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Zentralasien wächst auseinander (2/2)

Lesen Sie hier den ersten Teil des Artikels von Panpy Etcheverry : Zentralasien wächst auseinander (1/2)   2005-2013. Sprung im Spiegel: Auf dem Weg zu einem zentralasiatischen Kaleidoskop?

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Redigiert von: daniela

Übersetzt von: Florian Coppenrath

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Lesen Sie hier den ersten Teil des Artikels von Panpy Etcheverry : Zentralasien wächst auseinander (1/2)

 

2005-2013. Sprung im Spiegel: Auf dem Weg zu einem zentralasiatischen Kaleidoskop?

Trotz der bereits erwähnten Gemeinsamkeiten, haben sich die Staaten Zentralasiens in Wahrheit immer weiter voneinander entfernt. Seit seiner Unabhängigkeit begann Kasachstan wie auch Usbekistan, die Führungsrolle in Zentralasien für sich zu beanspruchen. Dabei orientierten sie sich in zwei verschiedene Richtungen und verfolgten damit auch zwei unterschiedliche geopolitische Projekte: Kasachstan mit Eurasien nach Westen und Usbekistan mit Turkestan in Richtung Naher Osten. 1995 verkündete Turkmenistan seine „ewige Neutralität“ bei den Vereinten Nationen. Die Lage wurde auch durch den mehr oder weniger erfolgreichen Einstieg neuer Akteure (Pakistan, die Golfstaaten, die Türkei, Iran, China, usw.) in das regionale Spiel verkompliziert.

Außerdem weisen die Staaten unterschiedliche innenpolitische Situationen auf: Kirgistan schlug mit seinen turbulenten Machtwechseln (2005 und 2010) einen einzigartigen Pfad ein. Autoritärere Staaten wie Turkmenistan und Usbekistan verzeichnen dagegen eine politische Trägheit, die ihresgleichen sucht – trotz des Todes von Diktator „Turkmenbaschi“ Nijasow im Jahr 2006.

Wo Kirgistan sich politisch hervorhebt, gilt Kasachstan durch seine wirtschaftliche Dynamik als Ausreißer der Region: dieses Land steht heute für 75 Prozent des regionalen Brutto Inlandsprodukt (BIP) Zentralasiens, hat innerhalb von zehn Jahren sein BIP pro Kopf verdoppelt, und hat sich sogar zu einem Einwanderungsland entwickelt (1). Kirgistan und Tadschikistan leben beinahe unter dem Tropf der Geldtransfers ihrer Auswanderer: Diese erwirtschaften 47 (Kirgistan) und 30 Prozent (Tadschikistan) der jeweiligen BIP.

„Jedem seine Geopolitik“

Diese großen wirtschaftlichen Brüche zwischen den zentralasiatischen Ländern verbreitern sich und werden durch die geopolitische Konkurrenz verstärkt. In Anspielung auf das Buch von Isabelle Damiani, könnte man sagen: „Jedem seine Geopolitik“ (2). Jeder der Staaten verfolgt seine eigene Strategie, um seine Sicherheit wie auch seine wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Es ist oft von der sogenannten „multivektoriellen“ Diplomatie Kasachstans die Rede, die auf Partnerschaft „mit allen“ beruht. Doch mit Ausnahme von Turkmenistan verfolgen alle Staaten der Region zu verschiedenen Graden ähnliche Strategien. Strategisch und wirtschaftlich erscheinen Russland und China als die Hauptakteure der Region, doch muss auch immer mehr mit Akteuren wie etwa dem Iran, der Türkei, der Europäische Union, Japan, Südkorea usw. gerechnet werden. (3)

Diese Integration Zentralasiens in die Globalisierung ist durchaus real, aber sie geschieht parallel zur Nationenbildung: „Die bevorzugten Ebenen sind demnach die nationale und die internationale, zum Nachteil der regionalen Ebene […]“ (4). Das spiegelt sich übrigens auch im internationalen Handel wider, wobei der Anteil intra-regionalen Handels seit der Unabhängigkeit kontinuierlich stark sinkt. Im Jahr 2000 repräsentierte der regionale Handel bereits lediglich drei Prozent des Außenhandels Kasachstans; 2009 führte Tadschikistan 16 Prozent seines Handels mit den zentralasiatischen Nachbarn. Wie oben erwähnt haben das Souveränitätsstreben zusammen mit den komplexen von der UdSSR geerbten Grenzen viele Enklaven, Exklaven und Periklaven (Landstriche, die nicht von dem Territorium ihres Landes getrennt sind, jedoch nur durch ein anderes Land erreichbar sind) erschaffen, die durch den Aufbau von Grenzinfrastrukturen noch weiter bestärkt werden. Besonders in grenzübergreifenden Regionen wie das Ferghanatal und Choresm sind die Einwohner geteilt, eingeschlossen, und ihr Austausch (aller Art) reduziert sich auf das Minimum. So werden Untergruppen geschaffen, die fast ganz voneinander, von ihrer jeweiligen staatlichen Verwaltung und schließlich auch von der Welt abgeschnitten sind.

Karte Zentralasien

Die massive Migration trennt auch Familien. Die junge Generation steht vor einer großen Vielfalt an Möglichkeiten und lebt in einer Welt, die sich radikal von der ihrer Eltern und Großeltern unterscheidet. Dabei lassen die stark wachsenden Ungleichheiten zwischen der Bevölkerung, die unter der „Erhöhung der Preise lebensnotwendiger Güter“ leidet und der „Dekadenz und dem Luxus in den reichen Vierteln der Hauptstädte“ (4) befürchten, dass sich in den nächsten Jahren auch anderswo als in Kirgistan auf den Straßen Unmut zeigt. Jedenfalls können wir die nicht parallel verlaufenden Entwicklungen der Staaten auf allen Ebenen beobachten.

Regionale Integration für Zentralasien?

Trotz dieser wachsenden Zersplitterung und der Verstärkung der Grenzen, haben die Staaten im Wissen der durch das sowjetische System gegebenen Interdependenz begonnen, sich in regionale Integrationsprozesse zu engagieren. Schon 1992 haben die fünf jungen Republiken einen Vertrag zur Erschaffung der intergouvernementalen Kommission zur Koordinierung der Wasserressourcen unterschrieben, um das Wassermanagement aus der UdSSR beizubehalten. Kurz darauf wurde auch die Zentralasiatische Union gegründet, um die wirtschaftliche Integration der Region zu fördern (Freizügigkeit der Güter, Dienstleistungen und des Kapitals, landwirtschaftliche und industrielle Kooperation, usw.).

Viele dieser vielversprechenden Initiativen sind jedoch leere Versprechen geblieben, da sich die Staaten von der regionalen Ebene abwenden. Obwohl es nicht an regionalen Problemen (Wasser, Energie, Drogenhandel, usw.) mangelt, werden die Integrationsprojekte immer exogener und entstehen eher aus dem Spiel der internationalen Großmächte als aus Verfolgung zentralasiatischer Interessen.

Die Zentralasiatische Union (1994) wurde 1998 zur Zentralasiatischen Wirtschaftsgemeinschaft und 2002 zur Zentralasiatischen Organisation für Kooperation. Ab 2004 wurde diese Organisation durch die Mitgliedschaft Russlands unterwandert: Das Ziel Moskaus war es, sie aufzulösen und durch das eigene Projekt der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft (EAWG) zu ersetzen. In diesem Kontext hat Russland im Juli 2011 die Erschaffung einer Zollunion mit Belarus und Kasachstan eingeleitet. Neben ihrer zerstörerischen Wirkung für rein zentralasiatische Integrationsprojekte haben die EAWG und insbesondere die Zollunion auch weitere absurde Effekte, wie die Verschärfung der Grenzkontrollen zwischen Kasachstan und dem Rest Zentralasiens (insbesondere mit Kirgistan). Sie entsprechen demnach weniger einem „offenen Regionalismus“ sondern einem Projekt, das den geopolitischen Konzeptionen und Interessen Russlands dienen soll.

Darüber hinaus sind auch alle Staaten Zentralasiens Teil der 2001 gegründeten Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), die neben der Sicherheitszusammenarbeit mit Russland und China auch wirtschaftliche Komponenten hat. Aber aus drei Gründen hat diese nur einen begrenzten Erfolgt erlebt:

  • Die Rivalität zwischen China und Russland (Handel, Öl- und Gastransit)

  • Die Funktionsweise der Organisation, die für Entscheidungen auf einstimmigem Konsens basiert, wie auch das Prinzip der Nichteinmischung verhindern jegliche Lösungen der Wasser- und Grenzprobleme.

  • Die bilaterale Grenze mit China: Trotz des regionalen Rahmens werden bilaterale Verhandlungen mit den einzelnen Staaten bevorzugt.

Darüber hinaus kann die SOZ in erster Linie als ein chinesisches (und in kleinerem Maße russisches) Einflussinstrument verstanden werden, auch wenn sie sich mit bestimmten Zentralasiatischen Anliegen überschneidet. Zudem entsprechen ihre Grundprinzipien – der Kampf gegen die „drei Übel“ (Terrorismus, Extremismus und Separatismus) – eher dem repressiven Rahmen, in dem China das uigurische Problem behandelt.

Die regionale Integration Zentralasiens wird also immer komplizierter (Persönlichkeitskult, verschiedene außenpolitische Prioritäten, persönliche Rivalitäten, geopolitische und geoökonomische Unterschiede, usw.) und scheint von außenstehenden Mächten wie Russland und China strategisch instrumentalisiert zu sein. Währenddessen hängt das Problem des Wassermanagements wie ein Damoklesschwert über der Region.

Ob Ursache oder Folge des schlechten regionalen Klimas und des Misstrauens zwischen den Staaten: Die Abwesenheit eines gemeinsamen und abgestimmten Wassermanagements wiegt schwer auf Zentralasien und seinen 60 Millionen Einwohnern. Ohne Zusammenarbeit und globaler Reflexion zu dem vereinten Energiesystem, dass die Staaten untereinander verbindet, werden diese nicht nur versagen, das Problem langfristig zu behandeln: Durch die wachsenden Probleme und Rivalitäten zwischen den Bevölkerungsgruppen auf lokaler Ebene scheint die Eskalation durchaus plausibel (zum Beispiel im Ferghanatal). Es ist an der Zeit zu erkennen, dass die zentralasiatischen Völker eine Schicksalsgemeinschaft bilden. Diese Erkenntnis muss in politisches Handeln und in die Schaffung einer tatsächlich regionalen Organisation für Wassermanagement umgesetzt werden. Denn die kirgisischen und tadschikischen Gletscher werden bis 2025 wahrscheinlich um 30 bis 40 Prozent schrumpfen, was die Wasserressourcen für die gesamte Region um 25 bis 35 Prozent reduzieren würde. Eine gemeinsame Strategie – ohne fremden Einfluss – wäre also ein wichtiger Schritt.

Panpi Etcheverry

Absolvent des Instituts für internationale und strategische Beziehungen (IRIS)
Autor für Francekoul.com (Novastan.com)

Aus dem Französischen Übersetzt von
Florian Coppenrath und Daniela Neubacher

Quellen

(1) Marlène LARUELLE (Dir.), Dynamiques migratoires et changements sociaux en Asie centrale, Paris, Petra Éditions, 2010

(2) DAMIANI I., Géopolitique de l’Asie centrale, PUF, Paris, 2013, p. 98

(3) LARUELLE M, PEYROUSE S., L’Asie centrale à l’aune de la mondialisation, Armand Colin, Paris, 2010

(4) LARUELLE M, PEYROUSE S., Eclats d’empires (Asie centrale, Caucase, Afghanistan), Fayard, Paris, 2013, p. 280

 

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