Art? Was ist die größte Bedrohung für ihr Überleben und ihre Vermehrung? Welches ist der beste und wirksamste Weg, sie zu beschützen? „Es ist nicht so einfach“, werden Experten stets zur Antwort geben.

Diese vage Formulierung ist bedingt durch zwei Besonderheiten der Lebensweise der Leoparden, welche die Möglichkeit ihrer Beobachtung kompliziert: Sie leben in hoch in den Bergen gelegenen, für Menschen schwer erreichbaren Orten, und sie durchstreifen regelmäßig beeindruckende Gebiete auf der Suche nach Beute. Schneeleoparden sind strikt territoriale Tiere, und Männchen bewahren und umrunden regelmäßig ihre Jagdterritorien, welche bis zu 1000 km² groß sein können. Fälle, in welchen ein Leopard in das Territorium eines anderen Vertreters der Art gleichen Geschlechts eindringt, sind extrem selten.

Obwohl diese Tiere ein großes Territorium benötigen, bestätigte ein 2016 von der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften veröffentlichter wissenschaftlicher Bericht, dass fast 40% aller geschützten Gebiete im Bereich der Schneeleoparden zu klein sind, um auch nur ein sich fortpflanzendes Paar dieser stark gefährdeten Katzen zu ernähren. Spezialisten sind davon überzeugt, dass es zum Überleben der Art in der Wildnis mindestens ein Gebiet braucht, welches Raum bietet für das freie Umherstreifen von wenigstens 50 sich fortpflanzenden Weibchen.

Überwachungsmethoden

Die Verfügbarkeit solcher Daten und ihre Genauigkeit wurde in den letzten paar Jahren dank der sich entwickelnden Technologien der Tierbeobachtung möglich. Wildtierkameras produzieren faszinierende Videos und Fotografien von Tieren und dokumentieren jedes einzelne Individuum, welches auf einem Foto eingefangen wird. Früher machten Wissenschaftler Fotos und sammelten Tierkot, um die DNA der Schneeleoparden zu untersuchen. Aber beide Methoden hatten schwerwiegende Einschränkungen: Es war unmöglich herauszufinden, was und wann die Schneeleoparden fressen, wie groß ihre Jagdterritorien sind und wie lange sie ihren Nachwuchs säugen und großziehen.

Fast alle wilden Katzenjungen werden im Juni und Juli geboren. Foto von Snow Leopard Trust

An diesem Punkt kommt revolutionäre Entwicklung zu Hilfe: Halsbänder mit GPS-Trackern. Mehrere gemeinnützige Organisationen und Stiftungen haben angefangen, diese Technologie Schritt für Schritt einzusetzen. Eine von ihnen, die Snow Leopard Trust, hat es gemeinsam mit der Unterstützung von Partner-Organisationen geschafft, mehreren Schneeleoparden in Pakistan, Kirgistan und der Mongolei diese Halsbänder anzulegen. Diese tracken einige der Tiere seit 2006.

Mit der Hilfe der Informationen von den Halsbändern haben wir gelernt, in welchen Bereichen sich die Tiere bewegen. Ein Weibchen legte in dem Beobachtungszeitraum eine Distanz von 2000 Kilometern zurück. Wir wären niemals in der Lage gewesen, diese Art von Informationen ausschließlich mit Kameras zu dokumentieren. Wir können auch sehen, wie lange ein Schneeleopard in einer Region verweilt und wie oft er sein Lager wechselt“, sagte Kuban Jumabai Uulu, Direktor des Snow Leopard Trust in Kirgistan.

Wie Halsbänder mit GPS-Trackern funktionieren

Für uns ist der Prozess, einem Tier ein Halsband anzulegen, eine Kombination von Expertise und Kunst“, sagt Koustubh Sharma, Direktor für Wissenschaft und Naturschutz beim Snow Leopard Trust.

Senior-Wissenschaftler beim Snow Leopard Trust, Dr. Örjan Johansson, ist der unangefochtene Anführer unter den Wissenschaftler:innen, welche mit der Implementierung und der Entwicklung dieser Technologie zu tun haben. Im Rahmen des ehrgeizigen Forschungsprojekts, welches die Lebensbedingungen und das Überleben der Schneeleoparden studiert, ist es ihm gelungen, seit 2006 mehr als 30 Schneeleoparden in der Mongolei Halsbänder anzulegen. Als Hauptgebiet der Studie dient bisher der südliche Teil der Gobi-Wüste in der Mongolei.

Um den Leoparden Halsbänder umzulegen, studieren die Experten die Routen eines bestimmten Tieres und platzieren eine Falle auf ihrem Weg. Wird die Falle aktiviert, macht sich ein Team von Wissenschaftler:innen auf den Weg zur Stelle und betäubt das Tier mit einem sicheren Betäubungsmittel. Während der Zeit, in der der Leopard bewusstlos ist, untersuchen die Wissenschaftler:innen das Tier gewissenhaft nach jedweden Verletzungen, legen ihm ein Halsband um und sammeln DNA-Proben von Blut und Haar für weitere Untersuchungen. Falls ein Tier mit irgendwelchen Verletzungen in die Falle gerät, wird es ohne Halsband freigelassen.

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Der Snow Leopard Trust ist besonders stolz auf die neuesten Entwicklungen im Halsband-Design; die aktuelle Version des Gerätes hat ein automatisches Freigabesystem. 18-20 Monate, nachdem das Halsband angebracht wurde, fällt es ohne menschliches Zutun automatisch vom Hals des Tieres. Während das Halsband aktiv ist, erhalten die Wissenschaftler alle fünf Stunden neue Daten über den Aufenthaltsort des Tieres. Diese Informationen erlauben es ihnen nicht nur, die Bewegungen des Tieres nachzuvollziehen, sondern auch das Verhalten und die Gewohnheiten des Tieres besser zu verstehen. Wenn die Wissenschaftler:innen beispielsweise feststellen, dass das Tier eine ausgedehnte Zeitspanne an einem Ort verbringt, dann ist es wahrscheinlich, dass das Tier Beute gemacht hat und damit beschäftigt ist. Sobald der Schneeleopard den entsprechenden Ort verlässt, untersuchen die Wissenschaftler:innen die Überreste der Mahlzeit und stellen anhand der Knochen fest, welches Tier dem Raubtier zum Opfer fiel.

Die Forscher:innen mussten sicherstellen, dass eine so einschneidende Herangehensweise an die Erforschung der Tiere keinen bleibenden negativen Effekt auf die Wildkatzen haben würde. Dafür legten die Wissenschaftler:innen die Halsbänder zunächst Schneeleoparden im Woodland Zoo in Seattle um, bevor sie das Programm mit den GPS-Tracker-Halsbändern in der Wildnis umsetzten. Sorgfältige Beobachtung des Verhaltens der Tiere bevor, während und nach dem Experiment zeigten, dass die Halsbänder die Leoparden nicht beeinflussten. Dieselben Ergebnisse wurden nach der Entfernung der Halsbänder von den wildlebenden Schneeleoparden erzielt.

Gefangenschaft vs. Freiheit

Zurzeit werden etwa 3000 Schneeleoparden in Zoos rund um die Welt gehalten. Sie sind die letzte Hoffnung der Wissenschaftler:innen, sollte es zum schlimmstmöglichen Szenario kommen.

Es ist wichtig zu erkennen, dass trotz lautstarker Behauptungen, Schneeleoparden seien keine stark gefährdete Art mehr, solche Aussagen nicht mit 100%iger Sicherheit gemacht werden können. Wir haben immer noch keine Möglichkeit, die genaue Zahl der in der Wildnis lebenden Schneeleoparden festzustellen. Die Unterschiede zwischen unseren Schätzwerten sind beträchtlich. Wir sollten außerdem im Kopf behalten, dass die Zahl der Schneeleoparden in der Wildnis weiter abnimmt“, erklärt Koustubh Sharma.

Die Situation mit den in Gefangenschaft gehaltenen Schneeleoparden ist ebenfalls ungewiss. Es handelt sich dabei nicht um optimale Bedingungen und es gab noch keinen Fall, in welchem ein in Gefangenschaft geborener Schneeleopard in der Lage gewesen wäre, sich erfolgreich in einem für ihn beabsichtigten Leben in der Wildnis zu behaupten. Aber wenn die Zahl der wildlebenden Individuen weiter fällt und die Population der wilden Schneeleoparden abnimmt, wird alle Hoffnung auf den in Gefangenschaft geborenen Tiere ruhen. Sie sind der Schlüssel zum Erhalt der Art und ein Garant für ihr Überleben.

Die Hauptbedrohungen und deren Bekämpfung

Die Situation wird in dieser Angelegenheit nicht einfacher. Die Schneeleoparden haben viele Feinde: die globale Erwärmung, Wilderer, die Abnahme von Beutetieren sowie die lokale Bevölkerung, welche während der Verteidigung ihres Grund und Bodens und ihrer Viehherden Wildkatzen schwerwiegend verletzen oder töten kann. Es gibt auch bekannte Fälle, in welchen die Schneeleoparden zum Kollateralschaden wurden im Kampf gegen Nagetiere und Wölfe mit Pestiziden in den Revieren der Raubtiere.

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Das Global Programme for the Conservation of Snow Leopards and their Ecosystems [Globales Programm zum Schutz der Schneeleoparden und ihres Lebensraumes] in Kasachstan geht davon aus, dass die Schneeleoparden allen oben beschriebenen Bedrohungen ausgesetzt sind. Die größte Bedrohung sind Wilderer, rachedurstige Schafhirten und das Gesetz brechende Jäger. Zusätzlich sind die Schneeleoparden weltweit von dem Aussterben bedroht, weil trotz der zahlreich existierenden nationalen und internationalen Gesetze und Umweltschutzabkommen diese gesetzlichen Vorgaben nicht ausreichend umgesetzt werden. Menschliche Aktivitäten, welche in den Lebensraum der Schneeleoparden eindringen und zum Klimawandel beitragen, reduzieren immer mehr das ohnehin schon ungenügende Gebiet für den erfolgreichen Erhalt der Art.

Schneeleoparden sind Einzelgänger und normalerweise allein unterwegs. Manche von ihnen haben Reviere von bis zu 1000 Quadratkilometern. Foto bereitgestellt vom Snow Leopard Trust

Nichtsdestotrotz verzweifeln Stiftungen und NGOs nicht. Je nachdem, welche Bedrohungen für das Überleben der Art in einem bestimmten Land am verbreitesten sind, entwickeln die Organisationen entsprechende Programme. In Indien und Pakistan beispielsweise, wo Schäfer in abgelegenen Gegenden oft Schneeleoparden töten, um ihre Herden zu schützen, bietet der Snow Leopard Trust finanzielle Entschädigung an für den Verlust von Nutztieren. In Kirgistan belohnt Kuban Jumabai Uulys Team Parkwächter für jeden gestellten Wilderer, und führt für Familien und Kinder, welche direkt neben dem Lebensraum der Tiere leben, Informationsveranstaltungen über Schneeleoparden durch.

Alle Länder, welche an dem Global Programme for the Conservation of Snow Leopards and their Ecosystems teilnehmen, sowie mehr als 20 Tierrechtsorganisationen unterstützen eine Initiative namens PAWS (Population Assessment of Snow Leopards in the World = Einschätzung der Population von Schneeleoparden in der Welt). Das Projekt wurde während des Internationalen Forums über den Schutz von Schneeleoparden und ihres Lebensraumes in Bischkek 2017 vorgestellt; sein Hauptziel ist die möglichst genaue Einschätzung der Population der Schneeleoparden in der Wildnis.

Währenddessen kann jede Person, welche am Erhalt der Art interessiert ist, in einfacher Weise helfen: indem sie sich mit der Wirklichkeit des Lebens der Schneeleoparden vertraut macht. Der Mangel an Wissen unter der lokalen Bevölkerung und der von den Behörden autorisierten Personen ist ebenfalls einer der bedeutenden Faktoren, welcher die Lebensbedingungen der Schneeleoparden negativ beeinflusst.

Safiya Sadyr und Anna Wilhelmi für Novastan

Aus dem Englischen von Mafra Martens

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