Die „Generation Z“, oder „digital natives“, bezeichnet in der Generationentheorie die Menschen, die ab Mitte der 1990er geboren wurden. Es handelt sich um die Generation, die ganz mit digitalen Medien groß geworden ist. Doch was hat es mit dieser Jungend in Kasachstan auf sich? Der Politikwissenschaftler Danijar Kosnasarow beschreibt im Interview mit „Expert Kazakhstan“ die sogenannte Generation „Zyng-Zyng“, benannt nach einem sehr populären Musikvideo. Der erste Teil des Interviews beschäftigt sich vor allem mit den Anforderungen, die kasachische Jugendliche heute an die Bildung stellen und ihren – recht konservativ erscheinenden – Lebensvorstellungen.
Die Idee, dass Generationen mehr sind, als nur eine Altersgruppe, bewegt Geschichtswissenschaftler, Soziologen und Philosophen schon seit langem. Schon Jose Ortega y Gasset oder Auguste Comte haben sich dem Thema gewidmet. Als Begünder der Generationentheorie gilt jedoch der deutsche Soziologe Karl Mannheim. Er studierte den Einfluss gemeinsamer historischer oder wirtschaftlicher Ereignisse, darunter auch technologische Neuerungen, auf eine gegebene Generation.
In den 1960ern bekam das Thema mit den Studentenbewegungen im Westen wieder Aufschwung. Die erste „belabelte“ Generation war wohl die von „Sex, Drugs & Rock’N Roll“, die Nachkriegsgeneration, die sich stark von den Werten ihrer Eltern abgrenzte. Auf der Grundlage der Theorien von Mannheim theorisierten konzipierten die US-Amerikanischen Forscher William Strauss und Neil Howe die Generation der Baby-Boomer (1943-60) und die Generationen X (1960-81), Y oder „Millenials“ (1981-2000) und Z (nach 2000). Letztere ist demnach mitunter durch die Wirtschaftskrisen, den Krieg gegen den Terror und das Internet geprägt.
Zudem entstand die Hypothese, dass die aktuellen jungen Generationen sich weltweit durch die Prozesse der Globalisierung immer ähnlicher werden. Ein Forscherteam der Narkhoz Universität um Danijar Kosnasarow widmet sich der Frage, ob die Hypothesen westlicher Foscher sich auch bei der kasachstanischen „Generation Z“ bestätigen lassen. Dabei ging es nicht zuletzt auch darum, die zukünftigen Studierenden besser zu verstehen und so das Bildungsangebot an der Universität zu verbessern.
Expert Kazakhstan: Wie müssen die Lernprozesse an die heutige Jugend angepasst werden ?
Danijar Kosnasarow : Technologien ändern Menschen, aber die kasachstanischen Hochschulen folgen weiterhin einem konservativen Bildungssystem, wenn sie auch versuchen, dem Zeitgeist zu folgen. Die Tendenzen zu Reformen haben sich mit der Ernennung von relativ jungen Rektoren verstärkt.
Die Universitäten haben begonnen, die Wichtigkeit der Vorbildung zu erkennen. Einige kasachstanische Hochschulen haben schon ein Rebranding unternommen: Narxoz University, Satbayev University, Atyrau University. Sie bemühen sich attraktiv für die Jugend zu sein. Aber nicht die Fassade ist wichtig, sondern die gebotenen Bildungsinhalte.
Darum geht es ja gerade: Das Branding ist eine Sache, aber inwiefern ändern die kasachstanischen Hochschulen den Bildungsprozess? Westliche Forscher sagen, die Kinder der Generation Z seien mit elektronischen Gadgets aufgewachsen und seien nicht mehr in der Lage, sich auf lange Texte zu konzentrieren. Andererseits sind die digitalen Technologien für sie ein gewohnter Raum. Ist eine solche Entwicklung auch bei den kasachstanischen Jugendlichen zu beobachten?
Wir haben uns vor unserer Studie ausführlich den ganzen Arbeiten der westlichen Forscher gewidmet. Sie beobachten, dass die Generation Z einen starken Bezug zu digitalen Technologien hat. In dem Bezug haben uns die Angaben der 14- bis 17-jährigen, die wir 2016 befragt haben, überrascht.
Die kasachstanische Generation Z ist ohne Zweifel mit elektronischen Gadgets vertraut. Ihre Vertreter verbringen viel Zeit auf sozialen Netzwerken, insbesondere bei Instagram, Telegram und VKontakte (dem russischen Äquivalent von Facebook). Im Übrigen benutzt die meisten Kasachstaner heutzutage aktiv Mobiltelefone. Alte Kommunikationskanäle und traditionelle Treffen verlieren ihre Attraktivität.
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Die kasachstanische Generation Z ist zwar mit elektronischen Gadgets besser vertraut, als die vorherigen Generationen, benutzt sie aber nicht so ausführlich. Es gibt zwar eine Mode um das Programmieren und um IT-Spezialisierungen, aber leider widmen sich nur sehr wenige junge Leute ausführlich dem Programmieren, der Data Science und den digitalen Technologien.
Kurz gesagt kann man unsere Generation Z nicht im vollen Sinne als „digital natives“ bezeichnen, also Menschen, die die neuen Technologien von klein auf benutzen und sich damit auch gut auskennen. Sie sind eher „digital immigrants“, ebenso wie die Millenials und die Menschen von früheren Generationen. Ja, sie nutzen Smartphones, aber sie können viele Programme nicht vollständig ausnutzen, zudem die meisten sich nicht für das Programmieren, die Robotik, künstliche Intelligenz oder Big Data interessieren. Unsere Generation Z entspricht also in dem Sinne nicht den digital natives in entwickelten Ländern.
Wenn die kasachstanische Generation Z sich von ihren westlichen Altersgenossen unterscheidet, heisst dass, dass wir die Bildungsprozesse nicht ändern müssen?
Natürlich müssen wir sie ändern. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die kasachstanischen Jugendlichen wollen, dass das Wissen der Hochschullehrern ihnen nicht über klassische Methoden beigebracht wird. Sie möchten es sich selber aneignen, der Lehrer soll die Diskussion in der Klasse am besten einfach nur unterstützen.
Die Studenten haben uns gesagt: «Entschuldigen Sie, aber viele Informationen können wir selbst im Internet finden. Uns ist viel wichtiger, dass der Lehrer uns zur Diskussion anregt, uns die Möglichkeit gibt, unseren Standpunkt zu erklären und uns dabei hilft, uns die neu erworbenen Kenntnisse auch in die Praxis umzusetzen.“
Das heißt, die Jugend möchte keine Lehrer oder Hochschullehrer, die Wissen einfach übertragen und deren Meinung als Wahrheit gilt. Es gibt viel eher eine Nachfrage nach Lehrern als Moderatoren, die die Diskussionen leiten, in denen die Studenten ihre eigenen Meinungen an denen der anderen messen können. Der Hochschullehrers, als jemand, der alles weiß und viel Lebenserfahrung hat trifft bei Jugendlichen und Studenten nicht auf Verständnis. Eine solche Hierarchisierung nimmt ihnen eher die Motivation zu lernen.
Laut unserer Studie gibt es eine Nachfrage nach Hochschullehrern mit viel professioneller Erfahrung. Die Jugend zieht die Praxis der Theorie vor. Jemand der zum Beispiel Marketing lehrt sollte viel praktische und wissenschaftliche Erfahrung haben. Solche Leute stoßen auf größeren Respekt, als Professoren, die einfach ihre Lektion aus dem Buch rezitieren. Ich bin nicht gegen Theoretiker, aber Studenten können jede Information heutzutage selbstständig finden und lesen.
Diese Entwicklung bedeutet allerdings auch, dass es heute umso wichtiger ist, Studenten zum kritischen Denken zu erziehen. Informationen zu finden ist kein Problem, dafür ist es aber schwer einzuschätzen, welchem Artikel man vertrauen kann. In Schulen und Hochschulen muss man demnach lehren, wie Information gefiltert werden können, und wie die richtigen Entscheidungen getroffen werden und man gut durchs Leben kommt.
Ich möchte Glück
Die Zahlen Ihrer Studie sind beeindruckend: Für 65 Prozent der Leute ist das wichtigste Ziel „Familienglück erreichen“. Ihre Informanten sind 14 bis 17 Jahre alt. In solch einem Alter träumt man doch eigentlich eher von sportlichen Erfolgen, als von einem ruhigen Alltag. Und nur ein Drittel der Befragten sieht „die Möglichkeit, sein Talent zu verwirklichen“ als wichtigstes Ziel im Leben. Wie kann man das interpretieren: Beobachten wir einen Trend zum Konservatismus oder handelt es sich hier um eine gewisse Infantilisierung?
Eine wichtige Erkenntnis aus unserer Forschung ist, dass es für die kasachstanischen Generation Z keine Konflikte zwischen Eltern und Kindern geben soll. Das ist ein globaler Trend, der besonders auch in Russland zu beobachten ist. Auch die die russische Forscherin Ekaterina Schulman zum Beispiel hat angemerkt, wie wichtig die Familie für die russische Generation Z ist.
Warum ist das so ? In dieser komplizierten und unverständlichen Welt ist die Familie für unsere Jugend die klarste und verlässlichste Konstruktion. Sie ist ein „sicherer Raum“, wie einer unserer Informanten sagte, eine Basis, auf die man sich stützen kann.
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Gleichzeitig hat die Jugend aber auch einen recht pragmatischen Blick auf diesen « sicheren Raum ». Familie, dass sind die Leute, die einen immer materiell und psychisch unterstützen werden. Es gibt sehr viel Online-Kommunikation, die aber eher auf einer leichten freundschaftlichen Ebene bleibt. Unsere Jugend geht davon aus, dass sie keine tiefgreifenden Vertrauensverhältnisse zu Freunden, Kollegen und Vorgesetzten haben wird. Sie suchen eine Art Therapie und finden diese in der Familie. Heutzutage kümmern sich die Jugendlichen viel um ihre Stellung in sozialen Medien. Schüler sind gestresst durch Instagram. Sie sorgen sich um die Zahl der „Likes“, darum, wer sie „getaggt“ hat und wie sie von anderen wahrgenommen werden. In der Familie können sie aber sie selbst sein, ohne sich zu verstellen.
Also eine Art Infantilismus.
Auf eine Art ja, aber sie sind nicht wirklich daran Schuld. Die Bedingungen dafür wurden von ihren Eltern geschaffen, die in den schweren 1990ern aufgewachsen sind. Es ist verständlich, dass die Eltern nach dem, was sie erlebt haben, ihre Kinder von jeglichen Schocks schützen wollen und ihnen möglichst günstige Bedingungen schaffen wollen.
Und ja, die Folgen dieser Hyper-Bevormundung sind sichtbar : Die Eltern machen alles für die Kinder und bemühen sich, mehr oder weniger alle ihre Wünsche zu erfüllen. Der Komplex der 1990er wird so in umgekehrter Ordnung weitergegeben.
65 Prozent der Befragten geben « Familienglück » als wichtigstes Ziel im Leben an. Scheint ihnen nicht, dass das auf einen Trend hin zum Konservatismus hinweist?
Das Interessanteste ist, dass sich die Gesellschaft als Ganzes in Kasachstan traditionalisiert. Sowohl für die Jugend als auch für die Älteren steht die ethno-religiöse Identität heute im Vordergrund. In dem Sinne folgt unsere Generation Z ganz diesem gesamtgesellschaftlichen Trend.
Andererseits kommen auch Widersprüche zum Vorschein: Wenn die Familie für die Generation Z an erster Stelle steht, warum endet dann jede dritte Hochzeit in einer Scheidung? Dieses Dilemma habe ich noch nicht gelöst, vielleicht können an der Stelle andere Kollegen weiterarbeiten.
Vielleicht ist die Familie für 30-jährige kein solcher Wert mehr und auch die Generation wird ihr Wertesystem in diesem Alter überdenken ?
Das werden wir weiter studieren. Mir scheint, die Familie bleibt wichtig. Nicht nur das Elternhaus, sondern auch die eigene Familie. Die Frage des Alterns hat mehrere Facetten. Die Kindheit endet früh für die Generation Z, mit massivem Zugriff auf Informationen, vor allem visuellen, aus dem Internet. Sie empfinden sich als deutlich älter, als sie sind. Gleichzeitig ist das Syndrom des „erwachsenen Kindes“ eine typische Erscheinung, also der Wunsch, nicht erwachsen zu werden und keine Verantwortung für sich und für andere tragen zu wollen.
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Sie fragten nach der Infantilisierung der Generation Z. Man sollte an dem Punkt nicht vergessen, dass die meisten Kasachstaner erst mit 30 ein gewisses Engagement zeigen. Dreißigjährige sind aktiver in der Politik und im sozialen Bereich, sie werden zu aktiven Bürgern. Reden wir über die 16-jährigen Jugendlichen, die wir befragt haben, so ist es erstaunlich, wie gleichgültig sie gegenüber dem Geschehen im Land sind. Natürlich verfolgen sie alles seit ihrer Kindheit, haben sich an die gegebene Ordnung aber schon gewöhnt.
In Gesprächen mit heutigen Jugendlichen wird oft der Traum geäußert, Instagram-Star zu werden, um mit Werbung Geld zu verdienen.
Wie gesagt, unsere Generation Z unterscheidet sich von ihren westlichen Altersgenossen dadurch, dass sie elektronische Gadgets vor allem zur Unterhaltung und zum Zeit-Totschlagen nutzen. Vielleicht hat das damit zu tun, dass unser Bildungssystem sich noch nicht angepasst hat und die neuen Technologien noch nicht in den Lehrprozess eingebunden werden.
Würde man Programmieren und Robotik lehren und die Arbeit mit Big-Data schon in den jungen Klassen fördern, dann würde unsere Jugend auch aktiver werden. In jedem Fall zeigen die Zahlen, dass viele Jugendlich sich auf IT spezialisieren. Dieser Trend wird noch weiter wachsen.
Natürlich kann man die Generation Z auch nicht unabhängig von der Entwicklung der gesamten Gesellschaft betrachten. Die sozioökonmische Lage hat mehr Einfluss, als wir denken. Die Generation als theoretisches Konstrukt kann nicht alles erklären.
Hier geht es zum zweiten Teil vom Interview.
Mit Danijar Kosnasarow sprach Askar Maschajew
Expert Kazakhstan
In der gekürzter Fassung aus dem Russischen von Florian Coppenrath
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