Startseite      Das Dorf und die Deutschen: Das kasachische Dorf mit dem ungewöhnlichen Namen Peterfeld

Das Dorf und die Deutschen: Das kasachische Dorf mit dem ungewöhnlichen Namen Peterfeld

Im nächsten Jahr wird Peterfeld, das sich in Nordkasachstan befindet, 110 Jahre alt. Das Dorf wurde 1908 von zugewanderten Deutschen gegründet. Der Eigentümer des Landes, von dem die Deutschen Grundstücke kaufen wollten, stellte die Bedingung, dass das Dorf nach ihm benannt wird, und so geschah es. Bis zur Mitte der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts sprach man im Dorf noch ausschließlich Deutsch. Doch seitdem hat sich vieles verändert. Eine Reportage von Renat Taschkinbajew und Turar Kasangapow, aus dem Russischen übersetzt von Manuel Rommel. Werktags ist auf den Straßen Peterfelds so gut wie niemand zu sehen. Der überwiegende Teil der Einwohner befindet sich am Tag in Petropawlowsk. „Am frühen Morgen fahren die Leute in die Stadt, deswegen beginnt das ganze Leben hier erst abends“, sagen die Peterfelder. Die Molodjoschnaja-Straße („Straße der Jugend“, Anm.d.Ü.). Aber, wie die Peterfelder bekräftigen, gibt es hier für Jugendliche außer dem Lernen in der Schule nicht viel zu tun. Irgendwann einmal gab es ein Kulturhaus, aber auch das ist schon lange her. Die Dorfschule in Peterfeld – das ist nicht nur ein Bildungs- sondern auch das Kulturzentrum des Dorfes. Hier finden alle wichtigen Veranstaltungen und Feste statt. „Es gab mal ein Kulturhaus, aber das hat man verfallen lassen, genauso wie die öffentliche Mensa und den zweigeschossigen Kindergarten“, beklagen die Einwohner. Wie man im Akimat (Bürgermeisteramt, Anm.d.Ü.) erklärte, wurden das Kulturhaus und andere Objekte im Zuge der Unabhängigkeit Kasachstans von privaten Investoren gekauft, die kein Interesse an ihrem Erhalt hatten und sich später kaum um die Grundstücke gekümmert haben. Zerstörte und verlassene Gebäude im Dorf. Vor langer Zeit war das Dorf zu 100 Prozent Deutsch. Aber in den neunziger Jahren kehrten fast alle Deutschen in ihre historische Heimat zurück. Geblieben sind nur wenige. In diesem Dorf Spuren von den Deutschen zu finden, gehört nicht gerade zu den einfachen Aufgaben. Aber das Erste, was einem hier auffällt, sind die hübschen Häuser, die gepflegten Vorgärten um sie herum und die sauberen Straßen. Übrigens sehen die Peterfelder in ihrem Dorf nichts Bemerkenswertes. Sie meinen, dass es in der Gegend hübschere und gepflegtere Dörfer gebe. „Das Dorf hatte mal eine große Zukunft. Nasarbajew war sogar schon zwei Mal hier“, erzählt Swetlana Wiktorowna. „Ich habe Nasarbajew mit den eigenen Augen gesehen. Ganz genau hier auf dieser Straße stand er. In seiner Generalsuniform“, berichtet ihr Mann Dmitrij Filippowitsch. Swetlanas und Dmitrijs Nachname ist Sentschenko. Aber wie sich herausstellt, sind sie nicht mit dem bekannten Unternehmer und Freund des Präsidenten Gennadij Iwanowitsch Sentschenko verwandt. „Wir sind lediglich Namenszwillinge“, sagt Swetlana mit breitem Grinsen. „Damals hat irgendein Vorsitzender dem Präsidenten hier auf diesem brach liegenden Grundstück von großen Plänen erzählt. Er wollte ein Kulturhaus mit einem Schwimmbad bauen…“, erinnert sich der Dmitrij. Doch auf das Kulturhaus warten die Bewohner schon seit mehr als 20 Jahren vergeblich. Im Hof der Sentschenkos ist eine Hundehütte zu sehen. Doch dort wohnt nur ein Plüschhund. „Wir hatten mal einen Hund, doch im Winter ist er immer ausgerissen und irgendwann ist er weggelaufen und nie zurückgekommen. Einen neuen haben wir uns nicht geholt. Naja, an den gewöhnt man sich ja auch“, erklärt uns Dmitrij Fillippowitsch. „Vor zwanzig Jahren sind fast alle Deutschen weggegangen, nur ein paar Familien sind geblieben. Wir haben immer zu ihnen gesagt: ‚Was denn für eine historische Heimat? Du bist doch hier geboren!‘ Darauf haben sie gesagt: ‚Wir gehen wegen der Kinder‘. Nun wohnen sie schon mehr als 20 Jahre dort und sagen: „Deutschland wird niemals unsere Heimat sein“, argumentiert Swetlana Wiktorowna. Sie ist mittlerweile Rentnerin, früher arbeitete sie als Russischlehrerin in der Dorfschule. „Die Kinder, die dort in Deutschland zur Schule gehen, sie haben sich irgendwie daran gewöhnt, aber die Erwachsenen – dort herrscht ja eine ganz andere Mentalität, alles ist anders, aber vor allem haben sie keine Ahnung, womit sie sich dort beschäftigen sollen. Nun sind sie „nach Hause“ gekommen, besonders die Rentner, aber was sie machen sollen – das wissen sie nicht. Die richtigen Deutschen ziehen sich schick an, machen sich hübsch, gehen ins Café oder besuchen einander und wenn sie wollen, fahren sie eben mal nach Frankreich. Aber die wollen nirgendwo hin, sie haben sich einfach an ein anderes Leben gewöhnt. Sie wollen Gras mähen oder sowas, aber das gibt es dort ja alles nicht. Trotzdem haben viele dort eigene Häuser gebaut, obwohl das ja sehr teuer ist“, bemerkt die Rentnerin. „Hier in der Straße wohnt die Familie Schwarz, dort die Familie Schreiber und noch ein Stück weiter noch eine Familie, die zur Hälfte deutsch ist. Und das ist alles. Ich glaube, mehr Deutsche gibt es bei uns nicht“, zählt Walentina Fjodorowna Konstantinowa auf. Sie selbst ist zwar zur Hälfte Deutsche, kommt aber gebürtig nicht aus Peterfeld. Vor mehr als 23 Jahren kam sie aus Taras hier her. Dieses Haus haben die Bewohner Deutschen abgekauft als sie nach Deutschland ausgewandert sind. Wie uns die Bewohner erzählen, gab es mindestens zwei Familien, die nach Deutschland ausgewandert waren aber nach einer gewissen Zeit ins kasachische Peterfeld zurückkehrten. Mit den Medien wollten diese Familien nicht sprechen, sie sagten, dass sie schon einmal ein Interview gegeben hätten. Aber sagen wir so, die Deutschen lassen sich gerne auf Interviews ein, nur fotografiert werden wollen sie nicht gerne. „Deutsch ist hier eigentlich nur noch der Ortsname“, lacht ein Mann. Er hat sein ganzes Leben hier gelebt, wobei er sich nicht beschwert: „Wir leben hier ja ganz gut und es fehlt uns an nichts.“ Auf die Frage, warum er nicht auch nach Deutschland ausgewandert ist, antwortet er: „Es ist eben immer überall dort gut, wo man gerade selbst nicht ist“. Die Mensa der Dorfschule. Es läutet und die Schüler stellen sich in die Schlange zum Mittagessen an. „Einen Jugendklub oder ein Kulturhaus gibt es nicht, die Jugend hat keinen Ort, an dem sie  sich treffen kann. Es kommen manchmal Musiker zu uns ins Dorf, Konzerte finden dann in der Schule statt. Das Konzert war gut, den Leuten hat es gefallen, die Musiker sagen dann aber: „Baut doch mal ein Kulturhaus“. „Aber wer soll das bloß bauen?“, erzählen die Peterfelder. „Arbeit gibt es hier im Dorf praktisch nicht, die Jugend geht zum Arbeiten nach Petropawlowsk. Bei uns gibt es nur eine Schule, einen Kindergarten, Tierzucht und das war´s, die Jugend geht in die Stadt. Aber unsere Schule ist gut, die Kinder lernen viel und gehen später sogar zum Studieren an die Universität“, sagt man uns in Peterfeld. Schülerinnen in Peterfeld. „Was für Arbeit gibt es hier denn schon? Eine Schule, Kindergarten, das Akimat, eine Notambulanz und das war´s. Es gibt noch einen Bauern, aber die Leute hier gehen dort eigentlich nicht arbeiten, alle sind in der Stadt“, berichtet der Schulleiter, Jakow Gans. Er ist zwar ein Deutscher, aber auch aus einer anderen Gegend Kasachstans zugezogen. Auf dem Foto ist er mit seiner Frau Anna zu sehen.   „Hier gibt es überhaupt nur noch wenige Deutsche, schon fast keine alteingesessenen mehr, alle leben in Deutschland. Aber man sagt, dass der Ort früher besser war, also ordentlicher, sauberer, es gab sogar einen Kolchosen-Millionär“, bemerkt Jakow. Viele Deutsche kommen manchmal ihr Heimatdorf besuchen. „Sie haben Heimweh und weinen. Und was sehen sie hier? Die Häuser sind nicht gestrichen, die Zäune kaputt“, sagen die Peterfelder. „Der Ort hat sich nicht zum Besseren entwickelt. Als wir hierhergekommen sind, da war alles sauber und ordentlich, jetzt sieht es hier etwas chaotisch aus und niemand möchte etwas anpflanzen“, erzählen sie. Aber andere meinen, dass immer mehr Leute hierherziehen, die sozusagen bewusst im Dorf leben möchten. „Nun kommen Leute hier her, die alles selbst in die Hand nehmen, die Häuser streichen, Zäune bauen, die Scheunen aufräumen, die Hausfassaden verkleiden. Es sind Leute ins Dorf gekommen, die hier wirklich leben möchten und Geld in dieses Leben investieren können“, berichten die Peterfelder. Im örtlichen Laden, wie das in solchen Dörfern üblich ist, gibt es alles zu kaufen: Lebensmittel, Kleidung und sogar Bücher. Einmal pro Stunde fährt ein Bus von Peterfeld nach Petropawlowsk. Der Bus fährt pünktlich nach Plan ab. Nach und nach füllt sich der Bus mit Fahrgästen. Unter ihnen ist Jakow Jemeljanowitsch Gertner. Er ist zwar in einem anderen Ort geboren, wohnt aber schon seit seiner Kindheit in Peterfeld. „Das Dorf ist sauber, naja nicht ganz so wie es einmal war, aber relativ sauber und gepflegt, die Leute kümmern sich“, sagt der Rentner. „Wir haben geackert wie die Pferde, und jetzt vegetieren wir nur noch vor uns hin. Malocht und malocht habe ich, 45 Jahre lang. Und jetzt bekomme ich gerade einmal die minimale Rente, mehr nicht. Meine Frau und ich werden nun zusammen alt“, erzählt er. Jakow Jemeljanowitsch trägt einen Ohrring. Er erzählte, dass er sich nach einer von vielen Reisen nach Deutschland entschied, einen Ohrring zu tragen. Er war dort zu Besuch und sah einige ältere Männer mit Ohrringen. Später stritt er mit seinem Enkel darüber und entschied, nun auch einen Ohrring zu tragen. Der Rentner ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der Behauptung, dass das einzige Deutsche im Ort nur noch der Name sei. „Es sind ja nicht alle weggegangen und nicht nur der Name ist geblieben, ziemlich viel sogar ist geblieben: die Häuser, der Friedhof. Dort liegen die Verwandten und um die Gräber muss man sich schließlich auch kümmern. Man kann eben nicht alles mitnehmen“, sagt er. Selbst möchte Jakow Gertner nicht dauerhaft nach Deutschland. „Und was soll ich da machen? Wir werden auch hier ganz gut satt“, meint er. Übrigens, irgendwann einmal war Peterfeld ein wirklich deutsches Dorf, das heißt, außer Deutsch wurden hier keine anderen Sprachen gesprochen. Aber in der Mitte der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts kam die erste kasachische Familie. Und schon fingen die deutschen Kinder an, Kasachisch zu sprechen und die kasachischen Kinder Deutsch. „Sie sollten lieber meinen Goscha fotografieren. Er kann sogar tanzen“, sagt Walentina Fjodorowna, eine ehemalige Angestellte der Post, und zeigt auf ihren Hund. Goscha hört auf seine Herrin und fängt an zu tanzen. „Es gab mal eine Banja (russisches Dampfbad und Badehaus, Anm.d.Ü.), daraus hat man ein Café gemacht. Es ist nicht schlecht, manchmal werden Beerdigungen dort gefeiert oder es gibt andere Veranstaltungen. Aber sonst gibt es eigentlich nichts“, sagt die Frau. Anlässlich des 80-jährigen Jubiläums der Ansiedlung der ersten Kasachen berichtete ein Fernsehsender aus Petropawlowsk. In der Sendung trat die Leiterin des Schulmuseums auf und erzählte von der Geschichte des Dorfes. „Einmal ist bei uns sogar Wolf Messing aufgetreten. Ich hoffe, alle wissen, wer das ist…“, sagte die Frau voller Stolz. Die Peterfelder rieten uns alle mit Nachdruck, mit dieser Frau zu sprechen, denn „sie weiß alles über Peterfeld“. Aber leider begleitete sie gerade eine deutsche Familie, die gekommen war, um ihren Heimatort zu besichtigen, zurück nach Deutschland.   Text von Renat Taschkinbajew. Fotos von Turar Kasangapow.

mrommel 

Peterfeld Kasachstan Deutsche Dorf
Das Dorf mit dem ungewöhnlichen Namen "Peterfeld" im Norden Kasachstans wurde früher fast ausschließlich von Deutschen bewohnt

Im nächsten Jahr wird Peterfeld, das sich in Nordkasachstan befindet, 110 Jahre alt. Das Dorf wurde 1908 von zugewanderten Deutschen gegründet. Der Eigentümer des Landes, von dem die Deutschen Grundstücke kaufen wollten, stellte die Bedingung, dass das Dorf nach ihm benannt wird, und so geschah es. Bis zur Mitte der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts sprach man im Dorf noch ausschließlich Deutsch. Doch seitdem hat sich vieles verändert. Eine Reportage von Renat Taschkinbajew und Turar Kasangapow, aus dem Russischen übersetzt von Manuel Rommel.

Peterfeld Kasachstan Deutsches Dorf

Werktags ist auf den Straßen Peterfelds so gut wie niemand zu sehen.

Peterfeld Kasachstan Deutsches Dorf

Der überwiegende Teil der Einwohner befindet sich am Tag in Petropawlowsk. „Am frühen Morgen fahren die Leute in die Stadt, deswegen beginnt das ganze Leben hier erst abends“, sagen die Peterfelder.

Molodjojschnaja Straße Peterdorf Kasachstan Deutsches Dorf

Die Molodjoschnaja-Straße („Straße der Jugend“, Anm.d.Ü.). Aber, wie die Peterfelder bekräftigen, gibt es hier für Jugendliche außer dem Lernen in der Schule nicht viel zu tun. Irgendwann einmal gab es ein Kulturhaus, aber auch das ist schon lange her.

Örtliche Schule Peterdorf Kasachstan Deutsches Dorf

Die Dorfschule in Peterfeld – das ist nicht nur ein Bildungs- sondern auch das Kulturzentrum des Dorfes. Hier finden alle wichtigen Veranstaltungen und Feste statt.

„Es gab mal ein Kulturhaus, aber das hat man verfallen lassen, genauso wie die öffentliche Mensa und den zweigeschossigen Kindergarten“, beklagen die Einwohner. Wie man im Akimat (Bürgermeisteramt, Anm.d.Ü.) erklärte, wurden das Kulturhaus und andere Objekte im Zuge der Unabhängigkeit Kasachstans von privaten Investoren gekauft, die kein Interesse an ihrem Erhalt hatten und sich später kaum um die Grundstücke gekümmert haben.

Zerstörte und verlassene Gebäude im Dorf.

Vor langer Zeit war das Dorf zu 100 Prozent Deutsch. Aber in den neunziger Jahren kehrten fast alle Deutschen in ihre historische Heimat zurück. Geblieben sind nur wenige.

In diesem Dorf Spuren von den Deutschen zu finden, gehört nicht gerade zu den einfachen Aufgaben. Aber das Erste, was einem hier auffällt, sind die hübschen Häuser, die gepflegten Vorgärten um sie herum und die sauberen Straßen.

Übrigens sehen die Peterfelder in ihrem Dorf nichts Bemerkenswertes. Sie meinen, dass es in der Gegend hübschere und gepflegtere Dörfer gebe.

„Das Dorf hatte mal eine große Zukunft. Nasarbajew war sogar schon zwei Mal hier“, erzählt Swetlana Wiktorowna.

„Ich habe Nasarbajew mit den eigenen Augen gesehen. Ganz genau hier auf dieser Straße stand er. In seiner Generalsuniform“, berichtet ihr Mann Dmitrij Filippowitsch.

Swetlanas und Dmitrijs Nachname ist Sentschenko. Aber wie sich herausstellt, sind sie nicht mit dem bekannten Unternehmer und Freund des Präsidenten Gennadij Iwanowitsch Sentschenko verwandt. „Wir sind lediglich Namenszwillinge“, sagt Swetlana mit breitem Grinsen.

„Damals hat irgendein Vorsitzender dem Präsidenten hier auf diesem brach liegenden Grundstück von großen Plänen erzählt. Er wollte ein Kulturhaus mit einem Schwimmbad bauen…“, erinnert sich der Dmitrij.

Doch auf das Kulturhaus warten die Bewohner schon seit mehr als 20 Jahren vergeblich.

Im Hof der Sentschenkos ist eine Hundehütte zu sehen. Doch dort wohnt nur ein Plüschhund. „Wir hatten mal einen Hund, doch im Winter ist er immer ausgerissen und irgendwann ist er weggelaufen und nie zurückgekommen. Einen neuen haben wir uns nicht geholt. Naja, an den gewöhnt man sich ja auch“, erklärt uns Dmitrij Fillippowitsch.

„Vor zwanzig Jahren sind fast alle Deutschen weggegangen, nur ein paar Familien sind geblieben. Wir haben immer zu ihnen gesagt: ‚Was denn für eine historische Heimat? Du bist doch hier geboren!‘ Darauf haben sie gesagt: ‚Wir gehen wegen der Kinder‘. Nun wohnen sie schon mehr als 20 Jahre dort und sagen: „Deutschland wird niemals unsere Heimat sein“, argumentiert Swetlana Wiktorowna. Sie ist mittlerweile Rentnerin, früher arbeitete sie als Russischlehrerin in der Dorfschule.

„Die Kinder, die dort in Deutschland zur Schule gehen, sie haben sich irgendwie daran gewöhnt, aber die Erwachsenen – dort herrscht ja eine ganz andere Mentalität, alles ist anders, aber vor allem haben sie keine Ahnung, womit sie sich dort beschäftigen sollen. Nun sind sie „nach Hause“ gekommen, besonders die Rentner, aber was sie machen sollen – das wissen sie nicht. Die richtigen Deutschen ziehen sich schick an, machen sich hübsch, gehen ins Café oder besuchen einander und wenn sie wollen, fahren sie eben mal nach Frankreich. Aber die wollen nirgendwo hin, sie haben sich einfach an ein anderes Leben gewöhnt. Sie wollen Gras mähen oder sowas, aber das gibt es dort ja alles nicht. Trotzdem haben viele dort eigene Häuser gebaut, obwohl das ja sehr teuer ist“, bemerkt die Rentnerin.

„Hier in der Straße wohnt die Familie Schwarz, dort die Familie Schreiber und noch ein Stück weiter noch eine Familie, die zur Hälfte deutsch ist. Und das ist alles. Ich glaube, mehr Deutsche gibt es bei uns nicht“, zählt Walentina Fjodorowna Konstantinowa auf. Sie selbst ist zwar zur Hälfte Deutsche, kommt aber gebürtig nicht aus Peterfeld. Vor mehr als 23 Jahren kam sie aus Taras hier her.

Dieses Haus haben die Bewohner Deutschen abgekauft als sie nach Deutschland ausgewandert sind.

Wie uns die Bewohner erzählen, gab es mindestens zwei Familien, die nach Deutschland ausgewandert waren aber nach einer gewissen Zeit ins kasachische Peterfeld zurückkehrten. Mit den Medien wollten diese Familien nicht sprechen, sie sagten, dass sie schon einmal ein Interview gegeben hätten.

Aber sagen wir so, die Deutschen lassen sich gerne auf Interviews ein, nur fotografiert werden wollen sie nicht gerne. „Deutsch ist hier eigentlich nur noch der Ortsname“, lacht ein Mann. Er hat sein ganzes Leben hier gelebt, wobei er sich nicht beschwert: „Wir leben hier ja ganz gut und es fehlt uns an nichts.“

Auf die Frage, warum er nicht auch nach Deutschland ausgewandert ist, antwortet er: „Es ist eben immer überall dort gut, wo man gerade selbst nicht ist“.

Die Mensa der Dorfschule. Es läutet und die Schüler stellen sich in die Schlange zum Mittagessen an.

„Einen Jugendklub oder ein Kulturhaus gibt es nicht, die Jugend hat keinen Ort, an dem sie  sich treffen kann. Es kommen manchmal Musiker zu uns ins Dorf, Konzerte finden dann in der Schule statt. Das Konzert war gut, den Leuten hat es gefallen, die Musiker sagen dann aber: „Baut doch mal ein Kulturhaus“. „Aber wer soll das bloß bauen?“, erzählen die Peterfelder.

„Arbeit gibt es hier im Dorf praktisch nicht, die Jugend geht zum Arbeiten nach Petropawlowsk. Bei uns gibt es nur eine Schule, einen Kindergarten, Tierzucht und das war´s, die Jugend geht in die Stadt. Aber unsere Schule ist gut, die Kinder lernen viel und gehen später sogar zum Studieren an die Universität“, sagt man uns in Peterfeld.

Schülerinnen in Peterfeld.

„Was für Arbeit gibt es hier denn schon? Eine Schule, Kindergarten, das Akimat, eine Notambulanz und das war´s. Es gibt noch einen Bauern, aber die Leute hier gehen dort eigentlich nicht arbeiten, alle sind in der Stadt“, berichtet der Schulleiter, Jakow Gans. Er ist zwar ein Deutscher, aber auch aus einer anderen Gegend Kasachstans zugezogen. Auf dem Foto ist er mit seiner Frau Anna zu sehen.

 

„Hier gibt es überhaupt nur noch wenige Deutsche, schon fast keine alteingesessenen mehr, alle leben in Deutschland. Aber man sagt, dass der Ort früher besser war, also ordentlicher, sauberer, es gab sogar einen Kolchosen-Millionär“, bemerkt Jakow.

Viele Deutsche kommen manchmal ihr Heimatdorf besuchen. „Sie haben Heimweh und weinen. Und was sehen sie hier? Die Häuser sind nicht gestrichen, die Zäune kaputt“, sagen die Peterfelder.

„Der Ort hat sich nicht zum Besseren entwickelt. Als wir hierhergekommen sind, da war alles sauber und ordentlich, jetzt sieht es hier etwas chaotisch aus und niemand möchte etwas anpflanzen“, erzählen sie. Aber andere meinen, dass immer mehr Leute hierherziehen, die sozusagen bewusst im Dorf leben möchten.

„Nun kommen Leute hier her, die alles selbst in die Hand nehmen, die Häuser streichen, Zäune bauen, die Scheunen aufräumen, die Hausfassaden verkleiden. Es sind Leute ins Dorf gekommen, die hier wirklich leben möchten und Geld in dieses Leben investieren können“, berichten die Peterfelder.

Im örtlichen Laden, wie das in solchen Dörfern üblich ist, gibt es alles zu kaufen: Lebensmittel, Kleidung und sogar Bücher.

Einmal pro Stunde fährt ein Bus von Peterfeld nach Petropawlowsk.

Der Bus fährt pünktlich nach Plan ab. Nach und nach füllt sich der Bus mit Fahrgästen.

Unter ihnen ist Jakow Jemeljanowitsch Gertner. Er ist zwar in einem anderen Ort geboren, wohnt aber schon seit seiner Kindheit in Peterfeld. „Das Dorf ist sauber, naja nicht ganz so wie es einmal war, aber relativ sauber und gepflegt, die Leute kümmern sich“, sagt der Rentner.

„Wir haben geackert wie die Pferde, und jetzt vegetieren wir nur noch vor uns hin. Malocht und malocht habe ich, 45 Jahre lang. Und jetzt bekomme ich gerade einmal die minimale Rente, mehr nicht. Meine Frau und ich werden nun zusammen alt“, erzählt er.

Jakow Jemeljanowitsch trägt einen Ohrring. Er erzählte, dass er sich nach einer von vielen Reisen nach Deutschland entschied, einen Ohrring zu tragen. Er war dort zu Besuch und sah einige ältere Männer mit Ohrringen. Später stritt er mit seinem Enkel darüber und entschied, nun auch einen Ohrring zu tragen.

Der Rentner ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der Behauptung, dass das einzige Deutsche im Ort nur noch der Name sei. „Es sind ja nicht alle weggegangen und nicht nur der Name ist geblieben, ziemlich viel sogar ist geblieben: die Häuser, der Friedhof. Dort liegen die Verwandten und um die Gräber muss man sich schließlich auch kümmern. Man kann eben nicht alles mitnehmen“, sagt er.

Selbst möchte Jakow Gertner nicht dauerhaft nach Deutschland. „Und was soll ich da machen? Wir werden auch hier ganz gut satt“, meint er.

Übrigens, irgendwann einmal war Peterfeld ein wirklich deutsches Dorf, das heißt, außer Deutsch wurden hier keine anderen Sprachen gesprochen. Aber in der Mitte der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts kam die erste kasachische Familie. Und schon fingen die deutschen Kinder an, Kasachisch zu sprechen und die kasachischen Kinder Deutsch.

„Sie sollten lieber meinen Goscha fotografieren. Er kann sogar tanzen“, sagt Walentina Fjodorowna, eine ehemalige Angestellte der Post, und zeigt auf ihren Hund.

Goscha hört auf seine Herrin und fängt an zu tanzen.

„Es gab mal eine Banja (russisches Dampfbad und Badehaus, Anm.d.Ü.), daraus hat man ein Café gemacht. Es ist nicht schlecht, manchmal werden Beerdigungen dort gefeiert oder es gibt andere Veranstaltungen. Aber sonst gibt es eigentlich nichts“, sagt die Frau.

Anlässlich des 80-jährigen Jubiläums der Ansiedlung der ersten Kasachen berichtete ein Fernsehsender aus Petropawlowsk. In der Sendung trat die Leiterin des Schulmuseums auf und erzählte von der Geschichte des Dorfes. „Einmal ist bei uns sogar Wolf Messing aufgetreten. Ich hoffe, alle wissen, wer das ist…“, sagte die Frau voller Stolz.

Die Peterfelder rieten uns alle mit Nachdruck, mit dieser Frau zu sprechen, denn „sie weiß alles über Peterfeld“. Aber leider begleitete sie gerade eine deutsche Familie, die gekommen war, um ihren Heimatort zu besichtigen, zurück nach Deutschland.

 

Text von Renat Taschkinbajew. Fotos von Turar Kasangapow.

Im russischen Original erschienen auf Tengrinews

Aus dem Russischen übersetzt von Manuel Rommel.

 

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Kommentare (3)

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L, 2020-04-8

Wow was für ein unglaublich guter Beitrag. Meine Eltern sind Deutschrussen, die 1995 nach Deutschland kamen. Aus Langweile hab ich ihre Wohnorte in Russland gegooglet und bin auf diesen Beitrag gestoßen. Meine Eltern kamen zwar nicht aus Peterfeld aber es gibt viele ähnliche Erfahrungen (im Vergleich zu dem was sie mir so erzählt haben). Tolle Bilder, tolle Interviews. Danke für Reise

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L, 2020-04-8

*Wohnorte in Kasachstan

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Egl, 2021-10-5

Ich lebe nun in Deutschland, bereits über 30 Jahre. Meine Oma versuchte seit 1953 von Russland auszureisen. Sie wurde in Neudorf Gebiet Glückstal ( heute von Russlands Truppen besetzter Gebiet Transnistrien, das Dorf Karmanovo, früher als Karmanova usw. ) in die Stadt Slatoust im Uralgebirge deportiert. Ihr Schicksal dort mehr als traurig gewesen. Leider wurden Ende 80-er und Anfang 90-er alle Erwartungen der Russlanddeutschen auf eine Autonomie an Wolga und in anderen Gebieten von früher von der russischen Seite verwirkt. Dafür habe für Russland kein Verständnis. Aber seltsamerweise sind viele Russen heute im Ausland und besonders in Deutschland ansässig geworden….

Ich frohe mich trotzdem über diesen Beitrag. Obwohl die Wirklichkeit jeher traurig ist.

Nur die eine Sache verstehe ich nicht – weshalb ist so oft russische Staatsflagge und sonstige „Malereien“ im Dorf zu sehen? Die Leute leben doch in Kasachstan, oder?

Vielen Dank an Renat Taschkinbajew und Turar Kasangapow für diese ermunternde Reportage. Alles Gute für die Zukunft.
E.L.

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